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Berlin: Experte: Explosion von Blindgängern jederzeit möglich Flächendeckende Bombensuche gibt es aber nicht

Kommunalpolitker nach Göttinger Unglück in Sorge

Oranienburg - Die Stadt sitzt auf etwa 320 lautlosen Zeitbomben. Soch hoch ist nach nach einem Gutachten des Sprengstoffexperten Wolfgang Spyra der Anteil der Blindgänger aus dem zweiten Weltkrieg mit sogenannten Langzeitzündern, die noch nicht geborgen wurden. Nach seinen Angaben war die Fliegerbombe, die am Dienstagabend drei Mitarbeiter eines Räumkommandos in Göttingen tötete, von gleicher Bauart. Stadt und Landkreis sind alarmiert, doch für die Räumung der Altlasten fehlt Geld.

Oberhavels Landrat Karl-Heinz Schröter (SPD) steht am Donnerstag noch unter dem Eindruck des Unglücks in Göttingen. Er befürchtet, dass ihn solch eine Schreckensnachricht auch einmal aus Oranienburg erreichen könnte. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges waren mehr als 4000 Bomben mit Langzeitzünder über der Stadt abgeworfen worden. Bei diesen Sprengkörpern zersetzt Aceton einen Zelluloidring, der den Schlagbolzen der Bombe zurückhält und verzögert so die Explosion um etwa zwei Tage. Bleibt ein Blindgänger jedoch mit der Spitze nach oben stecken, haben die chemischen Materialien keinen direkten Kontakt miteinander. So können Sprengsätze auch erst Jahrzehnte später explodieren.

In Oranienburg müsse laut Spyra, der dem brandenburgischen Innenministerium bereits vor zwei Jahren ein Gutachten vorgelegt hat, deshalb „jederzeit mit der Detonation eines Bombenblindgängers gerechnet werden.“ 420 Millionen Euro würde ihm zufolge die Bombenräumung allein in der Innenstadt Oranienburgs kosten. 25 Millionen Euro hatte der damalige Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) versprochen. Sein Nachfolger, Rainer Speer (SPD), bewilligte angesichts der Haushaltslage neun Millionen.

Landrat Schröter fühlt sich von Potsdam nicht ernst genommen. „Wenn der Tod der drei Menschen in Göttingen irgendeinen Sinn gehabt haben kann, dann den eines Weckrufes für die Landesregierung“, sagt er. Im Innenministerium will man sich derweil vor einem Abschluss der Untersuchungen in Göttingen nicht äußern. Dort verweist man auf die generelle Zuständigkeit der örtlichen Ordnungsbehörden. Auch der Bund lehnt eine Beteiligung an den Kosten bisher ab. Laut Gesetz kommt er nur für die Beseitigung ehemals „reichseigener“ Munition auf, die aber auf deutschen Staatsgebiet eher selten ist.

Für Oranienburgs Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke ist das völlig unverständlich. „Als märkische Kleinstadt sind wir damit überfordert.“ Man dürfe sich nicht hinter Gesetzen verstecken, wenn es um Menschenleben gehe. „Nach Göttingen muss doch jeder erkennen, wie gefährlich die Situation ist.“

Auch der Geschäftsführer der Güteschutzgemeinschaft Kampfmittelräumung, Hans Joachim Rosewald, mahnt, die Gefahr werde unterschätzt, die Suche nach Bomben aus finanziellen Gründen vernachlässigt. In Berlin ist die flächendeckende Suche deshalb bereits seit Jahren eingestellt. Auf Antrag von Bauherren wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch tätig. Dort geht man von etwa 3000 Blindgängern im Berliner Untergrund aus. „Langzeitzünder, wie in Oranienburg, haben wir aber nur sehr selten“, sagte Sprecherin Petra Roland.

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