zum Hauptinhalt
Foto: dpa

© dpa

Experte zum BER-Desaster: „Da mischen zu viele Leute mit, die keine Ahnung haben“

Jürgen Hahn ist Experte für kriselnde Großprojekte. Im Interview plädiert er für einen klaren Schnitt beim Hauptstadtflughafen BER – und erwartet eine Eröffnung nicht vor 2022.

Herr Hahn, Sie sind Claim Manager. Was machen Sie genau?

Wir sind spezialisiert auf kriselnde Großprojekte, auf die Bewältigung gestörter Bauabläufe.

Wer sind Ihre Kunden?

Die kommen aus der Industrie. Es sind zumeist klassische Großanlagenbauer. Die bauen zum Beispiel Chemiefabriken, Kraftwerke, Offshore-Windparks, wir haben auch Kunden in der Wehrtechnik oder der Schienenfahrzeugbranche. Unsere Kunden sind überwiegend im Exportgeschäft tätig, errichten große komplexe Anlagen in den entferntesten Winkeln der Welt. Aktuell sind Kollegen von mir gerade in Peking, am Arabischen Golf und in Venezuela.

Das heißt, auch bei Industrieprojekten geht vieles schief, nicht nur bei Großprojekten der öffentlichen Hand?

Ja, natürlich, ziemlich häufig sogar; häufiger, als man annimmt. Meistens kommt es zu Kostensteigerungen und Terminverzögerungen; das sind die Essentials. Mit unseren bundesweit 30 Beratern springen wir dann ein, lösen kaufmännische, vertragliche und terminliche Probleme. Oder wir begleiten die Firmen schon in der Vergabephase, damit Verträge präzise genug formuliert werden, um später im laufenden Projekt ein böses Erwachen zu vermeiden.

Das kommt oft vor?

Ja, der alte General Graf von Moltke hat ja mal gesagt, es gibt keinen Plan, der den Feindkontakt überlebt hat. Und so ist es auch. Die Realität überholt die Vertragsparteien eigentlich immer. Kein Projekt ist ohne Störungen. Das größte Vorhaben, das wir derzeit betreuen, eine verfahrenstechnische Anlage, hat ein Investitionsvolumen von zweieinhalb Milliarden Euro. Beim kleinsten Vorhaben, einem im arabischen Raum, sind es acht Millionen Euro. Das ist allerdings das schlimmste, das ich je erlebt habe, mit zwölf Jahren Bauzeitverzögerung. Das wird höchstens irgendwann noch durch den Berliner Flughafen getoppt.

Da war der erste Spatenstich 2006. Warum haben Sie sich dort nicht um ein Mandat beworben?

Aus dem reinen Bauwesen halten wir uns in der Regel raus.

Dennoch, Sie haben das Stichwort geliefert. Am BER ist quasi alles schiefgelaufen, Termine, Kosten, wie auch der Abschlussbericht des Berliner Untersuchungsausschusses illustriert. Was würden Sie bei einem so kollabierten Vorhaben machen?

Ehrlich gesagt, ich wüsste auch nicht, was ich am BER noch raten sollte (lacht). Aber im Ernst, ich habe nur wenige Einblicke, aber grundsätzlich kann ich sagen: Ein faires Miteinander aller Beteiligten ist entscheidend, wenn man so ein Projekt dann doch noch hinbekommen will. Vielleicht wäre es sinnvoll, die Auftragnehmer, die vielfältigen Vertragsparteien, neu unter einen Hut zu bringen. Ein Kardinalfehler war ja damals, dass man den Berliner Flughafen nicht an einen Generalunternehmer vergeben hat. Wenn man stattdessen viele Einzelverträge macht, hat man unglaublich viele Schnittstellen, die man koordinieren muss. Erst recht, wenn die Projekt-Terminplanung schlecht ist, wenn man sich gegenseitig auf die Füße tritt. Das fängt ja klein an. Es kommt einer, der will an einer Ecke Elektroverkabelungen machen, kann aber nicht loslegen, weil der Gerüstbauer noch nicht weg ist. Meist setzt das eine Kaskade in Gang, die kaum noch beherrschbar ist, wie man am BER ja auch gesehen hat.

Jenseits der Planungs-, Baupfusch-, Brandschutz- und Genehmigungsprobleme hat man dort inzwischen den Eindruck, dass sich viele Firmen auf der Baustelle gut eingerichtet haben, ist ja auch eine Goldgrube.

Ich sehe das nicht so. Ich lese das vom Berliner Flughafen zwar auch immer. Da sind dann angeblich die bösen Auftragnehmer am Werk, die die öffentliche Hand ausnehmen.

Vielleicht stimmt das!?

Ich finde das zu vordergründig. Ein Kollege hat einmal gesagt, wer das Ohr an den Bauzaun des Berliner Flughafens legt, der hört dann leise die Elbphilharmonie kichern. Beide Projekte sind ja durchaus vergleichbar. Waren wirklich die bösen Auftragnehmer schuld? Oder waren es zu starke Anordnungsrechte des Auftraggebers, der zwischendurch ständig die Pläne ändern lässt? Das muss kompensiert werden, hat massive Konsequenzen für Termine und Kosten, was niemand wahrnehmen will.

Das alles hat der Abschlussbericht des Berliner BER-Untersuchungsausschusses aufgelistet. Was würden Sie einem Kunden empfehlen, um so ein getrudeltes Projekt noch zu retten?

Zunächst rate ich immer zu Fairness. Es bringt nichts, immer nur mit harten Bandagen zu spielen. Letztlich leidet sonst das Projekt noch mehr, und damit auch beide Seiten. Ich rate, Gerichtsverfahren zu vermeiden, weil die Ewigkeiten dauern, Gutachter und Rechtsanwälte kosten. Wenn man wie am BER schon mittendrin im Schlamassel ist, müsste man die Verträge auf neue Termine und Kosten anpassen, den Leistungsgegenstand der Auftragnehmer präzisieren. Man müsste dabei Klauseln vereinbaren, die auch präzise den Umgang mit Störungen und Änderungen im Projekt regeln.

Der BER sollte einst 2011 starten, nun steht die fünfte Verschiebung eines Eröffnungstermins bevor. Obwohl alle Meilensteine gerissen wurden, hält Flughafenchef Karsten Mühlenfeld weiter an 2017 fest. Ist das Argument stichhaltig, mit dem Datum Druck auf dem Kessel zu halten?

Ich halte das für reine Politik. Man redet die Welt schön. Ich denke, mit der Baustelle hat das weniger zu tun. Dort weiß doch jeder, was Sache ist. Ein Ziel, das nicht mehr erreicht werden kann, ist keins mehr.

Foto: Helen Nicolai/promo
Experte für kriselnde Großprojekte: Jürgen Hahn.

© Helen Nicolai/promo

Was würden Sie stattdessen empfehlen?

Ich würde dafür plädieren, klare Verhältnisse herzustellen, einen Schnitt zu machen: Also neuer Fahrplan, angepasste Verträge samt Sanktionen, die wehtun, aber auch nicht umbringen. Am BER würde ich zudem versuchen, die Politik rauszuhalten. Mein Eindruck ist, da mischen immer noch zu viele Leute mit, die von Projektplanung, Projektsteuerung und Änderungsmanagement keine Ahnung haben.

Am BER haben sich auch schon alle möglichen Berater versucht. Und auch schlechter Rat ist teuer …

Was da am Flughafen war, kann ich nicht einschätzen. Als Berater hat man ja auch schnell diesen Ruf: Das sind diese Jungs mit den teuren Krawatten, die fliegen ein und kriegen astronomische Tagessätze. Ich kenne viele schlechte und viele sehr gute Berater.

Konkret hat Ex-Manager Hartmut Mehdorn das von Roland Berger entwickelte „Sprint“-Programm installiert, eine zweite Organisationseinheit, parallel zu den eigentlichen Strukturen. Ist so etwas sinnvoll?

Das ist nicht klug.

Wie sind Sie eigentlich Claim Manager geworden?

Ich bin Ingenieur für Elektrotechnik, habe eine Zusatzausbildung in internationalem Bau- und Vertragsrecht. Viele Jahre habe ich für einen großen französischen Konzern gearbeitet, weltweit Infrastrukturprojekte abgewickelt. Ich bin damals sehr viel gereist, bis ich keine Lust mehr hatte, ständig im Flugzeug zu sitzen. Vor 14 Jahren habe ich gemeinsam mit meiner Frau unser Unternehmen, die 11:55 PM consultants GmbH gegründet, seit vorigem Jahr mit Sitz in Potsdam.

Gibt es Projekte, bei denen alles hoffnungslos ist, die nicht zu retten sind?

Ja, die gibt es. In der Regel ist der Punkt dann überschritten, wenn die einkalkulierte Marge samt Reserven restlos vergeigt worden ist. Zumindest in der Industrie ist das so.

Was glauben Sie, wann wird man am BER einchecken können?

Nach 20 Jahren Umgang mit gestörten Projekten sagt mir mein Bauchgefühl, dass der BER frühestens 2022 in Betrieb geht.

Jürgen Hahn, 48, ist Unternehmensberater. Er führt gemeinsam mit seiner Frau das Unternehmen 11:55 PM consultants GmbH, das seit vergangenem Jahr seinen Sitz in Potsdam hat.

Das Interview führte Thorsten Metzner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false