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Eintauchen in die Stadt. Die Clubs auf dem RAW-Gelände gehören bei den Mitgliedern der Facebook-Gruppe „Neu in Berlin“ zu den beliebtesten Treffpunkten.

© Kai-Uwe Heinrich

Facebook-Gruppe "Neu in Berlin": Freunde auf Zeit

Freunde finden, Flirten, Feiern: Facebook-Gruppen wie "Neu in Berlin" helfen jungen Menschen beim Kennenlernen. Das zieht nicht nur Neu-Berliner an.

Ein später Abend, eine Bar in Friedrichshain. Knapp 70 Leute sitzen an Tischen, stehen an der Bar oder blockieren den Eingang für eine Zigarette. Oder zwei. Der Großteil von ihnen sieht sich heute zum ersten Mal, dennoch sind alle in angeregte Gespräche vertieft. Wie kommt’s? Sie alle sind Mitglieder der Facebook-Gruppe „Neu in Berlin“. Doch nicht alle sind neu in Berlin.

„Und, wie lange bist du schon hier?“ Diese Frage kann nach einer halben Stunde kaum noch jemand hören. Dennoch ist die Antwort oft eine spannende, die Spannweite reicht von „seit drei Tagen“ bis zu „seit 2006“. Hier am Neu-in-Berlin-Stammtisch, finden sich ganz unterschiedliche Arten von Berlinern und Neu-Berlinern. „Es gibt die alten Hasen, die sind schon ewig in der Gruppe und schauen immer mal wieder vorbei“, erzählt Frank Hemsing, einer der Gruppen-Administratoren. „Dann haben wir noch die Erstlinge, die tatsächlich neu in Berlin sind, und die, die sich irgendwo dazwischen ansiedeln.“ Der Stammtisch ist nicht die einzige Aktivität, die fast 20 000 Gruppenmitglieder suchen auf der Plattform Konzertbegleitungen, Sport- und Tanzpartner, jemanden zum Brunchen oder Bouldern und am häufigsten: Leute zum Feiern – mal zu zweit, mal zu dreißig.

Anlass, um mit jemanden zu trinken

Aber warum ist jemand, der schon seit Jahren in dieser Stadt wohnt, in einer Gruppe, die „Neu in Berlin“ heißt? Adrian, auch er ist schon länger hier, erzählt: „Berlin ist eine kurzlebige Stadt und es ist nie zu spät, um neue Leute kennenzulernen.“ Er habe zwar einen festen Freundeskreis, doch der sei auf der ganzen Welt verteilt – er selbst plant, nächstes Jahr nach China zu gehen. Dennoch ist er auf der Suche nach neuen Kontakten. Doch: „Das ist ein sehr langsamer Prozess, die meisten Freunde verliert man irgendwann wieder“, so der 28-Jährige.

Für Peter, einen Betriebswirt der seit zweieinhalb Jahren in der Stadt ist, sind die Neu-in-Berlin-Aktivitäten eher ein Anlass, um mit jemandem trinken zu gehen, wenn niemand seiner „Handvoll festen Freunde“ Zeit hat. Auch Roberto, seit neun Jahren hier, meint, er schaue immer mal wieder vorbei, „was es so an Leuten gibt“. Spielt da auch der Hintergedanke eines Dates eine Rolle? Schon, aber das sei nicht die primäre Intention. Manchem Gast merkt man an, dass er auf einem Stammtisch zu viel war, einer meint: „Irgendwie führst du dann doch immer wieder dieselben Gespräche.“

Wegen Job und der Liebe nach Berlin

Die Wurzeln der Facebook-Gruppe reichen zurück bis in die fast vergessene Plattform Studi-VZ, dort wurde sie 2006 gegründet. Später siedelte man auf Facebook um, der Gruppengründer ist mittlerweile auf keiner der Seiten mehr aktiv. Heute ist „Neu in Berlin“ im deutschsprachigen Raum unter den größten Gruppen dieser Art und wird von sechs Administratoren gemeinsam verwaltet. Diese erzählen: „Der Grund, warum das bei uns so gut läuft, ist der, dass wir durch klare Regeln für Übersichtlichkeit sorgen.“ So sind etwa Postings, die Wohnungs- oder Stellengesuche, Partneranzeigen oder Werbung beinhalten, strikt untersagt.

Der Zweck der Gruppe ist also das Kennenlernen und das Verabreden gemeinsamer Freizeitaktivitäten. Und das klappt auch. Dennis ist erst seit fünf Wochen in Berlin, er kam des Jobs und der Liebe wegen her, beide Aspekte gehören mittlerweile der Vergangenheit an – Stichwort Kurzlebigkeit.

Nicht auf der Suche nach Freunden fürs Leben

„Dann merkte ich, dass ich doch ganz schön alleine bin und hab' einfach mal ‘Neu in Berlin‘ in den Computer getippt und die Gruppe gefunden.“ Also trat er ihr bei, schnell fand er jemanden zum Feiern und jemanden, mit dem er seinem Hobby, der Fotografie, nachgehen kann. Sogar berufliche Kontakte knüpfte der 28-Jährige bereits. Auch wer seine Freizeit spezifischer gestalten will, wird auf Facebook schnell fündig: Vom „Nettwerk“ mit gut 32 000 Mitgliedern, auf dem auch Kaufen und Verkaufen erlaubt ist, über „Berlin Vegan“ oder der internationaleren Gruppe „Berlin Expats“ mit 7000 und 9000 Mitgliedern bis zu „Neu in Berlin Non Alcoholic“ mit zwei Mitgliedern ist für jeden was dabei.

Anastasia, 27, weiß, dass sie nur vier Monate in der Stadt sein wird, deshalb ist sie nicht auf der Suche nach Freunden fürs Leben. Sie ist unsicher, ob die Gruppe es in Ordnung findet, wenn sie nur eine Beschäftigung will, solange sie da ist. Die Administratoren sagen dazu: „Kurzfristige User sind eigentlich nicht so gerne gesehen."

Geschlechterverhältnis ist meist ausgewogen

"Doch es gibt auch Berliner, die ihre ‚Kiez-Scheuklappen' ablegen wollen, um Neues zu entdecken. Gerade für die sind Touristen oder Praktikanten, die nicht hier leben, spannend, denn die informieren sich ganz anders über die Stadt.“ Und natürlich ist Flirten ein Thema. Peter etwa ist der Meinung: „Wenn eine attraktive Frau fragt, ob jemand Lust auf eine Bar hat, bekommt sie schnell mal 50 Antworten, als Mann ist das anders.“ Die Administratoren gestehen: „Der Stammtisch ist für manche eine Baggergelegenheit, doch das Geschlechterverhältnis ist meist ausgewogen, also denke ich nicht, dass das jemand als störend empfindet. Überall wo sich junge Leute treffen entstehen Liebeleien.“

Nicht ganz ohne Stolz erzählen sie von einem Baby, das wohl aus einer Stammtischbekanntschaft heraus entstand. Julia ist erst seit wenigen Tagen in Berlin, sie ist ganz ohne bestimmte Absichten mit der Gruppe unterwegs. „Ich kann vorher nicht wissen, ob hier eine Freundschaft entsteht, eine flüchtige Bekanntschaft oder sogar eine Beziehung. Was passiert, passiert“, sagt die Marketingmanagerin.

Profitgier würde nur zu Problemen führen

Das Konzept der Gruppe hat Erfolg, sie wächst dynamisch. Dies bleibt auch kommerziellen Interessenten nicht verborgen – das Administratoren-Team erzählt von mehreren Angeboten, das Projekt zu kommerzialisieren, sie kommen von Event-Agenturen oder App-Entwicklern. „Das funktioniert in Berlin nicht“, meint ein Administrator dazu, „Niemals!“, der nächste. Profitgier würde nur zu Problemen führen, da sind sie sich einig.

Das spontane Berliner Flair würde verloren gehen und auch die Aufteilung des Gewinns würde nur Zeit und Nerven kosten. Keiner der Administratoren sieht diese Tätigkeit als Full-Time-Job. Dennoch machen sie es gerne. Einer davon sogar jetzt noch, obwohl er seit zwei Jahren in Stuttgart lebt: „Ich wollte das Baby einfach noch nicht abgeben“, sagt er.

Gabriele Scherndl

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