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Fahrt ohne Fahne: Sollte Berlin auch Alkohol in Bussen und Bahnen verbieten?

Immer mehr Städte gehen gegen Alkohol im öffentlichen Nahverkehr vor. In Berlin wartet die BVG auf Zeichen des Senats – für eine Gesetzesänderung.

Hamburg hat’s, München hat’s, Nürnberg hat’s – das strikte Alkoholverbot in Bahnen und Bussen des Nahverkehrs. Und auch Berlin scheint sich in diese Richtung zu bewegen. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) will die Erfahrungen der anderen Städte auswerten – und die BVG wartet auf ein Zeichen des neuen Senats. Denn während der langjährige Innensenator Ehrhart Körting (SPD) strikt gegen ein solches Verbot war, hat sich Nachfolger Frank Henkel (CDU) zumindest in der Opposition für ein Alkoholverbot eingesetzt.

„Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage – ähnlich wie beim Rauchverbot oder auch beim Schwarzfahren“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Jetzt könne man nur über das Hausrecht gegen das Trinken von Alkohol vorgehen – und dies sei nicht angemessen. In den Beförderungsbedingungen ist das Mitbringen von offenen Speisen und Getränken bereits untersagt. Durchgesetzt wird das Verbot jedoch so gut wie nie. „Unsere Mitarbeiter können nur bitten, die Flaschen zu verschließen“, beschreibt Reetz die derzeitige Lage. Weigere sich der Angesprochene, könne man sich nur aufs Hausrecht beziehen und die Polizei rufen, was in der Praxis so gut wie nie vorkomme. Eingegriffen werde dagegen, wenn betrunkene Fahrgäste Mitfahrer belästigten oder gar bedrohten. Hier nutze man das Hausrecht.

Umfragen haben gezeigt, dass sich die meisten Fahrgäste auch belästigt fühlen, wenn neben ihnen gesoffen wird. Zudem wird ein Großteil der Straftaten im Nahverkehr unter Alkoholeinfluss ausgeübt, wobei die mitgeführte Flasche zum Teil als Waffe genutzt wird.

Mit solchen Umfragen haben die anderen Städte ihr Vorgehen gegen das Konsumieren von alkoholischen Getränken in Bahnen und Bussen begründet. Nürnberg hat ein Verbot Anfang 2009 eingeführt, die Eisenbahngesellschaft Metronom folgte in Niedersachsen im November 2009, Hamburg in diesem Jahr, und seit dem Wochenende gilt das Verbot auch bei der S-Bahn in München, wo es ebenfalls schon 2009 in der U-Bahn, der Straßenbahn und den Bussen eingeführt worden war. Wie erfolgreich es war, wird unterschiedlich bewertet. Zahlen gibt es kaum. Die S-Bahn hatte zunächst nicht mitgezogen, weil sie der Ansicht war, dass ein solches Verbot nicht zu kontrollieren sei.

In Berlin gehen seit diesem Jahr aber wieder Polizisten gemeinsam mit BVG-Mitarbeitern auf Streife, was auch ein Durchsetzen von Verboten erleichtert. Die Streifen sind jetzt auch tagsüber unterwegs – und zwar auf allen Bahnhöfen. Bisher war der Einsatz auf Schwerpunktstationen in der Nacht beschränkt. Klar müsse bei einem Alkoholverbot aber auch sein, dass Betrunkene von der Mitfahrt nicht ausgeschlossen werden dürfen, macht Reetz klar. Wer alkoholisiert sei, solle schließlich nicht aufs Auto ausweichen müssen. So lange Angetrunkene andere Fahrgäste nicht belästigten, werde man nicht gegen sie vorgehen.

Praktiziert worden ist ein Alkoholverbot auch im Berliner Raum schon mehrfach. Die Bundespolizei spricht es für Fanzüge zu Fußballspielen regelmäßig aus.

Der Abschied vom Alkohol hat am Wochenende bei der S-Bahn in München, wie zuvor auch in Hamburg, zu einem organisierten Massenbesäufnis in den Zügen geführt. Dabei gab es erheblichen Sachschaden und massive Verspätungen.

Pro

Freitag, 23 Uhr, Ringbahn: Ein Rückkehrer vom verlorenen Hertha- Spiel erklärt seinen Kumpels, warum die drei Neonazis von der Zwickauer Mörderbande gar nicht so verkehrt gelegen haben und Hitler gleich gar nicht. Alle in dem vollen Waggon müssen es mit anhören, aber keiner greift ein, weil der Mann betrunken ist und niemand im Krankenhaus enden möchte, weil er in der Bahn die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigt hat. Drei Tage vorher, ähnliche Zeit, andere Linie: Ein Jungspund lässt entkräftet die Bierflasche zerschellen und kotzt vor dem Aussteigen den Zug voll. Und am Sonntag meldet die Münchner S-Bahn, dass 50 Züge leider in die Werkstatt müssen, nachdem sie beim Abschiedssaufen am Vorabend verwüstet wurden. Soweit die vergangenen Tage. Die Aufzählung ließe sich beliebig ergänzen – etwa durch den Fall des volltrunkenen Torben P., dessen Opfer knapp überlebte. Ein Alkoholverbot in Bus und Bahn würde die Gefahr, an solche Leute zu geraten, deutlich senken. Von den „Argumenten“ der Verantwortlichen ist nur eines plausibel: Die Durchsetzung erfordert Aufwand. Es gilt, ein Gewohnheitsrecht der besonders üblen Art zu brechen. Auf der Gegenseite stehen jährlich ein paar Millionen Euro Schäden, einige Verletzte und viele Leute, die bisher aus Angst nicht Bus und Bahn fahren. Ist es wirklich so schwer zu entscheiden, was wichtiger ist? Stefan Jacobs

Contra

Schon wieder ein neues Verbot, das erstens überflüssig und zweitens sowieso nicht durchsetzbar ist: Überflüssig, weil man gegen das, was es eigentlich bewirken soll, auch so vorgehen kann. Prügeln, Randalieren, Pöbeln oder auch nur ruhestörender Lärm könn(t)en schon jetzt verfolgt oder bestraft werden. Dafür gibt es Gesetze und Verordnungen. Außerdem dürften die wenigsten, die entsprechend kriminell oder belästigend auftreten, sich erst in der Bahn oder im Bus betrinken. Und bereits angetrunkene Fahrgäste können auch schon jetzt von der Fahrt ausgeschlossen werden. Das Problem sind also nicht fehlende Verbote sondern fehlende Kontrollen beziehungsweise Kontrolleure. Deshalb wäre das Alkoholverbot nicht durchsetzbar und reichlich populistisch – ungefähr so, als würde man an einer stehenden S-Bahn herumruckeln, damit die Fahrgäste drinnen das Gefühl haben, es gehe vorwärts.

Außerdem: Wer je beim Angeln an einem norwegischen Strand 1000 Kronen (130 Euro) für das in der Öffentlichkeit verbotene Trinken eines Bieres zahlen musste, weiß die deutsche Liberalität zu schätzen. Leider wird diese zunehmend eingeschränkt, um mehr Sicherheit im öffentlichen Leben vorzugaukeln. Dafür reicht allerdings ein Alkoholverbot nicht aus. Verboten werden müssten dann konsequenterweise auch andere Drogen, aber auch zu wenig Schlaf oder einfach nur schlechte Laune. Sandra Dassler

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