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Fairer Handel unterm Funkturm: Tempelfantasien auf dem Seidenkleid

Kambodschanische Mode ist zu traditionell für Europa. Das ändert sich. Junge Designer entwickeln Neues in Phnom Penh. Ihre Entwürfe kann man jetzt auf der Fair-Trade-Messe "Bazaar Berlin" bewundern.

Es ist Donnerstagabend, als Anne Lonnes in Phnom Penh den Hörer abnimmt. Vor knapp neun Monaten zog die gebürtige Neusserin nach Kambodscha. Ausgerechnet hier, im Land der Sweatshops und billiger Kleidung sollte sie Nachwuchsdesigner darin unterrichten, wie faire Mode funktioniert. „Der erste Kurs war sehr erfolgreich“, berichtet die junge Frau der Journalistin in Berlin am Telefon.

Anne Lonnes ist Chefin im Modern Ethnic Design Center (MEDC). Dabei ist es gerade einmal ein Jahr her, da hatte sie selbst noch am Fashion Design Institut (FDI) in Deutschland studiert und zum Beispiel avantgardistische Outfits aus Plastiklöffeln und Schaumstoff entworfen. Von der Schulbank in Düsseldorf in die Schulleitung in Phnom Penh: Das nennt man einen großen Karrieresprung. „Der Job kam über meine Uni zustande“, erzählt die Absolventin. Ideengeber war die Fair Trade Messe „Bazaar Berlin“. Ein ähnliches Projekt gab es schon in Ägypten. Die Resonanz war so positiv, dass der Wunsch entstand, noch mehr junge Talente in den sogenannten Entwicklungsländern zu unterstützen, diesmal in Südostasien. Mit dem FDI konnte ein starker Bildungspartner gewonnen werden.

Kurze Zeit später reiste Lonnes in die kambodschanische Hauptstadt. Sie organisierte Möbel und Nähmaschinen, plante das Budget. Mitte Februar wurde das MEDC offiziell eröffnet. Drei Kurse, jeweils mit einer Dauer von einem Jahr, bietet die Modeschule an. Bis zu 15 asiatische Designerinnen und Designer bekommen jedes Jahr die Chance, eine nachhaltige Kollektion für den europäischen Markt zu entwerfen: Kleider, Schmuck oder Accessoires. Die Ausbildung endet mit der Messe in Berlin, wo ausgewählte Modeschöpfer ihre Kreationen präsentieren – und hoffentlich verkaufen können.

Die alten Schnittmuster passen nicht

Aber was trägt die europäische Frau gern? „Die Trends waren ein großes Thema in den Workshops“, berichtet Lonnes. Auch wenn es in Kambodscha viele kleine Labels gebe, seien ihre Produkte „schwierig für den deutschen Markt“. „Alles, was ich gesehen habe, war viel zu traditionell.“ Die Röcke zu lang, die Jacken zu schmal. Überhaupt sei die kambodschanische Mode sehr figurbetont. Die Europäerinnen mögen es eher bequem. Deshalb mussten die Kursteilnehmer lernen, moderne Schnittmuster zu erstellen. Zu wild durfte es natürlich nicht werden. „Manchmal musste ich ihnen den Wind aus den Segeln nehmen“, sagt Lonnes lachend. Denn sie sollten darauf achten, ob der Entwurf im Alltag taugt.

Seila Polham haben die professionellen Schulungen und Ratschläge weitergebracht. „Ich habe ein besseres Gefühl für Konfektionsgrößen und Farben“, sagt die Gründerin des Modelabels „Khmer Artisanry“. Außerdem habe sie begriffen, wie wichtig Samples, also erste Musteranfertigungen ihrer Kleider sind. „Früher fehlte mir der kritische Blick auf meine Designs“, sagt die 38-Jährige. Das ist heute anders. Sie achte jetzt viel mehr auf die Details und auf die gute Qualität der Verarbeitung.

Die Khmer sind berühmt für handgewebte Seide

Dass Seila Polham nicht bloß neue Schnitte übte, sondern vor allem ihren eigenen Stil verfeinern konnte, hängt mit Lonnes’ Arbeitsweise zusammen. „Wir sind von Anfang an sehr auf die Teilnehmer eingegangen“, sagt die Trainerin. Oft habe sie viel Geduld aufbringen müssen. Kaum etwas klappt in Kambodscha gleich beim ersten Anlauf. Und weil die Kurse auf Englisch stattfanden, kamen Kommunikationsprobleme dazu. Dennoch sei sie stolz darauf, wie viel seit dem Start im Februar erreicht wurde, sagt sie und klingt ein wenig wehmütig. Den kommenden Kurs wird eine neue Kollegin leiten.

Noch bevor Lonnes ihre Koffer für die Heimreise packte, besuchte sie noch die lokalen Werkstätten und Webereien. Hier lassen ihre Schützlinge die Entwürfe herstellen. „Wir legen großen Wert auf die transparente Produktion“, sagt Lonnes. Kein einfaches Thema hier im Land. „Die Arbeitsbedingungen sind immer noch weit entfernt von unseren Standards“, beklagt Lonnes.

Die Stoffe werden mit Blüten, Blättern und Baumrinden gefärbt

Made in Kambodscha: Für die Textilarbeiterinnen und -arbeiter bedeutet es, die Muster umzusetzen, die internationale Ketten diktieren. Im MEDC hingegen dürfen die einheimischen Designer selbst kreativ werden. Die Khmer sind berühmt für ihre hochwertige, handgewebte Seide.

Die Stoffe werden mit Blüten, Blättern und Baumrinden gefärbt. Auch Seila Polham schöpft aus der reichen Tradition. Die Muster für ihre Kollektionen sind von den Mauerverzierungen der kambodschanischen Tempel inspiriert. Die typischen geometrischen Formen entstehen durch eine spezielle Färbe- und Webtechnik, auch als ikat bekannt – eine selten gewordene Kunst in Kambodscha.

Vielleicht ändert sich das bald. „Meine Entwürfe sind für Frauen jedes Alters geeignet“, sagt Polham. Gut möglich, dass das eine oder andere Stück demnächst in einem Berliner Kleiderschrank seinen Platz findet. So könnte Polham einen Teil ihrer Kultur bewahren – und selbst davon leben.

Tipps für die Messe "Bazaar Berlin"

Geschenke, Geschichten und Kreatives aus aller Welt: Auf der internationalen Verkaufsmesse „Bazaar Berlin“ können Besucher wieder Kunsthandwerk, Naturwaren und Fair-Trade-Produkte aus über 60 Ländern erwerben. Mehr als 500 Händler und Hersteller sind mit den schönsten Waren ihrer Heimat angereist und verwandeln das Messe- gelände Berlin wie jedes Jahr im November in einen exotischen Ort, an dem man die Vielfalt und den Charme der Welt entdecken kann. So finden Besucher auf dem „World Market“ zum Beispiel landestypisches Kunsthandwerk aus Glas, Keramik und Porzellan, hochwertigen Schmuck und Accessoires sowie viele Produkte rund um ein gesundes Leben.

Termin: 8. bis 12. November 2017, Mittwoch bis Sonnabend: 10 bis 20 Uhr, Sonntag: 10 bis 19 Uhr

Ort: Messegelände Berlin, Hallen: 11.1, 12, 13, 14.1, 15.1, 16, 17, 18; Eingänge (Tageskassen): Eingang Ost (Halle 14), Eingang Nord (Halle 19)

Verkehrsanbindung:

U-Bahn: U2 bis Kaiserdamm

S-Bahn: S41, S42, S46 (Messe Nord/ICC), S5, S7, S75 (Westkreuz)

Eintritt: 12,50 Euro, ermäßigt 9,50 Euro, online 9,50 Euro, Schulklassen vier Euro; freier Eintritt für Kinder bis sechs Jahre an allen Tagen. Sonnabend und Sonntag haben Kinder bis 14 Jahre in Begleitung von Erwachsenen freien Eintritt.

Mehr Infos unter: bazaar-berlin.de

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