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Kurras

© ddp

Fall Kurras: Erst kam die Stasi – dann die Polizei

Neue Akten der Birthler-Behörde zeigen, wie oft Karl-Heinz Kurras dem Geheimdienst berichtete.

Der Mann war sein Geld wert. Jahrelang funkte der West-Berliner Kriminalpolizist Karl-Heinz Kurras seine Berichte über die Zonengrenze an das Ministerium für Staatssicherheit. Sein Fleiß, das zeigen die nun veröffentlichen Bände seiner Stasi-Akte, war wirklich groß – und er wusste bald, womit er den Genossen drüben, im „demokratischen“ Teil von Berlin, eine Freude machen konnte.

Geliefert hat Kurras vom April 1955 bis zum Juni 1967, das war vor wenigen Wochen zufällig bekannt geworden. Am 2. Juni erschoss Kurras den Studenten Benno Ohnesorg bei einem Einsatz gegen Demonstranten. Warum er das tat, ist noch immer nicht geklärt. Derzeit prüft die Staatsanwaltschaft den letzten Band von Kurras’ Stasi-Akte auf eventuelle neue Erkenntnisse über seine Motive für den tödlichen Schuss.

Die nun vorliegenden Kopien der Stasi-Protokolle und Berichte, ein paar tausend Seiten sind es, erzählen die Geschichte eines leidenschaftlichen Polizisten – mit durchaus erkennbarem Faible für die SED und die DDR. Wann immer Kurras Stimmungsberichte aus seiner Abteilung lieferte, schätzte er auch ein, wie viele seiner Kollegen den Osten, die DDR, die SED, die Kommunisten hassten. Und im August 1964 fragte er seine Stasi-Kurierin, ob er inzwischen Mitglied der SED geworden sei. Was sie ihm bestätigte.

Eifrig, ehrgeizig, strebsam war Kurras nicht nur als Polizist, der in der West-Berliner Polizei schnell Karriere machte und später bis in die fast allwissende politische Abteilung aufstieg. Ambitioniert war er auch als Informant. Mit seinen Arbeitsmitteln, einer Minox-Kamera und einem Funkgerät, hielt er die Abteilung VII der Stasi auf dem Laufenden. Kurz nach der Kuba-Krise im Herbst 1962 berichtete er, dass man in der Polizei Verstärkung durch westdeutsche Einheiten erwartete, doch „die Alliierten nahmen Abstand davon.“ In dem Zusammenhang sei der Gedanke aufgekommen, einen „allgemeinen Polizeidienst“ einzurichten, der beim Bedarf „in vorderster Front“ kämpfen sollte. Da kündigte sich wohl die „Freiwillige Polizeireserve“ an.

Wenige Monate später in dieser Zeit der sich jagenden Berlin-Krisen informierte Kurras über die Stimmung vor dem Kennedy-Besuch: Mit Attentaten werde nicht gerechnet. Mögen solche Berichte für die Stasi nur Mosaik-Steinchen gewesen sein – Kurras wusste längst, womit er seinem geheimen Arbeitgeber eine Freude machen konnte. Jede kleine organisatorische Veränderung bei der Polizei teilte er mit, jeder Karriereschritt von Kollegen wurde berichtet und bewertet – kein Wunder, dass ältere (West-)Berliner Polizisten noch heute sagen: „Die wussten alles über uns.“

Obendrein legte Kurras auch mal eine zwanzigseitige interne Telefonliste der Polizei in den toten Briefkasten oder berichtete, mit welchen Autos die West-Berliner Verfassungsschützer unterwegs waren. Sogar bei Auslandsaufenthalten dachte er an die Stasi. Im September 1966 teilte er nach einer Reise nach Italien mit, im August seien im Hafen von Neapel „erhebliche Flottenkonzentrationen der Amerikaner mit kleineren Kriegsschiffen festgestellt“ worden. Sein Führungsoffizier Werner Eiserbeck vermerkt die „Anlage: 4 Farbdias und 2 Schwarz-Weiß-Bilder vom Hafen“.

Noch wichtiger als Kurras’ Dienstfertigkeit dürfte der Stasi sein Pflichtgefühl gewesen sein. Erst kam die Stasi, dann sein Beamtenverhältnis mit der Polizei im Westen. Das zeigt in aller Deutlichkeit die Geschichte des IM Heinrich Schwarz – darauf haben die beiden Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs und Cornelia  Jabs in ihrem Enthüllungs-Aufsatz über Kurras schon hingewiesen. Nun zeigt eine Reihe von Berichten, dass der West-Berliner politische Kriminalpolizist Kurras als „Otto Bohl“ die Genossen im Osten vor einer Verhaftung warnte – die er selbst vornehmen sollte. Kurras/Bohl warnte nicht nur, er wies darauf hin, dass die Verdachtsgründe gegen den IM dürftig seien.

Immer wieder finden sich in den Stasi-Akten Hinweise darauf, dass Kurras über die Gefahren seiner Arbeit belehrt werden musste: Er riskierte mehr, als den biederen Führungsoffizieren recht war. So viel Leidenschaft wie für das Spionieren hatte Kurras sonst wohl nur für das Schießen.

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