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Tagesspiegel-Kolumnistin Dr. Elisabeth Binder.

© Tsp

Fallstricke des Alltags: Nur Deutsche kommen zu früh

Einmal in der Woche fragen Sie Elisabeth Binder, wie man mit komplizierten oder peinlichen Situationen so umgeht, dass es am Ende keine Verstimmungen gibt: So kann's gehen.

Wann bin ich eigentlich genau pünktlich, wenn ich zum Essen eingeladen bin? Gelernt habe ich mal, dass man am besten zwischen 19.05 und 19.10 Uhr eintreffen sollte, spätestens aber um 19.15 Uhr. Oder wäre es richtiger, exakt um 19 Uhr vor der Tür zu stehen?

Brigitte, genau

Für ausländische Diplomaten ist der deutsche Hang zur Pünktlichkeit eine unerschöpfliche Quelle des Staunens und auch der Erheiterung. Auf Posten in anderen Ländern mussten sie nie fürchten, dass irgendjemand auftauchte vor der auf der Einladungskarte angegebenen Zeit. In Deutschland ist es offenbar so, dass viele Gäste bis zu zwanzig Minuten oder mehr vor Beginn eines Empfangs oder einer Dinnerparty auf der Matte stehen.

Warum das so ist, dazu gibt es verschiedene Theorien. Eine naheliegende geht davon aus, dass die angegebene Zeit als Anfangszeit verstanden wird. Dass man also deutlich vorher da sein muss, um gegebenenfalls Mantel und Tasche an der Garderobe abzugeben, auch eine Zeit des Anstehens einkalkulieren sollte. Kurios bleibt das Phänomen für ausländische Beobachter, wie auch Ihre Frage vermutlich als „typisch deutsch“ empfunden werden könnte.

Wenn Sie den Ehrgeiz haben, exakt um die Uhrzeit anzuklingeln, die auf der Einladung angegeben ist, werden Sie in der Regel ein bisschen zu früh dran sein, und ein paar Runden um den Block ziehen müssen, um die Zwischenzeit zu überbrücken. Ganz pünktlich kann man wohl nur sein, wenn man bei den Nachbarn eingeladen ist und alle Unwägbarkeiten des Verkehrs ausschalten kann.

Erfahrene Gastgeber rechnen mindestens eine halbe Stunde für den Aperitif ein, bevor es wirklich ernst wird und das warme Essen auf den Tisch kommt. Wenn Sie irgendwann zwischen 19 Uhr und 19.15 Uhr ankommen, machen Sie also nichts falsch und dürfen sogar noch auf ein Glas Sekt hoffen. Wer mehr als 30 Minuten nach der angegebenen Zeit zur Dinner-Party kommt, sollte freilich eine gute Entschuldigung im Gepäck haben. Fahrlässige Verspätungen in dieser Größenordnung offenbaren einen Mangel an Achtung vor den Mühen der Gastgeber.

Bitte schicken Sie Ihre Fragen mit der Post (Der Tagesspiegel, „Immer wieder sonntags“, 10876 Berlin) oder mailen Sie sie an: meinefrage@tagesspiegel.de

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