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Vor Prozessbeginn berät sich Denny H. mit seinen Anwälten. Gleich wird er erklären, warum er unbedingt Arzt werden wollte.

© Rainer Jensen/dpa

Falscher Schiffsarzt von der Aida vor Gericht: Das Geständnis des Hochstaplers Denny H.

Er gab den Schiffsarzt auf einem Kreuzfahrtschiff, überwachte Organtransplantationen in Berlin – und wurde als Hochstapler enttarnt. Vor Gericht zeigt sich Denny H. selbstkritisch.

Es tut ihm fürchterlich leid, sagt er. Er wollte doch nur helfen. Um Geld sei es nie gegangen! Aber kann man ihm glauben? Erstens müssen Beschuldigte vor Gericht bekanntlich nicht die Wahrheit sagen. Und zweitens sitzt Denny H. ja genau deshalb auf der Anklagebank: weil er jahrelang ausgiebig, hartnäckig und sehr überzeugend gelogen haben soll.

An diesem Donnerstag spricht der 41-Jährige hastig und nuschlig, als er erklärt, was er an Bord der „Aida Vita“ alles behandelte. Da war die entzündete Stelle am Unterschenkel von Rosemarie W., „ein nicht unerheblicher Infekt“, sagt er. Es gab Antibiotika. Ein anderer Passagier war beim Landgang so unglücklich gestürzt, dass Denny H. einen Hautlappen an einen Finger nähen musste. Er weiß noch genau, wie er bei Kreislaufbeschwerden Infusionen gab und, na klar, immer wieder Spritzen gegen Seekrankheit setzte. Stets zur Zufriedenheit der Patienten. Bloß eben, dass die nicht ahnten, wen sie da vor sich hatten.

Zum Gerichtstermin ist Denny H. in gebügelter Stoffhose und mit Flicken an den Ellenbogen erschienen. Sehr akkurat für einen, der seit sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Sein kurzes blondes Haar fällt leicht nach links. Im Gesicht sieht Denny H. dem Komiker Michael Kessler ähnlich, sogar mit betrübter Miene.

Von Juni 2014 bis November 2015 war Denny H., eigentlich Pfleger von Beruf, als Schiffsarzt bei der Kreuzfahrtlinie Aida beschäftigt. Die meiste Zeit verbrachte er auf der „Aida Vita“ in der Karibik. 1200 Passagiere passen aufs Schiff, dazu 400 Mann Besatzung. Davor hatte H. in Berlin und Umgebung die Transplantation von Organen koordiniert. An der Charité hielt er Vorträge, in einer Praxis in der Charlottenburger Bismarckstraße gab er sich vertretungshalber als Anästhesist aus.

Zu Prozessbeginn verliest sein Anwalt eine Erklärung. Darin steht, dass Denny H. schon im Alter von neun Jahren Arzt werden wollte. Inspiriert hätten ihn die Medizinmänner in den Büchern von Karl May. Ausgerechnet Karl May.

Angeklagt wegen Körperverletzung und Urkundenfälschung

Dauerhaften Schaden hat wohl keiner seiner Patienten davongetragen. Trotzdem muss sich Denny H. für 80 Anklagepunkte verantworten, vor allem wegen gefährlicher Körperverletzung und Urkundenfälschung. Die ging ganz leicht, sagt der Beschuldigte. Zum Beispiel die Approbationsurkunde, also der Nachweis über das Staatsexamen und somit die Berufszulassung. Er hat sie im Internet als Vorlage gefunden, ausgedruckt, seinen Namen eingetragen und dann wieder eingescannt. Weil er kein Original, sondern nur eine beglaubigte Kopie einreichen musste, hat er noch den entsprechenden Beglaubigungsvermerk gefälscht. Wie so etwas aussieht, hat sich Denny H. einfach von seinem eigenen Personalausweis abgeschaut. Auf dem hatte das Bezirksamt Pankow Jahre zuvor einen entsprechenden Vermerk gemacht.

Warum das alles? Die Begründung klingt so abenteuerlich wie der Fall selbst: Denny H. habe die Zustände an der Stendaler Klinik, an der er seine Ausbildung zum Pfleger erhielt, nicht mehr ertragen – dort habe man sich vor allem um Profitmaximierung und viel zu wenig um die Patienten gekümmert. Die Klinik bestreitet das.

Er war auch „Ethikbeauftragter“

Der Richter möchte wissen, ob es dem Angeklagten nicht doch ums Geld gegangen sei. Oder vielleicht um „eine Art Selbstaufwertung“? Nein, nein, sagt Denny H. „Ich habe es immer nur für die Menschen gemacht.“ Allein von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), bei der er nicht nur als Koordinator, sondern auch als „Ethikbeauftragter“ fungierte – bekam er 300 000 Euro brutto. Das waren 7000 im Monat. Dieses Geld habe H. gebraucht, um sein Haus in Sachsen-Anhalt abzubezahlen, sagt er. Dazu die Miete für seine Berliner Wohnung und der Unterhalt für die heute achtjährige Tochter. Weil auf der Aida alle Patienten privat abgerechnet werden, habe er dort eine Umsatzbeteiligung erhalten. Diese Praxis finde er allerdings „ethisch eher schwierig“, sagt er jetzt.

Der Richter hat Probleme damit, die diversen Urkunden und Zeugnisse, die Denny H. im Laufe der Jahre gefälscht hat, auseinanderzuhalten. Aufgeflogen ist der Beschuldigte schließlich, weil er bei der Berliner Ärztekammer einen neuen Arztausweis beantragte und sich dort „Cato“ als zweiten Vornamen eintragen lassen wollte – so hieß eigentlich sein Kampfhund. Warum das denn nun wieder, fragt der Richter. „Das kann ich mir heute auch nicht mehr erklären.“ Seinen echten Namen habe er einfach nie gemocht.

Zumindest ein Zeugnis hat er nicht gefälscht

In den Unterlagen der Staatsanwaltschaft findet sich auch ein Arbeitszeugnis der DSO, und das ist zur Abwechslung nicht gefälscht. Darin bescheinigt die Stiftung Denny H., er habe stets sorgfältig, präzise und selbstständig gearbeitet. Dann noch der Satz: „Besonders hervorheben möchten wir sein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine sehr starke Eigeninitiative.“

Den ganzen Vormittag über beantwortet Denny H. die Fragen des Richters. Er sagt, er habe sich viel Arztwissen angelesen, besitze 1000 Fachbücher. Auch den konkreten Zeitpunkt, als er sich fürs Lügen entschied, kann er nennen: Es war ein dreimonatiger Aufenthalt in einem burmesischen Kloster. Anschließend behandelte er die dortige Landbevölkerung. Niemand habe nach Urkunden gefragt. „Ich bereue, dass ich damals nicht einfach Medizin studiert habe“, sagt er. „Dann wäre ich jetzt nicht hier.“

Sechs weitere Prozesstermine sind angesetzt. Unter anderem sollen Sachverständige erklären, wie gefährlich die Eingriffe von Denny H. tatsächlich waren und was hätte passieren können. Der Beschuldigte sagt: „Ich weiß, es mag für das Gericht komisch klingen, aber ich hatte bei meiner Arbeit immer sehr hohe moralische Ansprüche.“ Nach seiner Haftentlassung, wenn irgendwann sein neues Leben beginne, werde er nie wieder im medizinischen Bereich arbeiten. Hochstapler-Ehrenwort.

Denny H. sagt auch, er habe Angst vor dem Moment, wenn er seiner Tochter erklären muss, warum er gerade im Gefängnis sitzt. Sie weiß noch gar nicht, dass ihr Vater kein richtiger Arzt ist. Er ließ ihr ausrichten, er befinde sich auf einer langen Reise.

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