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Wenn Kinder im Kino Angst bekommen. Manchmal hilft es, einen Moment lang wegzuschauen, sich die Ohren zuzuhalten, die Hände fest zu drücken oder etwas Kühles zu trinken. Wenn das Kind kurz rausgehen möchte, bis die Angst abgeklungen ist, kann auch das eine Strategie sein.

© Getty Images/iStockphoto

Familie: Augen zu und durch

Kinder haben oft Angst. Vor dem Alleinsein, Monstern oder Fremden. Das ist normal. Mit Ängsten umzugehen können sie aber lernen – mithilfe der Eltern.

Neulich im Kino: Vier fiese Wildschweine bedrohen die tierischen Helden des Films. Sie dringen in den Hof von Hahn, Schwein und Maus ein. Zerstören die Teller auf dem gedeckten Tisch und terrorisieren die Tiere. Und das alles nur, um die Geburtstagstorte zu bekommen. Eine vierjährige Zuschauerin findet die Filmszene so angsteinflößend, dass sie am liebsten aus dem Kinosaal gehen will. Die Mutter besteht aber darauf, dort zu bleiben, damit das Kind das gute Ende des Films miterlebt und nicht denkt, dass die bösen Wildschweine die Oberhand behalten. Hinterher fragt sie sich, ob sie es richtig gemacht hat.

Das Kind genau beobachten

„Die Idee der Mutter, ihrer Tochter das positive Ende des Filmes zu zeigen, ist generell nicht falsch“, sagt Barbara Schröder, die gemeinsam mit Julia Brouka das Buchs „Angst. Wie Kinder sie überwinden“ (Beltz Verlag) geschrieben hat. „Die Mutter möchte erreichen, dass das Kind mit einem guten Gefühl aus dem Film geht. Eine solche Aufforderung kann jedoch beim Kind Druck aufbauen und den innerlichen Stress erhöhen: Ich muss das schaffen, was Mama mir sagt“, sagt Schröder. „Wir raten Eltern in solchen Situationen, genau zu beobachten, wie stark das Kind reagiert und welche körperlichen Angstzeichen es zeigt. Manchen Kindern helfen einfache Strategien, um die innerliche hohe Erregung anzupassen und die Situation auszuhalten, zum Beispiel einen Moment lang wegschauen, sich die Ohren zuhalten, die Hände fest drücken oder etwas Kühles trinken. Durch solche Strategien kann die Mutter ihr Kind in der Situation begleiten und es dabei stärken, mit der Situation umzugehen. Wenn das Kind von sich aus den Kinosaal verlassen möchte, bis die Angst abgeklungen ist und es neuen Mut hat, weiterzuschauen, kann auch dies eine Strategie sein. Wichtig ist, das Kind durch diese Situation zu begleiten, sodass es lernen kann, mit Ängsten positiv umzugehen.“

Kinder nicht abschirmen

Wäre es also besser, erst gar nicht einen Film zusammen anzuschauen, vor dem das Kind Angst haben könnte? Nein, meinen Julia Brouka und Barbara Schröder. Als Ergotherapeutinnen helfen die beiden seit Jahren Kindern und Jugendlichen unter anderem dabei, Strategien gegen die Angst zu finden. Gemeinsam veröffentlichten sie die Untersuchung „Unsichere und ängstliche Kinder – Ergotherapie bei Angsthasen“. Sie sind sicher: Kinder sollten nicht von Ängsten abgeschirmt werden. „Wenn die Mutter weiß, dass ihr Kind auf solche Filme ängstlich reagiert, kann sie ihr Kind im Vorhinein auf die Situation vorbereiten und gemeinsam mit ihm Strategien überlegen, was das Kind in dem Moment tun kann, wenn es eine Szene als unheimlich empfindet“, sagt Barbara Schröder. „Wenn Eltern ihre Kinder von angstbesetzten Situationen fernhalten, kann ein Kind keine neuen Erfahrungen sammeln und keine eigenen Bewältigungsstrategien ausprobieren. Und es lernt daraus, dass die Angst begründet ist, da die Eltern es offenbar auch so empfinden.“

Angst kann Leben retten

Jeder Mensch hat von Zeit zu Zeit Angst. Das ist eine natürliche Reaktion des Körpers, die schützt und warnt. „Angst lässt uns aufmerksam und wachsam werden und kann sogar Leben retten, zum Beispiel im Straßenverkehr“, sagt Julia Brouka. Wovor Kinder Angst haben, ändert sich im Laufe ihrer Entwicklung. Bis sie ein halbes Jahr alt sind, haben Kinder typischerweise Angst vor intensiven Reizen, zum Beispiel lauten Geräuschen, und vor dem Verlust von Zuwendung. Ab dem siebten Monat sind es fremde Menschen und die Trennung von vertrauten Personen, die Kindern Angst machen: Das Fremdeln beginnt. Mit zwei bis vier Jahren erleben Kinder eine magische Phase. Ihre Ängste sind geprägt von Fantasie-Kreaturen wie Monstern und Gespenstern, aber auch Dunkelheit. Mit fünf bis sieben Jahren sind Ängste vor Naturkatastrophen typisch. Feuer, Blitz und Donner gehören dazu. Aber auch Tiere und Arztbesuche jagen Kindern in diesem Alter besonders Angst ein. Von acht bis elf Jahren fürchten Kinder dann beispielsweise schlechte schulische Leistungen, Verletzungen und Krankheiten: Im Teenager-Alter flößt die Ablehnung durch gleichaltrige Kinder Angst ein.

Manche weinen, andere werden wütend

Ob ein Kind unter Ängsten leidet, ist für Eltern nicht immer leicht zu erkennen. „Ängste zeigen sich unterschiedlich: als Schwitzen, Erröten oder Herzklopfen zum Beispiel. Und sie lösen unterschiedliches Verhalten aus“, sagt Julia Brouka. „Während der eine weint und sich zurückzieht, wenn er auf das hohe Klettergerüst klettern soll, wird der andere leicht reizbar und wütend. Für uns Erwachsene ist nicht immer klar ersichtlich, dass dahinter eine Angst steckt. Eltern sollten sich Zeit für ihr Kind nehmen, ein offenes Ohr haben und es genau beobachten, um zu lernen, die Gefühle des Kindes besser einzuschätzen und Ängste zu erkennen.“

Ist die Angst erkannt, können Eltern und Kinder gemeinsam daran arbeiten, sie zu überwinden. Eltern sind dabei Vorbild. Wenn sie gut mit ihren Ängsten umgehen und über ihre Gefühle sprechen, lernt das Kind das auch. Julia Brouka und Barbara Schröder empfehlen, zusammen Geschichten zu lesen, in denen die Leitfigur Angst zeigt und mit ihr umzugehen lernt. Eltern und Kinder können sich zusammen Strategien gegen die Angst überlegen und sie ausprobieren.

„In angstbesetzten Situationen bieten Rituale Sicherheit“, sagt Barbara Schröder. „Wenn die Eltern das Hinbringen in den Kindergarten etwa immer gleich gestalten, kann sich das Kind leichter trennen. Und auch beim Ins-Bett-Bringen helfen klare Regeln: dieselbe Reihenfolge, dieselbe Uhrzeit. Auch das Kind sollte üben, Grenzen zu setzen und Stopp zu sagen, wenn ihm etwas zu viel wird.“

Das können Kinder beim Gruseln lernen, etwa mithilfe von Gespenstergeschichten. „Der Spaß am Nervenkitzel kommt früher oder später bei jedem Kind“, erklärt Brouka. „Gruseln ist das bewusste, kontrollierte Spielen mit der eigenen Angst, bei dem das Kind ein Gespür für die Anspannung im eigenen Körper bekommt. So lernen Kinder, die Angst auszuhalten und zu bewältigen. Das ist ein wichtiger Entwicklungsfaktor.“

"Du schaffst das"

Einige Dinge sollten Eltern beim Umgang mit kindlichen Ängsten unbedingt vermeiden: dem Kind die Angst ausreden, es mit anderen vergleichen oder es unter Druck setzen. Wenn das Kind sich zum Beispiel nicht von der hohen Rutsche hinuntertraut, seien Sätze wie „Du brauchst keine Angst zu haben“ nicht hilfreich, ebenso wenig „Deine Freundin schafft das doch auch und hat keine Angst“ oder „Nun mach schon: Du rutschst jetzt“. Stattdessen sollten Eltern das Kind ermuntern und seine Sorgen ernst nehmen: „Die Rutsche ist wirklich hoch. Atme tief durch. Du schaffst das.“

Dass Ängste gar nicht erst stark werden, auch das kann man durch die Erziehung beeinflussen. „Ein Kind, das sich geliebt und verstanden fühlt und ein gutes Selbstbewusstsein hat, sich seiner Stärken bewusst ist, bleibt in angstbesetzten Situationen ruhiger als unsichere Kinder“, sagt Brouka. Schröder ergänzt: „Ängstlichen Kindern hilft es, wenn sie ernst genommen werden. Schon ganz kleine Kinder wachsen daran, wenn sie eine kleine Aufgabe übernehmen dürfen. Ob gemeinsam oder allein, etwas zu schaffen weckt Selbstvertrauen und macht stark.“ Nicht immer ist solche Hilfe von außen nötig. Kinder entwickeln selbst Strategien oder schauen sie bei anderen ab, um ihre Ängste aushalten zu können. „Manche Kinder ermutigen sich durch Mutmachsprüche, andere zählen vor sich hin, atmen bewusst tief ein und aus oder singen ein Lied zur Ablenkung. Manche Kinder suchen das Gespräch mit den Eltern oder verarbeiten angstbesetzte Situationen durch Rollenspiele“, sagt Schröder. So kann das Kind seine Strategie gegen die Angst im geschützten Rahmen ausprobieren und später im Alltag einsetzen.

Die Vierjährige, die Angst vor den Zeichentrick-Wildschweinen bekam, wollte in den Wochen nach dem Kinobesuch immer wieder deren Geschichte erzählt bekommen. Sie fing an, das Erzählte zu variieren und sich neue Abenteuer auszudenken. Bis die Wildschweine nicht mehr bedrohlich waren.

TIPPS UND INFORMATIONEN:

Wenn Ängste das alltägliche Leben des Kindes einschränken, sodass früher vollkommen normale Aktivitäten nicht mehr möglich sind, sollten die Eltern sich professionelle Hilfe holen. Ebenso wenn Eltern stark verunsichert sind und nicht wissen, wie sie ihr Kind unterstützen können. Erster Ansprechpartner ist der Kinderarzt. Er kann die Behandlung durch einen Kinderpsychiater empfehlen.

TELEFONISCHE HILFE

Das Elterntelefon der „Nummer gegen Kummer“ berät unter der Telefonnummer 0800-1110550 Eltern anonym und kostenlos und vermittelt den Kontakt zu Beratungsstellen in der Nähe. Weitere Infos unter www.nummergegenkummer.de

BÜCHER GEGEN ANGST

In „Rosi in der Geisterbahn“ (Philipp Wächter) überwindet ein Hase seine Angst, eine furchtlose Maus ergründet das Gefühl in „,Hast du Angst?‘, fragte die Maus“ (Rafik Schami, Kathrin Schärer, beide Bücher Beltz & Gelberg). Auch „Das mutige Buch“ von Moni Port (Klett Kinderbuch) empfiehlt sich. dogru/dma

Dorothee Grüner

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