zum Hauptinhalt
Viel los hier: Das Tempelhofer Feld.

© dpa

Familien-Kolumne: Feldforschung in Tempelhof

Die Frau sagt: "Lass uns doch mal rausfahren zum Tempelhofer Feld." Sven Goldmann macht einen Familienausflug, der früher ganz harmlos gewesen wäre - mittlerweile aber hochpolitisch ist.

Die Frau sagt: „Lass uns doch mal rausfahren zum Tempelhofer Feld. Es gibt da in der Nähe eine Bude mit ganz großartigen Burgern, und noch sind da keine Hochhäuser und keine künstliche Seen, und hast du das Modell gesehen von der Bibliothek, die sie da hinbauen wollen, um Gottes Willen!“

Die Frau hat, wie immer, natürlich recht. Wir sind mit den Kindern immer gern auf dem Tempelhofer Feld gewesen, lange bevor es ein Politikum war. Mittlerweile kann man da ja nicht mehr wertfrei hingehen. Jeder Spaziergang ist immer ein Statement in einer höchst komplexen Angelegenheit.

Es ist ein bisschen wie früher bei den Grünen: Fundamentalos und Realos ringen um die Meinungshoheit, wobei ich nicht so genau weiß, wer im konkreten Fall nun Fundi ist und wer Realo. Wer das Feld nicht antasten will und fragt, ob man Wohnungen auch woanders bauen könnte, der steht für 100 Prozent Stillstand und gegen Entwicklung, für Egoismus und gegen das Allgemeinwohl. Für den Status quo sind neben unverbesserlichen Autonomen eh nur die unmittelbaren Anwohner, weil die ihre niedrigen Mieten behalten wollen und die Auslaufgebiete für ihre Hunde, für die sie keine Steuern zahlen wollen.

Wir wohnen nicht mal in der Nähe des Feldes, und wir haben auch keinen Hund. Aber wir haben uns verliebt in die unendliche Weite, in die Parallelität zwischen absoluter Ruhe und quirliger Rastlosigkeit. Mit dem Burgerargument überreden wir die Kinder, setzen uns in den Bus und fahren bis zum S-Bahnhof Hermannstraße. Danach sind es noch ein paar Schritte die Straße hinunter, vorbei am Zauberkönig, wo es seit 130 Jahren Masken und Scherzartikel und Zauberstäbe zu kaufen gibt. Zur Eröffnung des Zauberkönigs war das Tempelhofer Feld noch ein Truppenübungsplatz. Links rein geht es zwischen den Friedhöfen durch die einstige Einflugschneise, eine Brache, auf der alles wächst und auch nichts, außen sieht man noch die ehemalige Startbahnbefeuerung, und die Kinder staunen, dass es so was noch gibt in ihrer superhippen und supercoolen Stadt.

Weiter, durch das Tor an der Oderstraße, wir schlängeln uns zwischen einer arabischen Großfamilie, einem französischen Pärchen und einer Horde spanischer Abiturienten, oder kommen sie aus Argentinien? Bis zur Abzweigung Richtung Burgerbude hören wir so viele Idiome, dass sie in Babylon beleidigt ihren Turmbau eingestellt hätten. Der Große meiner drei Jungs erzählt von seinen Freunden aus Den Haag und dass sie unbedingt noch mal vor dem Volksentscheid vorbeikommen wollen – „Papa, du fährst doch bald zur Fußball-WM, da haben wir doch ein bisschen mehr Platz bei uns, oder?“

Irgendwann finden wir die Bude, die Burger sind fantastisch. Links neben mir schraubt ein Franzose neue Rollen an seine Inlineskates, rechts neben mir flickt ein Grieche seinen Drachen, ein Amerikaner fragt, wo jetzt die versteckte Kamera sei, um diese Illusion eines riesiges Nichts mitten in einer Großstadt zu dokumentieren. Ja, ich weiß, ich bin ein Egoist und denke politisch zu kurz und agitiere gegen die Weiterentwicklung der Stadt. Aber ich finde das Feld ganz schön. So, wie es ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false