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Wir sind die Guten. Ahmed Mery (links) und Zadine El-Zein wollen es nicht länger hinnehmen, dass ihre kurdisch-libanesische Verwandtschaft vor allem wegen krimineller Aktivitäten Schlagzeilen macht.

© Georg Moritz

Familien-Union: Die Clanchefs bitten zum Tee

Libanesisch-kurdische Großfamilien in Berlin wollen ihren schlechten Ruf aufpolieren. Ihr Ziel: Jugendliche mit Sozialarbeit von der Straße zu holen – und dabei auch mit der Polizei zusammenzuarbeiten.

In einer Sackgasse in Reinickendorf liegt der Gewerbehof der Familie Mery. Inhaber Ahmed Mery parkt an diesem Winternachmittag seinen schwarzen Mercedes vor einem unscheinbaren Flachbau. Hier ist ein Büro, eine kleine Küche und ein Versammlungsraum eingerichtet, in dem sich montags ein gutes Dutzend Männer treffen. Sie sind Mitglieder unter anderem der Familien Mery, El-Zein, Omeirat, Remmo, Fakhro, Osman. Diese Familien sind libanesisch-kurdischer Abstammung, und etliche haben einen Ruf, der schlechter nicht sein könnte. Die Polizei verbindet mit ihnen Drogenhandel, Vergewaltigung, Raub und Mord.

Doch das soll sich ändern. Ein Teil dieser weitverzweigten Clans hat sich jetzt zur „Familien-Union“ zusammengeschlossen, um Gutes zu tun und ihr Image zu verbessern. Immer montags ist Sitzung auf dem Gewerbehof der Merys.

„So kann es nicht weitergehen“, sagt Ahmed Mery, „wir wollen unsere Familien auf den richtigen Weg bringen“. Es geht um Bildung, um den Weg in die deutsche Gesellschaft, um Anerkennung. Es könne nicht sein, dass Jugendliche nach der 10. Klasse ohne Abschluss aus der Schule kommen, auf den Straßen rumhängen und „dummes Zeug“ machen, sagt auch Zadine El-Zein, der stellvertretende Vorsitzende der Berliner Familien-Union. Auch im Libanon habe das libanesisch-kurdische Volk keinen guten Ruf gehabt, sie seien Bürger zweiter Klasse gewesen, sagt Mery. Sie seien diskriminiert worden, Bildungswege hätten ihnen dort nicht offengestanden, sie hätten sich aber auch nicht darum bemüht. „Unser Volk muss endlich begreifen, welche Bildungschancen Deutschland bietet“, sagt Mery. Der einzige Weg, der sich in Zukunft auszahlen werde, führe über die Bildung und nicht über Kriminalität.

In Deutschland leben schätzungsweise zehn bis zwölf libanesisch-kurdische Großfamilien, vor allem in Essen, Bremen und Berlin. Jeder Clan hat mehrere tausend Mitglieder. Sie stammen aus Südanatolien, im vergangenen Jahrhundert wanderten sie in den Libanon aus. Als dort in den 80er Jahren der Bürgerkrieg begann, kamen viele nach Deutschland und Skandinavien. Nach Angaben des Berliner Landeskriminalamts (LKA) haben die libanesisch-kurdischen Clans in Berlin 50 bis 500 Mitglieder pro Familie, viele leben in Neukölln und Wedding. Sechs libanesisch-kurdische Familien seien „strafrechtlich besonders in Erscheinung getreten“, sagte LKA-Chef Peter-Michael Haeberer im Dezember, man dürfe nicht alle unter Verdacht stellen. Die Berliner Familie von Ahmed Mery zum Beispiel ist unbescholten und verdient ihr Geld mit dem Handel von Parfum. Der Bremer Zweig – dort heißt die Familie Miri – ist gefürchtet wegen seiner Gewalttätigkeit und mafiösen Machenschaften.

Die Familien-Union vertritt 70 Prozent der Familien, sagt Ahmed Mery und nippt am Tee, den sein Sohn in dem Flachbau auf dem Gewerbehof serviert hat. Von den kriminellen Zweigen der Familien will sich die Familien-Union nicht distanzieren – im Gegenteil: „Wir führen jeden Tag Gespräche, um sie zu überzeugen, dass unser Weg der bessere ist.“ Wenn man die „schlechten Familien“ außen vor lasse, würden sie weitermachen. „Es sind schon zu viele Kinder geopfert worden“, sagt Zadine El-Zein.

Der neue Verein will mit den Behörden zusammenarbeiten und zum Beispiel zwischen Lehrern, Polizei und Eltern vermitteln, wenn es in den Schulen Probleme gibt. Dazu haben Mery, El-Zein und andere Mitglieder der Familien-Union Gespräche mit der Polizei geführt. Man beobachte die Vereinsentwicklung „interessiert“, heißt es bei der Polizei. „Sollten den Absichtserklärungen der Familien-Union Taten folgen, könnte sie sich zu einem Partner in der präventiven Netzwerkarbeit entwickeln.“

Um Jugendliche von der Straßen zu holen, will die Familien-Union eigene Freizeiteinrichtungen in Neukölln, Wedding und Spandau eröffnen. In Neukölln verhandle man derzeit über die Anmietung von Räumlichkeiten. Dort sollen die Jungen überschüssige Energien beim Sport statt in Gewalttaten abreagieren können. Sogar die Gründung eines eigenen Fußballvereins sei angedacht, sagt Mery. Mit bereits bestehenden Freizeittreffs wolle man nicht zusammenarbeiten. „Auf unsere Jugendlichen können nur wir selbst einwirken“, sagt Mery. „Wir reden mit den Vätern und die dann mit ihren Söhnen.“

Vorbild ist die Stadt Essen. Dort haben libanesisch-kurdische Familien bereits 2008 eine Familien-Union gegründet, um libanesische Familien bei der Integration in die deutsche Gesellschaft zu unterstützen, wie es in der Satzung heißt. Die Familien-Union bietet Nachhilfe an, hat eine Pfadfindergruppe gegründet. Vereinsmitglieder haben sich zu Jugendsportleitern und interkulturellen Begleitern fortbilden lassen, sie holen Schulverweigerer in Kooperation mit der Stadt morgens zu Hause ab und bringen sie in die Schule und bleiben auch mal einen Tag lang neben einem Schüler im Unterricht sitzen. Zusammen mit den Schulen veranstalten sie Nachmittage für Eltern an den Schulen.

„Die Polizei kann die Probleme nicht alleine lösen“, sagte der Essener Polizeisprecher Ulrich Faßbender. „Die Vermittlungsgespräche, die die Familien-Union mit den Familien führt, sind wichtig.“ Manchmal komme man aber auch an Grenzen. So schlug die Familien-Union während der Fußball-WM 2010 nach Krawallen libanesisch-kurdischer Jugendlicher vor, zusammen mit der Polizei Ordner zu stellen. „Das war gut gemeint, aber Ordnungskräfte können nur Polizisten sein, das ist eine hoheitliche Aufgabe“, sagte Faßbender. Mitglieder der Familien-Union seien trotzdem anwesend gewesen, ohne offizielle Ordner-Binde um den Arm. Ausschreitungen habe es danach nicht mehr gegeben. Ein abschließendes Urteil über die Familien-Union habe er aber nicht, sagt der Essener Polizeisprecher. Man müsse alles mit Vorsicht genießen, dürfe sich nicht vereinnahmen lassen und immer schauen, wie ernst die Vorschläge gemeint sind.

Der Berliner Polizei sei die „mehrjährige gute Zusammenarbeit von Essener Polizei und Familien-Union bekannt“, sagt ein Berliner Polizeisprecher. Deshalb stehe man auch in Berlin „grundsätzlich allen Gesprächsangeboten offen gegenüber, sofern sie der präventiven Netzwerkarbeit dienen“.

Die Gründung der Berliner Familien-Union sei eine „gute Idee“, sagt auch Abed El-Halim Chaaban von der „Deutsch-Arabischen unabhängigen Gemeinde“ in Neukölln. Er stammt aus einer angesehenen Familie im Libanon und kennt die libanesisch-kurdischen Familien seit vielen Jahren. Der neue Verein brauche offene Türen bei den Behörden, sagt er. „Wenn keiner den Verein anruft, kann er nichts tun.“

Auch die verstorbene Richterin Kirsten Heisig hatte den kurdischen Libanesen Veränderungswillen zugetraut. „Ich bin überzeugt, dass es einzelne Mitglieder der Familien schaffen könnten, sich in eine andere Richtung zu entwickeln“, schrieb sie in ihrem Buch „Das Ende der Geduld“. Sie wollte ihnen deshalb „eine Art Ausstiegsprogramm aus dem Kriminalitätsstrudel“ anbieten.

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