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Das jüngste Kind von Kristian B. ist noch am Leben. Der 69-jährige legte die Tochter in eine Babyklappe, bevor er seine Familie und sich selbst umbrachte - vermutlich aus Verzweiflung.

© dpa

Update

Familiendrama in Gatow: Verzweiflungstat aus Angst vor dem Abstieg

Ein 69-jähriger Spandauer tötete seine Frau, seine beiden Söhne und sich selbst. Nur seine Tochter legte er in einer Babyklappe ab. Die Nachbarn sind fassungslos. Sie beschreiben den Familienvater als kontrolliert und fürsorglich. Zuletzt hatte die Familie sogar einen Grund zum Feiern.

Nach der Familientragödie mit vier Toten im Bezirk Spandau arbeiten die Ermittler der Mordkommission intensiv an der Aufklärung der Tat. Wie berichtet, hatte ein 69-jähriger Familienvater in Alt-Gatow zuerst die drei und sechs Jahre alten Söhne und danach seine 40 Jahre jüngere Frau umgebracht und anschließend sich selbst getötet. Vor seinem Suizid fuhr der Wirtschaftsberater mit seinem knapp ein Jahr alten Baby ins Waldkrankenhaus Spandau, wo er den Säugling in eine Babyklappe legte. Diesem Kind soll es nach Angaben der Polizei gut gehen.

„Der Mann hat einen Abschiedsbrief hinterlassen“, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich. Wie es aus Ermittlerkreisen hieß, soll der Brief eine genaue Chronologie der Abläufe enthalten. Es soll auch von Schulden die Rede sein. Die Polizei prüft, wie in solchen Fällen üblich, noch die Authentizität des Schreibens. Der Mann hat Kinder und Frau ersten Erkenntnissen nach erstickt oder vergiftet oder durch eine Kombination beider Tötungsarten umgebracht. Stumpfe Gewalt wurde laut Polizei nicht ausgeübt. Der Täter selbst hat sich dann erstickt. Um präzise Erkenntnisse zu erhalten, würde nun das Blut der Todesopfer untersucht.

Ein Nachbar hatte am späten Dienstagabend die Feuerwehr und die Polizei verständigt. Die Fenster hätten lange Zeit offen gestanden. Außerdem habe das Auto nicht auf dem gemieteten Parkplatz gestanden und der Schlüssel im Briefkasten gelegen. Die Beamten brachen die Wohnungstür auf und fanden die vier Toten. Die Leichen waren laut RBB-„Abendschau“ schon stark verwest. Vor dem Hauseingang in Alt-Gatow wiesen gestern Kerzen, Blumen, eine Zeichnung und Spielzeug auf das am Vortag entdeckte Drama hin. Bewohner blieben kurz stehen, Freundinnen der 28-jährigen Toten nahmen weinend Abschied, Nachbarn schüttelten immer wieder den Kopf über den Tod der vier Menschen. Vor allem das Schicksal der Kinder bewegt die Menschen in dieser ruhigen Spandauer Gegend direkt an der Havel.

Fotostrecke: Familiendrama in Gatow

Während die Polizei die Wohnung untersuchte, erinnerten sich Nachbarn des Paares an viele Details der letzten Zeit. „Am Sonnabend fand auf der großen Wiese am Wasser noch eine ziemlich große Party statt“, sagte Denis Bergemann, der in dem Mehrfamilienhaus den Balkon mit der nun bis auf das Baby ausgelöschten Familie teilte. „Da wurde wohl die Einschulung des sechsjährigen Jungen nachträglich gefeiert. Jedenfalls waren eine Menge Kinder und Erwachsene am und im Festzelt.“

Video: Kleinkind überlebt Familiendrama

Für die Nachbarn besteht kein Zweifel an dem Motiv.

Am Sonntagnachmittag habe er dann den 69-jährigen Familienvater Kristian B. allein auf einem Stuhl am Wasser entdeckt. „Der wirkte ziemlich apathisch und nachdenklich. Vielleicht waren die Kinder und ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr am Leben.“ Von ihnen sei jedenfalls nichts zu sehen gewesen. Andere Nachbarn beschrieben den Vater als einen „sehr kontrolliert wirkenden Mann“, der alle Dinge im Leben bis ins letzte Detail geplant habe. „Er war ein ganz freundlicher Herr, der sich sehr um seine Kinder gekümmert hat“, meint Rainer Scholz aus dem Nachbarhaus. „Fast täglich spielte er mit den Jungs auf der Wiese am Wasser.“ Dort hatte er für seine Kinder einen kleinen Spielplatz mit einem Trampolin gebaut. „Er hatte schon zwei Ehen hinter sich, erwachsene Kinder und wollte mit der 40 Jahre jüngeren Frau noch einmal durchstarten“, sagt ein anderer Mieter. Laut Polizei hat sie keinen Migrationshintergrund.

Er soll sie als Sekretärin kennengelernt haben. „Sie war sehr lustig“, sagte ein Nachbar in der RBB-Abendschau. Er erzählte davon, wie er den Sechsjährigen noch mit seiner Mutter nach der Einschulung gesehen habe, das Kind sei so stolz und fröhlich gewesen, sagte der Mann, dann kamen ihm die Tränen. Der Familienvater, der vor sieben Jahren in das Haus gezogen war, habe sich wohl mit seinen Geschäften verspekuliert. Vor einigen Jahren habe er die Nachbarn zu Immobilienkäufen in den früheren Wohnvierteln der amerikanischen Militärs in Zehlendorf animieren wollen. „Da versprach er große Gewinne“, erinnert sich der Mann. „Doch aus dem Traum wurde nichts. Zuletzt plagten ihn 20 000 Euro Mietschulden. Das hat er jedenfalls mal gesagt.“

In dem Mietshaus nutzte Kristian B. ein Büro im Keller für seine Geschäfte, wie aus dem Klingelschild hervorgeht. Nach Aussagen von Mietern hatte der Mann sich in letzter Zeit laut darüber beschwert, dass die Miete für das Büro von 150 auf 350 Euro erhöht worden sei. Deshalb habe er ausziehen wollen. Der Blick in den in der Nähe des Hauseinganges abgestellten Mercedes-Bus der Familie bestätigt diese Angaben. Neben zwei Kindersitzen und Plüschtieren fanden sich Kisten voller Computertechnik und Büromaterialien. Kristian B. wollte oder musste sich offenbar sowohl ein neues Büro als auch ein neues Zuhause für seine Familie suchen. Die Miete in der Gegend liegt für eine Drei-Zimmer-Wohnung bei rund 1200 Euro. In Kürze sollten hier Eigentumswohnungen für rund 300 000 Euro pro 100 Quadratmeter entstehen.

Unter den Mietern gab es deshalb am Motiv für die Tat kaum Zweifel. „Er hat immer davon gesprochen, wie herrlich es hier an der Havel sei. Er fühlte sich richtig wohl“, sagte eine ältere Dame. „Wahrscheinlich hat ihn der Kummer über den bevorstehenden Verlust dieser Idylle zu diesem Verzweiflungsakt getrieben.“ Das könnte auch erklären, warum er das Baby noch ins Krankenhaus brachte. Das Kleinkind konnte vielleicht in seinen Augen noch nicht bewusst die Vorzüge dieser Wohngegend genossen haben und durfte deshalb weiterleben – als Vollwaise. Das etwa zwölf Monate alte Mädchen ist jetzt in einem Kinderheim. „Es können doch aber keine Schulden so hoch sein, dass man seine Familie mit in den Tod nimmt“, sagte ein Anwohner. (mit dapd)

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