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Berlin: Fassbinders Wutprobe

„Die Ehe der Maria Braun“ startete 1979 auf einer Skandal-Berlinale. Der Film wurde zweifach ausgezeichnet – nur nicht sein Regisseur

Eisig war das Klima der Berlinale 1979 – und hitzig zugleich. Erst im Vorjahr war das Festival vom Sommer in den Februar verlegt worden, um Cannes zumindest zeitlich den Rang abzulaufen. Prompt brach ein harter Winter über Berlin herein. Programmplakate waren gar nicht erst geklebt worden – niemand wollte den Besuchern zumuten, in der Kälte vor Litfaßsäulen zu verharren. So war das Festival noch vor seinem Start ins Schlittern geraten. Und dann erlebte es noch einen der größten Skandale in seiner Geschichte: Im Streit um Michael Ciminos Vietnam-Film „The Deer Hunter“ verließen die russische und die kubanische Delegation das Festival, die DDR, Ungarn, Polen, Bulgarien und die CSSR schlossen sich dem Protest an, zwei Jurymitglieder aus Ungarn und der CSSR traten zurück.

Die Stimmung war also denkbar aufgeladen, als Rainer Werner Fassbinder mit „Die Ehe der Maria Braun“ im Wettbewerb antrat. Nach „Liebe ist kälter als der Tod“, „Warum läuft Herr K. Amok?“, „Whity“, „Effi Briest“ und „Deutschland im Herbst“ war es Fassbinders sechster Beitrag auf der Berlinale. Der Film erzählt die Geschichte der Trümmerfrau Maria Braun, die ihrem Eintagsehemann, im Krieg fälschlich für tot erklärt, die Treue hält, auch über die Affäre mit einem US-Soldaten hinweg. In den Nachkriegsjahren macht sie Karriere und muss am Ende erkennen, dass ihr Traum von Liebe und Glück nur Illusion war. Der Film hatte alles, was ein Publikumsrenner braucht: eine starke Story, eine starke Hauptdarstellerin, dazu Verständnis für die deutsche Nachkriegssituation.

Hanna Schygulla, die mit dem Film endgültig zum Star wurde, war eine von Fassbinders ältesten Bekannten – und doch zweite Wahl. Eigentlich hatte der Regisseur Romy Schneider im Blick, im Duo mit Yves Montand. Doch die Schauspielerin, in Frankreich längst ein Star, zierte sich – bis Fassbinder entnervt das Handtuch warf. „Was bildet die blöde Kuh sich eigentlich ein...“, kolportierte die „Bild“-Zeitung. Romys Antwort ließ nicht auf sich warten: „Ich denke nicht daran, mit diesem Kerl einen Film zu machen.“

Die Schygulla kannte Fassbinder aus gemeinsamen Studienzeiten an einer Münchner Schauspielschule. Damals, erzählte er, seien sie sich sofort aufgefallen, als Außenseiter, Ausnahmetalente. Wenn man nach dem Unterricht gemeinsam saufen ging, seien sie dabei gesessen, hätten die anderen beobachtet und sich, ohne viel Worte, einig gefühlt. Schon damals habe er gewusst: Mit der will ich meine Filme drehen. Zwar habe er sie danach aus den Augen verloren, ihren Namen vergessen, doch als er sie wiedertraf, auf den Gängen der Münchner Universität, war klar: Wir arbeiten zusammen.

Hanna Schygulla hat das anders gesehen. Sie sei sich sicher gewesen, dass dieser Junge mit dem Pickelgesicht, der so schüchtern und frech zugleich war, mit einer Mischung aus Pantherblick und Samtaugen, sie nicht leiden könne. Irgendwann habe er ihr auch noch erzählt, dass er Steinböcke nicht leiden könne. Und sie ist Steinbock. Trotzdem sollte eine 13-jährige Arbeitsbeziehung entstehen, erst am Theater, später spielt sie in fast allen frühen Filmen mit, von „Liebe ist kälter als der Tod“ über „Katzelmacher“ bis zu „Effi Briest“. Danach ist erst mal Schluss, erst für „Maria Braun“ greift Fassbinder auf seine bewährte Protagonistin zurück – und ärgert sich schwarz, dass sie, vor allem in Amerika, mehr Aufmerksamkeit bekommt als er. „Maria Braun“ ist ihr größter Erfolg.

Wären die Regeln strikt eingehalten worden, hätte der Film auf der Berlinale gar nicht mehr laufen dürfen. Denn neun Monate vorher hatte Fassbinder ihn heimlich in Cannes gezeigt. Als absehbar war, dass seine dort im Wettbewerb angesetzte Nabokov-Verfilmung „Despair“ durchfallen würde, ließ der Regisseur in einer Nacht- und Nebelaktion seinen Produzenten Michael Fengler mit der Nullkopie des gerade fertig gestellten Films einfliegen. Zur inoffiziellen „Welturaufführung“ drängten sich zu nächtlicher Stunde Produzenten, Starkritiker, Fernsehbosse. Man hockte im Smoking auf den Stufen, und kaum war der Film zu Ende, brach ein selbst für Cannes ungewöhnlicher Beifallssturm los, BravoRufe, Standing Ovations. Fassbinder hatte seinen Festivalerfolg – und die „Ehe der Maria Braun“ die besten Startchancen für einen internationalen Kinohit.

Den Goldenen Bären hat „Maria Braun“ 1979 dennoch nicht gewonnen, sondern der ebenfalls bundesdeutsche Beitrag „David“ von Peter Lilienthal. Diese Ehre wurde erst drei Jahre später der „Sehnsucht der Veronika Voss“ zuteil. Ein Silberner Bär für Hanna Schygulla und ein weiterer für das Filmteam sollten wohl eine Entschädigung sein. Doch Fassbinder war schon vor der Preisverleihung empört abgereist.

Christina Tilmann

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