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Alles so schön bunt hier. Beim Kulturkarneval zeigt sich Berlin von seiner vielseitigen Seite. Doch erstmals machen weniger Gruppen mit als im Vorjahr. Und es gibt Proteste in eigener Sache.

© picture alliance / dpa

Fehlender Rückhalt in Berlin: Der Karneval der Kulturen in der Sinnkrise

Jede wiederkehrende Großveranstaltung unterliegt der Abnutzung, egal ob Christopher Street Day, Fanmeile oder Silvesterparty. Der Karneval der Kulturen steckt nach 18 Jahren erstmals in der Sinnkrise. Hat er zuviel Erfolg oder zu wenig Botschaft? Eine Analyse.

Karneval der Kulturen ist was fürs Auge, aber man bekommt auch ordentlich was auf die Ohren. Ab und zu auch einen Ellenbogen in die Rippen. Am frühen Abend starten die After-Umzug-Partys in der Gneisenaustraße, um 21 Uhr sind die Hälfte der Anwesenden betrunken, und am Ende des Tages bleibt nichts als Müll. Das ist Open-Air-Amüsement im 21. Jahrhundert. Mehr als eine Million Besucher bringen eine Menge Geld in die Stadt, am Sonntag geht’s wieder los, 12 Uhr 30, Hermannplatz. Es wird sicher lustig. Okay. Und sonst?

Es ging mal um ein besseres Deutschland, das von Berlin aus in die Republik und die Welt ausstrahlen sollte, um ein großes Fest gegen den Hass von Neonazis und die Vorurteile vieler Deutscher gegenüber Ausländern, die längst Inländer geworden waren. Das war 1995, als der Karneval der Kulturen erfunden wurde. Große Namen haben an der Entstehung mitgewirkt: Richard von Weizsäcker und Barbara John. Der schnelle Erfolg des Umzugs samt Künstlerfest und Kinderkarneval, der gestern trotz Regens fröhlich durch die Straße zog, sendete das erwünschte Signal ins weite Land. Fraglich bleibt, ob es dort auch wirklich verstanden wurde.

Es gibt viel Kritik am Karneval, die unfairerweise den Idealismus der mehr als 4000 Akteure und Hunderte Künstler etwas verschattet. Eine Auswahl von Leserkommentaren des Tagesspiegels: „Karneval der Unkultur“ – „Albernes Tourimassenbesäufnis“ – „Eine Schande für Berlin, genau wie die Loveparade in ihrer Spätphase“. Loveparade-Gründer Dr. Motte verbucht so was unter Berliner Meckerei. Begleiterscheinungen wie Hausflurpinkler oder Gröltouristen müsse eine Großstadt aushalten, deshalb dürfe man den Karneval und seine Bedeutung für das weltoffene Image der Stadt nicht diskreditieren. Dr. Motte findet, der KDK sollte nicht untergehen wie die Love Parade. Veranstalter, Behörden und die Politik müssten sich mal zusammensetzen und miteinander reden.

Vielleicht ist das größte Problem des Karnevals ja sein Erfolg. Viele Familien meiden den Umzug aus Angst, ihre Kinder könnten im Getümmel verloren gehen. 1996 brachte der erste KDK 50 000 Menschen auf die Beine. Der Umzug war so mitreißend, dass im nächsten Jahr schon 340 000 kamen. 2000 wurde die Millionengrenze überschritten, 2004 brach alle Rekorde: 1,8 Millionen Besucher, seitdem hat sich die Besucherresonanz bei rund 1,3 Millionen eingependelt. Profis aus dem Veranstaltungsmanagent würden sagen: der KDK hat sich auf hohem Niveau konsolidiert.

Wird der KDK totgespart?

Sonnig im Regen. Am Samstag trotzte der Kinderkarneval mit bunten Kostümen dem Wetter. Heute wird’s schön.
Sonnig im Regen. Am Samstag trotzte der Kinderkarneval mit bunten Kostümen dem Wetter. Heute wird’s schön.

© DAVIDS

Doch es gibt Absetzbewegungen: Statt 90 Gruppen wie im Vorjahr sollen in diesem Jahr nur 76 mitmachen. Schon beim letzten Mal war die Eröffnungsgruppe Afoxé Loni abgesprungen, nach 15 Jahren – aus Protest gegen die „Kulturpolitik der Missachtung, Instrumentalisierung und Ausbeutung von kultureller Vielfalt in dieser Stadt“. Seit Jahren werben die Tanzgruppen um finanzielle Unterstützung, doch Geld gibt es nur für die Organisation des Karnevals, 270 000 Euro, das deckt rund ein Drittel der Kosten. Für die Umzugsgruppen – Kostüme, Wagen, Material – hat die Stadt nichts übrig.

Wird der KDK totgespart? Oder ist er gar nicht so wichtig, wie er sich nimmt? Jede wiederkehrende Großveranstaltung unterliegt der Abnutzung. Christopher Street Day, Fanmeile, Silvesterparty. Die Bilder ähneln sich, ein integratives Gemeinschaftserlebnis sind solche Massenspektakel nur für den Moment. Der Karneval der Kulturen bietet vor allem seinen Akteuren und Künstlern eine gemeinsame Plattform und eine einzigartige Bühne, um zu zeigen, wieviel Kreativität und Engagement unterhalb der kulturellen Wahrnehmungsschwelle unterwegs ist. Schon das sollte ein Grund sein, über eine bessere Förderung nachzudenken.

Die Sponsoren des KDK heißen Wasserbetriebe, Orco, Corona extra und Lebara Mobile. Was ist mit BMW oder Bayer? Der Karneval der Kulturen ist kein nationales Pflichtereignis für die Sendeanstalten wie die Rosenmontagsumzüge aus Köln und Mainz. Selbst der RBB verlegte die Liveübertragung vor vier Jahren ins Internet. „Wir haben festgestellt: Wer sich brennend dafür interessiert, ist selber dabei“, sagt RBB-Sprecherin Claudia Korte. Zuletzt lag die Einschaltquote bei 2,8 Prozent. Nicht so prickelnd.

Den Karnevalisten fehlt der Rückhalt in der Stadt. Sie fühlen sich nicht ernst genommen. Da geht es ihnen nicht anders als den Brüdern und Schwestern aus dem Rheinland. Am Sonntag soll erstmals ein Protestwagen in eigener Sache am Umzug teilnehmen.

Nach 18 Jahren steckt der KDK in seiner ersten Krise, das ist nicht ungewöhnlich. Das Vorbild Notting Hill Carnival in London wäre durch Ausschreitungen in den 70er Jahren fast zugrunde gegangen. Karneval braucht einen langen Atem – und den Stolz seiner Akteure, gegen die steifen Obrigkeiten anzutanzen.

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