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Berlin: Feindbild Sozialamt: Der einsame Kampf der Tempelhofer PDS Heft voller Vorwürfe gegen Behörde erst verteilt, dann zurückgezogen

Werden Sozialhilfeempfänger in Tempelhof-Schöneberg behandelt „wie der letzte Dreck“? Die PDS des Bezirkes behauptet: Ja, das werden sie.

Werden Sozialhilfeempfänger in Tempelhof-Schöneberg behandelt „wie der letzte Dreck“? Die PDS des Bezirkes behauptet: Ja, das werden sie. Sie hat dies auf die letzte Seite eines „Ratgebers zum Umgang mit dem Sozialamt Tempelhof-Schöneberg“ gedruckt und auf sechs schmalen Seiten Tipps zum Umgang mit dieser Behörde zusammengetragen. Überschrift: „Dein gutes Recht“. Verteilt wurde das Heftchen in 500er Auflage vor den Türen der Sozialämter in der Badenschen und in der Strelitzstraße. Und jetzt hat der Verfasser einen Strafantrag am Hals: wegen Beleidigung und Verleumdung.

Von „Sozialamtskriminalität“ ist in dem Heft die Rede und von dem „Recht“ der Sachbearbeiter, die Hilfeempfänger „bescheißen zu dürfen“. Im Sozialamt Tempelhof nehme man es „nicht so genau mit dem geltenden Recht“, hebele es vielmehr aus und streiche „willkürlich die Hilfe“. Bei Erstantragstellern sei es „gängige Praxis“, die Zahlung von Hilfe hinauszuzögern.

„Unerträglich“ findet Bezirksbürgermeister Ekkehard Brand (SPD) den Vorwurf, dass Sachbearbeiter im Sozialamt vorsätzlich kriminelle Handlungen begehen würden. Selbstverständlich entschieden diese nach Recht und Gesetz. Den Strafantrag habe er gestellt, „weil ich als Dienstherr meine Mitarbeiter schützen muss“.

Der Verfasser des Flugblattes, der PDS-Bezirksverordnete Bernd Büttner, räumt ein, dass einige Formulierungen „provokativ“ gedacht waren und falsch aufgefasst werden könnten. Er habe sich mit diesen Formulierungen „der Sprache der Betroffenen“ anpassen wollen. Die Vorwürfe selbst rührten aus „vielen Beratungsgesprächen“ mit Sozialhilfeberechtigten und aus eigenen Erfahrungen her – im letzten Jahr bezog Büttner selbst Sozialhilfe. Und dass er pauschale und unbelegte Behauptungen aufgestellt habe, sei vor allem Platzgründen geschuldet: „Wir hätten auch gesammelte Stories über das Amt herausgeben können. Aber das hätte den Umfang des Heftes gesprengt.“ Tatsache sei gleichwohl, dass die Antragsteller im Sozialamt Tempelhof-Schöneberg nicht ausreichend und zutreffend über ihre Rechte informiert würden.

Dass im Sozialamt Fehler gemacht werden und zum Teil rechtlich falsche Entscheidungen getroffen werden, kritisiert auch der Vorsitzende des Sozialausschusses in der Bezirksverordnetenversammlung, Ingo Nürnberger (SPD). Er führt dies auf die hohe Belastung der Mitarbeiter zurück. Diese aber zu diffamieren, sei nicht nur unfair gegenüber Menschen, „die nach meiner Erfahrung ein hohes Berufsethos haben“ – sondern schade auch den Sozialhilfeempfängern: Denn gerade weil die Sachbearbeiter bei vielen Entscheidungen Ermessensspielraum hätten, sei ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und den Hilfeempfänger besonders wichtig. Um Fehler zu vermeiden und das Amt „bürgerfreundlicher“ zu machen, empfiehlt Nürnberger eher Mitarbeiterschulungen.

Sozialstadtrat Bernd Krömer (CDU) will Fehler im Sozialamt ebenfalls nicht abstreiten; auch er verweist auf die Arbeitsbelastung. Und er verteidigt, dass „nicht jeder, der da kommt, sofort Zahlungen bekommt“. Wer erstmalig einen Antrag stellt, und arbeitsfähig ist, dem werde seit Januar ein Arbeitsangebot gemacht – „35 Prozent dieser Leute sehen wir nicht wieder“. Vom „Herauszögern“ der Hilfezahlung könne dabei keine Rede sein.

Büttners PDS-Genossen sind inzwischen auch nicht mehr glücklich mit der Broschüre. Steffi Schulze, die sozialpolitische Sprecherin der PDS im Abgeordnetenhaus, sagt: „Diese pauschalen Vorverurteilungen kann ich nicht mittragen.“ Und der Sprecher der Bezirksgruppe Tempelhof-Schöneberg, Gert Julius, verspricht: In dieser Form werde das Heft nicht mehr verteilt.

Holger Wild

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