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Alles heiß: Tim Raue bereitet die Fonds für die Probe vor.

© Kai-Uwe Heinrich

Feinkost: Der beste Weg zur großartigen Soße

In Tüten und Gläsern finden sich allerlei Zubereitungen, die so tun, als könnten sie einer Soße Saft und Kraft geben. Doch die meisten sind nach Ansicht unserer Probierrunde nur dünne Ersatzstoffe ohne Substanz - bis auf einen.

Vielleicht stimmt es ja tatsächlich, dass die Verwendung bestimmter Zutaten einen als Mitglied eines Lagers ausweisen kann. Denn die Welt ist nun einmal aufgeteilt. Wer beim Kochen grundsätzlich Fond benutzt gehört zum Beispiel einem anderen an als jemand, der gerne Sahne in den Topf kippt. Das hängt nicht allein mit der jeweiligen Kochauffassung oder Situation zusammen – im einen Fall wird etwas konzentriert und intensiviert, im anderen verlängert beziehungsweise abgemildert –, sondern auch mit Verfügbarkeit. Während Sahne überall erhältlich ist, muss man sich nach einem anständigen Fond gründlich umschauen – es sei denn, man hält einen Maggiwürfel dafür. In der Tat gibt es ja bereits eine Sprachverwirrung, wenn es um die Bezeichnung für tierische Saucenbasis geht.

Drei Worte, nämlich Fond, Jus und Glace stehen zur Auswahl, und wer es mag, fügt noch Fleischextrakt hinzu oder einfach bloß Saft. Der „Grosse Larousse Gastronomique“, ohnehin scharfe Trennlinien meidend, spricht vom Fond als „fette oder magere aromatisierte Brühe, die als Grundlage verwendet wird, um entweder eine Sauce herzustellen oder ein Ragout bzw. einen Schmorbraten damit zu löschen“. Allerdings spielten Definitionen für die monatliche Testrunde eine untergeordnete Rolle, denn wer wie sie nach einem nennenswerten Kalbsfond sucht, findet ohnehin nicht viel mehr als eine Handvoll Probanden. Ob hell oder dunkel, geliert oder pastos: Zu finden galt es eine hochwertige Küchenhilfe, die Kurzgebratenem wie Schmorgerichte ernsthaft Saft und Kraft gibt. Denn Hühnerbrühe ziehen sich Hobbyköche schon mal selber und frieren sie zu Würfeln, aber um Kalbsfond Hausmacher Art machen sie eher einen Bogen.

Gastgeber Tim Raue, der fast überwiegend mit Hühnerfond kocht, ließ sich von diesem Mangelware-Thema nicht beirren und erwärmte zur Einstimmung einen Brühwürfel. Normalerweise erhalten solche Mittelchen keinerlei Zutritt zur Restaurantküche im Haus Kochstraße 60, aber weil Raues bayerischer Kollege Alfons Schuhbeck gewinnend von der Packung mit sechs in Goldstanniol gewickelten Kuben lächelt, erhielten „Fuchs Goldstücke Rinderfondwürfel“ überhaupt einen Startplatz. Dass der vom „Feinschmecker“ zum Koch des Jahres ausgerufene Raue den Test mit Schuhbecks Schützling sozusagen nach unten abdichtete, schien nach der auf Salzschärfe gebauten Probe klar. Trotz erkennbarer Aufwertungsbemühungen, die sich unter anderem in einem Karamellton niederschlägt, zog die Runde den Vergleich mit gekörnter Brühe oder dem gelb-bräunlichen Pulver, das in der Schweiz als „Condi-mix“ verehrt wird.

Nicht alles, was gut aussieht, schmeckt auch gut.
Nicht alles, was gut aussieht, schmeckt auch gut.

© iFoto: Kai-Uwe Heinrich

Konkurrent Johann Lafer hat im TV-Kampf um die Hoheit über den Volksherd zumindest geschmacklich die Nase vorn. Sein „Bratenfond“ wirkt im ersten Augenblick wie Fleischbrühe mit recht ausgeprägten Maillardnoten. Sofort allerdings folgt eine Würzattacke, die einem doch auch künstlich vorkommen kann. Jedes weitere Wort verbietet sich eigentlich auch bei „Gut Krauscha Bio-Rinderfond“ aus dem Schraubglas. Das Erzeugnis vom Ökomarkt, also vom anderen Ende der Nahrungsmittelproduktion, konsternierte geradezu mit einer verdünnten Gemüsebrühe, in die sich, wie Raue meinte „eine Beinscheibe verirrt hat“. Noch deutlicher wurde der Meister aus Kreuzberg, als es um die Kalbsfond-Eigenmarke aus dem weltberühmten Kaufhaus am Wittenbergplatz ging. „Mein KaDeWe, das ich von Herzen liebe“ sei sich nicht zu schade, einen oxidativen „Hahnefong“ (für Nichtberliner: Leitungswasser) mit der „großartigen Zutat Muskat“ anzubieten. Demgegenüber könnte sogar eine ins Glas gefüllte Allerweltsbrühe wie der Kalbsfond von „Langbein“ auf seinen Möhrenduft und das typische Trockengemüse-Aroma pochen.

Nur „Lacroix“ ließ den KaDeWe-Fondversuch nicht hängen. Es nähert sich ihm sowohl von der Konsistenz als auch vom Geschmack her an. Das Frischeparadies und der Internetanbieter Bosfood.de bieten die dänische Marke „Oscar“ in elegant gestalteten schwarzen Plastikflaschen an. Oscar zählte vor langen Jahren einmal zu den Überraschungen an dieser Stelle. Heute jedoch mochte die Runde ihr günstiges Urteil von damals gar nicht mehr recht wahr haben, denn der „Fond Kalb“ schien zu einseitig auf Gemüse und Tomate gebaut, zu denen sich noch ein nicht gerade leiser Ton wie vom englischen Hefeextrakt „Marmite“ gesellt. Die über den selben Vertrieb erhältliche Creme „Aromont Demi-Glace Kalb ‚Braun’“, das zu 42 Prozent aus Kalbsfond besteht und der Rest aus einer beeindruckenden Zutatenliste, teilt mit Marmite das Aussehen, fügt ihm aber nach dem Eindruck der Testrunde noch gebrannte Zuckercouleur hinzu. Was Gebein auszurichten vermag, führt der in der Fleischerei Bachhuber erhältliche „Thönes Natur-Verbund Bio Kalbsfond“ vor.

Zwar fehlt der schwappigen Flüssigkeit ein prägnanter Kochfleischton, dafür aber ist das an Muskat und Mark gelehnte Knochenaroma gut entwickelt – auch deshalb, weil Gemüse und Kräuter lediglich in dienender Funktion verharren. Stellt man noch einen Preis von unter vier Euro für 280 ml in Rechnung, so hat Thönes bei Suppen durchaus eine Bewährungschance verdient. Für eine Sauce fehlt die Statur. Die besitzt „Jus Comte Kalbsjus hell“ zu Genüge. Warum? Nun, es handelt sich bereits um eine (fast) fertige Sauce, die da als Sirup aus dem Döschen des Käsehändlers Maître Philippe Causse rinnt. Nach Raues Ansicht wird in 90 Prozent aller Berliner Restaurants keine Sauce dieses Niveaus serviert und bereits verfeinert mit einem Stückchen Butter wäre Jus Comte perfekt. Gesagt, getan. Doch auch nach dem Genuss der mit kalter Butter montierten, wie voraus gesagt angenehm viskosen und kompletten Sauce blieben dem Rest der Runde Zweifel. Sie galt vor allem den hervor stechenden (Trocken-)Majoran, Thymian und weißem Pfeffer, dann einer fruchtigen Süße, die nur den Anschein von Geschlossenheit liefert, sowie überhaupt einem Duft, der dem einer frisch geöffneten Dose Ravioli nicht fern genug steht. Zudem ins Gewicht fiel, dass es sich hier nicht um einen Grundstock handelt, sondern ein Endprodukt.

Im Keller des Restaurants von Tim Raue sind die Probanden aufgereiht.
Im Keller des Restaurants von Tim Raue sind die Probanden aufgereiht.

© Kai-Uwe Heinrich

Demgegenüber mag Bosfoods relativ trockene Paste „Chef Les Fonds Premium Kalbsfond“ womöglich zu sehr Gewürz und zu wenig Strukturhilfe sein, aber fleischige, von Knoblauch und Tomatenmark konturierte Substanz entfalten sich sowie reichlich Röstnoten. Kurzum, ein Kalbsfond für Werktage. Es bietet sich an, der Würdigung des Testsiegers ein paar Überlegungen zur Sauce voran zu schicken – gerade auch deshalb, weil es sich um einen Fond handelt, in den neben vielen Zutaten mindestens eben so viele Gedanken eingegangen sind. Als beweglichster Teil einer kulinarischen Idee unterstreicht das flüssige Konzentrat nicht nur das Thema, sondern ist überhaupt dafür verantwortlich, dass eine feine Speise ihre Zurückhaltung aufgibt. Weder eigenwillige Zutatenkombinationen noch grimmige Gewürze können das nur annähernd ersetzen. Das hängt damit zusammen, dass eine vollendete Sauce zugleich Essenz wie Spiegel eines Gerichts ist.

Obwohl „Belon-Berlin Kalbssauce - Glace de veau“ aus der Küchenmanufaktur des früheren Adlon-Küchenchefs Axel Hirtzbruch nur ein fettfreier Baustein, eine Delikatesse gewissermaßen auf einem Nebengleis ist, stellt sie eine Garantie dar, dass ein Bratensatz seine grobe Vorläufigkeit verliert. Das bei Coledampf’s besorgte Halb-Gelee aus einem 156 ml-Gläschen ist – wie Tim Raue flugs vorrechnete – den Preis von 12,50 Euro allemal wert. Denn das mit leichtem Sherryhauch parfümierte Jus bringt viel Fleisch und Knochen mit, kann jedoch auf ganz verblüffende Weise vorhandene Geschmäcker einlagern, austarieren und steigern. Wer sagt, er könne auf diesem Gebiet noch bedeutend mehr erreichen gleicht dem Vogel, der behauptet, im luftleeren Raum noch schneller fliegen zu können.

Adressen:

Coledampf's & Companies, Kreuzberg, Prinzenstr. 85

Fleischerei Bachhuber, Wilmersdorf, Güntzelstr. 47

Fleischerei Lindow, Grunewald, Teplitzer Straße 40

Frischeparadies Lindenberg, Charlottenburg, Morsestr. 2

Maître Philippe, Wilmersdorf, Emser Str. 42

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