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Berlin: Feldzüge gegen Karius und Baktus

Die zahnmedizinischen Dienste der Bezirke glauben, dass bei ihnen nicht zu sparen ist – eine Visite

Frau Kägler macht einen sehr freundlichen Eindruck. Er könnte darüber hinwegtäuschen, dass sie Überzeugungstäterin ist, und dass jene, auf die sie es abgesehen hat, rüde abgebürstet werden. Ihre Lieblingsfeinde heißen Karius und Baktus. Und die versucht Johannes (Name von der Red. geändert) auf Geheiß von Tina Kägler gerade zu eliminieren. Der Fünfjährige steht im Waschraum, bewaffnet mit Zahnbürste und Zaubertropfen. Karius und Baktus sind Phantasiegestalten, die für Nuckelkaries, Parodontose, Zahnstein und anderes stehen, was Kindergebisse entstellen kann. Denn die Folgen aber sind real.

Eine evangelische Kindertagesstätte in Steglitz-Zehlendorf: Tina Kägler ist Mitarbeiterin des zahnärztlichen Dienstes des Bezirks. Sie ist gelernte Zahnarzthelferin, hat an der Universität gearbeitet. Jetzt hat sie eine Halbtagsstelle und ist vier Tage die Woche vormittags in Kindergärten und Schulen unterwegs. Um Zähne zu untersuchen und vorzuführen, wie man sie richtig putzt. Wo es viele Kinder mit schlechten Zähnen gibt, lässt sie mit Fluor putzen. Die Kinder nennen das „Zaubertropfen“.

In dieser Kindertagesstätte ist Tina Kägler häufiger, dreimal im Jahr, in anderen einmal jährlich. „Der Aufwand ist nötig“, sagt Gisela Baller, die den zahnärztlichen Dienst leitet. „Die Zahnbefunde hier sind schlechter als anderswo.“ Eine der Erzieherinnen sagt: „Wir haben Kinder hier, die noch nie eine Zahnarztpraxis von innen gesehen haben.“ Denn in dem Kiez um die Bismarckstraße gibt es mehr sozial schwache Familien als in anderen Vierteln des Bezirks. Man kann das an den Daten des im vergangenen Jahr veröffentlichten Sozialstrukturatlas ablesen – oder an den Zähnen der Kinder.

Während im als wohlhabend geltenden Steglitz-Zehlendorf durchschnittlich 46 Prozent aller Grundschüler mindestens ein Loch im Zahn haben, sind es in Neukölln 65 Prozent. Offenbar hängt die Zahngesundheit der Kinder mit dem Sozialindex zusammen – also etwa Arbeitslosenrate, Bildungsstand der Eltern oder Einkommensverhältnissen. Doch ausgerechnet in den sozial schwächeren Bezirken sind die Zahnärztlichen Gesundheitsdienste weniger gut ausgestattet. Laut dem Berliner Gesundheitsbericht 2004 kümmern sich in Lichtenberg statistisch gesehen 2,5 Ärzte um 10 000 Kinder bis 17 Jahre, in Steglitz-Zehlendorf 1,6 und im sozial problematischeren Bezirk Neukölln nur 0,36 Ärzte. Der Senat hatte letztes Jahr angekündigt, durch die Reform des Öffentlichen Gesundheitsdienstes unter anderem auch den Zahndienst in den schwächeren Bezirken zu stärken – zu Lasten der reicheren Kieze.

Kassen und Senat schicken zusätzlich Zahnärzte in die Kindergärten und Schulen. Trotzdem, sagt Gisela Baller, sei es schon ein guter Wert, wenn nur jedes zweite Kind Karies habe. Sie hat fünf Teams mit je zwei Mitarbeitern, die sich um etwa 25 000 Kindergebisse kümmern. Andere Bezirke haben weniger Mitarbeiter, zwei oder vier, aber nicht weniger Kinder. Gisela Baller hofft, dass ihr Etat nicht gekürzt wird, der Bezirk soll in nächster Zeit entscheiden. Kollegen aus anderen Bezirken hoffen, ihre Abteilung werde ähnlich gut ausgestattet. Einer sieht die Sache realistisch: „Daran ist im Moment nicht zu denken.“ I.B./mne

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