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Der etwas andere Stadtplan. Die elektronische Wandkarte in der Leitstelle von Vattenfall zeigt das Berliner Fernwärmenetz. Es ist das größte in Westeuropa.

© Paul Zinken

Fernwärmezentrale: So wird der Stadt eingeheizt

Irgendwie kommt die Wärme immer an. Eine Million Berliner verlassen sich auf sie – ein Besuch bei den Technikern in der Fernwärmezentrale.

Für die kommende Nacht sind minus 20 Grad angekündigt, und im Kraftwerk Reuter hat sich gerade eine Kohlemühle verabschiedet. Eine Mühle, die an Tagen wie diesem Mittwoch ununterbrochen die von Schnee und Eis zusammengeklebte Steinkohle aus den Schiffen und Güterwaggons für die Kraftwerkskessel zerkleinern müsste. Mehrere hundert Tonnen pro Stunde werden bei solchem Wetter verheizt. Da sollte eine kaputte Kohlemühle für einige Aufregung gut sein.

Nachprüfen lässt sich das in einer Wohnstraße nahe dem Volkspark Prenzlauer Berg. In einem DDR-Dreigeschosser mit nachwendischem Anbau befindet sich die zentrale Wärmewarte von Vattenfall. In einem ovalen Raum sitzen vier Männer konzentriert vor mehr als 30 Computerbildschirmen und einem etwa zehn Meter breiten leuchtenden Netzplan an der Wand. Von hier haben die Kontrolleure die Fernwärmeversorgung von mehr als einer Million Berliner im Blick – inklusive Bundespräsident, Fernsehturm und Zoo.

Auf dem Netzplan haben sie sofort gesehen, dass Reuter ein Problem hat – weil im Fernwärmenetz der Druck abfiel. Nach einem Telefonat mit der Leitstelle warfen die Reuter-Leute die Ölfeuerung an. Die wird nur in Notfällen benutzt, weil Öl eigentlich zu teuer zum Verheizen ist. Sollte die Mühle länger ausfallen, können sie einfach die anderen Kraftwerke weiter hochfahren. Wie hoch genau, zeigt ihnen der Netzplan: 1,5 Bar Druck an den entferntesten Enden des Netzes sind das Minimum, um auch die abgelegenen Gebäude warm zu bekommen.

Ralf Knittel und seine Kollegen lesen die Karte wie einen Stadtplan: Vom Kraftwerk Reuter führen zwei jeweils einen Meter dicke Rohre unter der Motardstraße ostwärts und unterqueren die Spree, um unter dem Mierendorffplatz auf die westlichen Bezirke verteilt zu werden. Die Reuter-Rohre sind so etwas wie die Stadtautobahn des Fernwärmenetzes, die mehrstöckige Pumpstation unterm Mierendorffplatz ist quasi das Dreieck Funkturm. Wenn es hier klemmt, muss umgeleitet werden. Umleitungen gibt es fast überall im mehr als 1500 Kilometer langen Fernwärmenetz. Nur die Enden, zu den Hausanschlüssen hin, sind Sackgassen.

Mit 105 bis 110 Grad schießt das Wasser aus den Berliner Kraftwerken in die Rohre. Bei extremer Kälte wie zurzeit wird der Druck erhöht, damit mehr Wärme pro Stunde in die Gebäude strömt. Die rechte Hälfte der Wandkarte zeigt, was zurzeit durchs Netz der östlichen Bezirke rauscht: 6200 Kubikmeter pro Stunde vom Kraftwerk Klingenberg, 3500 von Lichtenberg, 7300 aus dem Heizkraftwerk Mitte und 1350 aus dem in der Scharnhorststraße. Insgesamt bewegt sich durchs Fernwärmenetz in jeder Stunde etwa so viel Wasser wie durch die Spree. Außerdem sind die Kraftwerkskapazitäten groß genug, um notfalls den Ausfall des größten Erzeugers – das wäre ein kompletter Block bei Reuter – zu ersetzen. Deshalb wird hier niemand wegen einer Kohlemühle nervös. Und das Netz ist für 20 Grad Raumwärme bei minus 15 Grad draußen ausgelegt.

Wird es zu Hause also kälter, wenn die minus 20 Grad kommen? Knittel winkt ab: Viel stärker als die reale Temperatur mache sich das Wetter bemerkbar. Wenn Wind die Gebäude auskühlt und feuchte Luft die Menschen frösteln lässt, drehen sie schon bei null Grad die Heizungen ganz weit auf. Bei strengerem Frost steige die Nachfrage dann nur noch langsam. Und zwischen den Jahren sind ohnehin viele nicht da. Erst am Montagmorgen, wenn die Büros möglichst schnell wieder warm werden sollen, schieße der Verbrauch wirklich in die Höhe.

Wenn es so weit ist, bekommt der Kollege vor der zweiten Monitorreihe viel zu tun. Er behält die Strommenge im Auge, die die Vattenfall-Kraftwerke gleichzeitig mit der Fernwärme produzieren. Die sogenannte Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ist eine ständig neu austarierte Kombination aus Strom und Wärme: Auch an Tagen, an denen es gar nicht genug Wärme geben kann, darf ein Kraftwerk nicht mehr Strom ins Netz einspeisen, als aktuell gebraucht wird. Sonst fliegen bei den Kollegen in der Stromnetzzentrale die Sicherungen raus.

Ansonsten ist der Arbeitstag in der Netzwarte ein warmer, ruhiger Fluss. Erst recht im Winter, wenn die Baustellen ruhen und keine Bagger in die Fernwärmeleitungen beißen. Wenn das passiert, zeigt der Netzplan wieder irgendwo einen Druckabfall. Dann zoomen sie sich in der Wärmewarte so lange durch ihre Netzkarte, bis sie die Stelle gefunden haben, und regeln die Umleitung. Irgendwie kommt die Fernwärme immer an.

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