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Berlin: Ferrari: Keiner will mehr Rot sehen

Am Schaufenster kleben die Spuren des Tages: Fingerabdrücke jeder Art, fettige Flecke. Die Scheibe muss regelmäßig geputzt werden, Passanten drücken sich hier die Nasen platt.

Am Schaufenster kleben die Spuren des Tages: Fingerabdrücke jeder Art, fettige Flecke. Die Scheibe muss regelmäßig geputzt werden, Passanten drücken sich hier die Nasen platt. Hinter dem Doppelfenster am Lützowplatz steht ein Ferrari - natürlich in Rot. Wer will, kann sich das blitzende Gefährt kaufen. Das einzige Ferrari-Geschäft Berlins bietet gut angezogene Verkäufer, eine klinisch saubere Werkstatt und jede Menge Mythos. In kleinen Vitrinen sind rot schimmernde Andenken aus Ferraris Traditionsgeschichte zu sehen, natürlich auch Fotos aus erfolgreichen Formel-1-Zeiten. Vor wenigen Tagen ist Michael Schumacher wieder Weltmeister der Formel 1 geworden, in einem roten Ferrari. Sah sein Rennwagen nicht ein bisschen aus wie dieser hier?

"Ach was", winkt Marc Adelmann ab. Der 38-jährige Verkaufsleiter sitzt mit legerem Hemd und dezent gebräunter Haut hinter seinem Schreibtisch. Er lehnt sich entspannt zurück, wartet einen Moment und sagt: "Wir verkaufen kaum noch rote Wagen. Und der da drüben ist zehn Jahre alt." Marc Adelmann zieht an seiner Zigarette und genießt das Erstaunen. Wie jetzt? Rote Ferraris sind nicht mehr in? Trotz roter Matchbox-Autos in den Kinderzimmern? Trotz Schumi?

"Die neue Generation der Ferrari-Käufer fährt Silber oder Titan", sagt Adelmann. Dann steht er auf, geht durch die Werkstatt auf den Hof und hinunter in die Tiefgarage. Im dunklen Betonversteck, in dem nur zwei rote Teppichläufer vom Wesentlichen ablenken, stehen die neuesten Exemplare: der 360 Modena und der 360 Spider. Flach, elegant, extravagant. Kostenpunkt: 238 415 Mark bis 283 790 Mark. Farbe: silber.

Warum wollen Reiche keine roten Ferraris mehr? Und wer ist das überhaupt, die neue Generation der Ferrari-Fahrer? "Heutzutage fährt keiner mehr mit dem Auto zur Eisdiele", erklärt Adelmann, "man braucht die Blicke der anderen nicht." Ist das Understatement? Oder geht es beim Autofahren plötzlich um innere Werte? Um Gefühle wie Weltläufigkeit und Sensibilität? Adelmann beschreibt das Motto seiner inzwischen jüngeren Manager-Kundschaft so: "Ich habe Erfolg, ich habe Geld, jetzt gönne ich mir das."

Aha, es geht also um Genuss. Wer Ferrari fährt, will Individualität beweisen. Und Exklusivität. Deshalb baut Ferrari nur 3900 Neuwagen im Jahr, deshalb sind davon in Berlin gerade mal 30 Stück zu haben, deshalb muss ein Käufer bis zu drei Jahre auf die Erfüllung seines Traums warten. Und was hat das alles mit Silber zu tun? Vielleicht so: Wer am Wochenende eine Spritztour zum Ferienhaus nach Sylt oder zum bayerischen Golfplatz macht, der braucht keine Signalfarben mehr, um sich hervorzutun. Und einen weiteren Weltmeistertitel von Michael Schumacher erst recht nicht. Adelmann lächelt milde: "Wir sind doch keine Fans mehr, die sich Autogramme holen."

Vielleicht ist Gelassenheit die Erklärung für die Silberpfeile in der Ferrari-Tiefgarage. Als Adelmann den Spider hinaus in die Sonne fährt, da bleiben die Menschen auf dem Bürgersteig stehen. Manche machen Fotos. Doch irgendwie halten sie alle Abstand - als hätten sie Respekt vor dem funkelnden Straßenblitz. Nur ein alter Mann mit einem verrosteten Fahrrad wendet sich unbeeindruckt ab: "Der ist ja silbern. Der muss erst mal in die Lackiererei."

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