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Drei für eine. Norman Palm, Melissa Perales und Andrea Goetzke (v.l.n.r.) organisieren das Torstraßenfestival.

© Mike Wolff

Festival in Mitte: Die Torstraße dreht auf

Clubs und Läden säumen die Partymeile. Sie ist angesagter Treff, doch auch hier fürchtet die Szene Veränderung. Ab heute wird aber erst mal getanzt – das Musikfestival startet.

Melissa Perales wirkt überfordert. In der einen Hand hält sie einen Cappuccino, in der anderen ein Glas Saft, ihre Augen scannen den Raum nach Sitzplätzen. Die sind im Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz in Mitte normalerweise restlos belegt. Aber an diesem Vormittag ist das Café fast menschenleer. Die digitale Boheme, die hier gerne hoch konzentriert in ihre Laptops guckt, schläft noch – während Perales sich nur schwer für einen der freien Tische entscheiden kann.

Sie setzt sich schließlich an einen Platz am Eingang. Draußen brettert der Berufsverkehr über den Rosenthaler Platz hinweg die Torstraße entlang. Drinnen hängt Melissa Perales ihren schwarzen Stoffbeutel über die Stuhllehne und trinkt einen Schluck Saft. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet sie nun schon in der Gegend. Die Torstraße, erzählt sie, sei in dieser Zeit so was wie ein Fixpunkt gewesen. Deshalb kam sie im vergangenen Jahr mit ein paar Leuten auf die Idee, hier ein Straßenfestival zu veranstalten. Keine bierselige Sause mit Kirmestechno und billigen Imbissbuden. Stattdessen traten in den Cafés, Clubs und Bars entlang der Meile 30 Indiebands auf und lockten mehr als 1000 Besucher. Für die Veranstalter, die mit der Planung nur wenige Wochen vorher begonnen hatten, war das ein voller Erfolg.

Diesen Sonnabend geht das Torstraßenfestival an Orten wie dem Grünen Salon, Kaffee Burger und dem White Trash in seine zweite Auflage. Angekündigt sind Künstler wie die Hip-Hop-Durchstarter Die Orsons, der Berliner Kneipenchor und der amerikanische Musiker Dent May. Zudem gibt es am heutigen Freitag ab 19 Uhr eine Warm-up-Party gratis: Im Sankt Oberholz spielt der isländische Sänger und Songschreiber Dad Rocks.

Auch wenn der Ort und das Programm anderes vermuten lassen – das Anliegen der Festivalorganisatoren ist kein rein hedonistisches. „Wir finden Musik im Stadtraum wichtig“, sagt Mitveranstalterin Andrea Goetzke. Clubs wie das Kaffee Burger oder der Schokoladen seien für die Gegend unverzichtbar, und deshalb wolle sich das Torstraßenfestival auch „dahingehend positionieren“.

Gemeint sind damit die Veränderungen, die in den vergangenen Jahren in der Straße geschehen sind – und die vielleicht bald ein Ausmaß annehmen könnten, das sich kontraproduktiv auf das eklektische Nebeneinander von Altem und Neuen auswirken könnte.

Bis in die frühen Neunziger hinein war die Meile nicht mehr als eine zugige Durchfahrtsstraße, damals war sie noch nach dem ersten und einzigen DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck benannt. Zu neuem Leben erwachte sie erst, als 1999 die zwischenzeitlich geschlossene „Tanzwirtschaft Kaffee Burger“ wiedereröffnete und Wladimir Kaminer hier alle zwei Wochen seine legendäre „Russendisko“ feierte. Später siedelten sich in den vielen leer stehenden Gewerberäumen Galerien an, es folgten Cafés, Bars und Boutiquen.

Hipster-Treffpunkt: Nachts präsentiert sich die Straße von einer anderen Seite

Epizentrum. Im Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz verkehrt die Digitale Boheme.
Epizentrum. Im Sankt Oberholz am Rosenthaler Platz verkehrt die Digitale Boheme.

© Mike Wolff

Mittlerweile wird die Torstraße gerne als Hipster-Treffpunkt bezeichnet. Die hier ansässige Kosmetikmarke „Uslu Airlines“ hat ihr sogar einen eigenen Lippenstift mit dem Namen „Tor“ gewidmet. Die Bürgersteige werden nachts von Menschen in szenetypischer Aufmachung bevölkert, darunter junge Touristen, die in den vielen Hotels und Hostels der Gegend absteigen. Vor Läden wie der Neuen Odessa-Bar oder dem Kitty Cheng herrscht großer Andrang; in Restaurants wie das Dudu braucht man ohne vorherige Reservierung gar nicht erst zu gehen.

Vom Hype um die Torstraße bekommt Bert Hennig vom Comicladen „Grober Unfug“ nur wenig mit. Wenn die Nachtaktiven anfangen auszuschwärmen, ist sein Geschäft bereits geschlossen. Läuft er nach Feierabend mal die Torstraße entlang Richtung Friedrichstraße, ist er ganz überrascht, „wie quirlig die Gegend ist“. Vor zwei Jahren zog der „Grobe Unfug“ hierher. Zuvor befand sich der Laden ein paar hundert Meter entfernt in der Weinmeisterstraße, unweit des Hackeschen Markts. Dort erhöhte die Wohnungsbaugesellschaft Mitte die Miete drastisch. Deshalb musste ein neuer Standort her.

Was ihm an der Gegend gefällt? Dass sie bodenständig sei, sagt Bert Hennig. „Man hat das Gefühl, die Kunden kommen aus dem Kiez. Ganz normales Volk und keine schlecht frisierten Vollidioten, die einem nur auf der Fensterbank rumhängen und ihr Smartphone streicheln.“ Die Kunden kämen gezielt, sagt Hennig, weil die Gegend von ihren interessanten Läden lebe.

Entspannt. Bert Hennig vom Comicladen "Grober Unfug" mag den Kiez - vor allem wegen der Nachbarn.
Entspannt. Bert Hennig vom Comicladen "Grober Unfug" mag den Kiez - vor allem wegen der Nachbarn.

© Mike Wolff

Interessant sind vor allem die Gegensätzlichkeiten, auf die man in der Torstraße trifft. Designerboutiquen wie der „Happy Shop“ leben in friedlicher Koexistenz mit Second-Hand-Läden; das „Design Panoptikum“, laut Eigendarstellung ein „surreales Museum für industrielle Objekte“, befindet sich ein paar Schritte entfernt von den Verkaufsräumen eines Luxusküchenherstellers; schräg gegenüber von Plattenbauten errichten die Stararchitekten von Graft ein neues Gebäude.

Hinter all diesen Veränderungen stecken komplexe Prozesse, sagt Torstraßenfestival-Mitorganisator Norman Palm. „Das wird immer schnell als was Schlechtes abgetan, aber ich finde solche Pauschalisierungen schwierig.“ Der Musiker hofft, dass durch das Festival das Nachbarschaftsgefühl gestärkt wird und sich das in der Außendarstellung widerspiegelt.

Klar ist, dass der Platz für abseitige Ideen knapp wird. Das wissen auch Marcus Trojan und Heinz „Cookie“ Gindullis, die vor einiger Zeit hier das „Trust“ betrieben. Als die Zwischennutzung auslief, musste die Bar dichtmachen, nun wird das Haus saniert. Dass die beiden noch mal einen Laden auf der Torstraße eröffnen, ist eher unwahrscheinlich. Zum einen gebe es kaum noch leer stehende Räume. Zum anderen sei die Gegend an Bars und Clubs schon gesättigt.

Informationen zum Festival unter www.torstraßenfestival.de

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