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Einsatz in Köpenick im Fall der Stowkow-Entführer: Der Verdächtige wird vom SEK abgeführt

© Geisler Fotopress

Update

Festnahme des "Maskenmanns": Verdächtiger im Storkow-Fall streitet Taten ab

Der in Köpenick überwältigte mutmaßliche Entführer von Storkow hält sich offenbar für unschuldig und streitet die Taten ab. Doch die Ermittler haben eine Menge Indizien, die dagegen sprechen.

Der tatverdächtige mutmaßliche Entführer von Storkow streitet die Taten offenbar ab und hält sich für unschuldig. Das teilte die zuständige Staatsanwaltschaft mit. Mario K. befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft.

Der 46-Jährige ist mehrfach durch Gewalttaten aufgefallen - und lebte als Einsiedler auf einer morastigen Insel im Seddinsee. Also genau so, wie er auch bei der Entführung des Berliner Millionärs Stefan T. in Storkow beschrieben worden ist. Am Mittwoch erließ ein Richter in Frankfurt (Oder) Haftbefehl wegen akuter Fluchtgefahr gegen den 46-Jährigen, der am Dienstag um 17.56 Uhr vor dem Einkaufszentrum Forum Köpenick von Brandenburger Spezialeinheiten nach Plan überwältigt worden war. Gegen ihn besteht dringender Tatverdacht wegen versuchten Totschlags und erpresserischen Menschenraubs in zwei Fällen. Am Mittwoch schilderte Potsdams Polizeipräsident Arne Feuring die Ermittlungen im spektakulärsten Kriminalfall Brandenburgs der vergangenen Jahre.
K. war einer von 40 Verdächtigen der Potsdamer Sonderkommission. Im Herbst 2012 war K. von der Staatsanwaltschaft vernommen worden. Damals machte er falsche Angaben, schwieg zu seinem Alibi – und durfte wieder gehen. Seit Januar 2013 wurde er als Tatverdächtiger geführt und seit März 2013 von Spezialisten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) mit hohem technischem und personellen Aufwand observiert. Es war der umfangreichste Einsatz seit 1991, sagte MEK-Chef Klemens Passler. Denn Mario K. zeigte ein „ausgeprägtes Spurenvermeidungsverhalten“: Er vernichtete Spuren, war nirgends mehr gemeldet und hatte kein Bankkonto. Überwiegend übernachtete er seit März im Wald. Er wechselte mehrfach seine Verstecke im Unterholz, was die Observierung schwierig machte. Die Wohnungen seiner Kontaktpersonen wurden am Mittwoch früh durchsucht. Ebenso mehrere Waldstücke, in denen weitere Verstecke von Mario K. vermutet werden.
Das Leben von zwei vermögenden Berliner Familien hat der Täter auf den Kopf gestellt, beide Familien lebten seitdem unter extrem starkem Polizeischutz. Auf die Frau und die Tochter der Familie P. gab es 2011 in Bad Saarow Anschläge. Die Ermittler stufen dies aber als gescheiterte Entführungen ein: Die Frau leistete Widerstand, die Tochter konnte flüchten. Ein Wachmann wurde durch Schüsse schwer verletzt. Ein Jahr später wurde bei Storkow der Manager Stefan T. entführt, der Täter forderte eine Millionensumme. T. konnte sich zwei Tage später aus einem abgelegenen Versteck im Schilf an einem See befreien.

K. hauste als Einsiedler auf einer morastigen Insel am Seddinsee

In den Jahren 2003 und 2004 hatte K. als Einsiedler auf einer morastigen Insel am Seddinsee gehaust, war in Jachten eingebrochen und hatte diese angezündet. Ein Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren und drei Monaten Haft – die Strafe saß er bis zum letzten Tag ab. Zuvor war er 1997 wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes zu drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Mario K. hatte im Streit drei Jugendliche in Hellersdorf durch Schüsse verletzt. Eines der Opfer hatte K. die Pistole entrissen und ihn ebenfalls durch Schüsse in die Beine schwer verletzt.

Diese Vorgeschichte und das konspirative Leben in den vergangenen Monaten war es, die K. auch für die Soko namens „Imker“ verdächtig machte – sie erhielt ihren Namen wegen der Imker-Haube, die er bei einer seiner Taten trug. „Von einer „langen Kette von Erkenntnissen und Indizien“ sprach Feuring am Mittwoch. Umgekehrt formuliert: Den durchschlagenden Beweis gibt es nicht.

Eine Belohnung von 50 000 Euro war ausgesetzt worden

Nach Angaben des Potsdamer Polizeipräsidiums ist die Soko 1049 Spuren nachgegangen und 529 Hinweisen aus der Bevölkerung, angesichts der Belohnung von 50 000 Euro auch von Wahrsagern. 700 Gegenstände wurden kriminaltechnisch untersucht. Die Ermittlungsakten umfassten 58 500 Blatt, die in 251 Aktenordnern gesammelt wurden. Zur Pressekonferenz hatte die Polizei im Saal 25 Umzugskartons gestapelt, um die Masse an Informationen zu veranschaulichen. Mit 60 Ermittlern war die Soko mindestens bestückt. Hinzu kommen Spezialkräfte, Kriminaltechniker, Experten aus anderen Bundesländern, Sondereinheiten. Die entscheidende Wende bei den Ermittlungen brachte im Januar 2012 eine Decke, die auf der Schilfinsel auf dem Großen Storkower See gefunden wurde, auf die Mario K. den Unternehmer Stefan T. verschleppt und ihn dort mehrere Tage festgehalten hatte.

Eine registrierte DNA-Spur führte die Ermittler zur Herkunft der Decke.

So schilderte es der Soko-Leiter Siegbert Klapsch. Eine registrierte DNA-Spur führte die Ermittler zur Herkunft der Decke. Sie war in einem Gewerbegebiet in Marzahn gestohlen worden – offenbar von Mario K. Nur 600 Meter weiter hatte K. einmal gewohnt und eine Meldeadresse. Auch Zeugen hatten ihn dort am Gewerbegebiet gesehen. Zum Motiv machten die Ermittler am Mittwoch keine Angaben. Auch Mario K. habe dazu nicht ausgesagt. „Wir hoffen, dass unsere Vernehmer ihn doch noch zu einer Aussage bewegen“, sagte Klapsch. Zu den beiden Unternehmerfamilien, die der 46-Jährige erpressen wollte, gebe es keinerlei Verbindungen. Dass Mario K. Elitesoldat bei der Nationalen Volksarmee (NVA) war, wie es auch die Ermittler zunächst angenommen hatten, dementierte Klapsch zwar. Doch er räumte ein, dass Mario K. einst bei der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) war, einer paramilitärischen Organisation, mit der die meisten Jugendlichen in DDR in Berührung kamen. Dort sollten sie mit Sport wie Schießen, Fliegen, Tauchen und Technik – Führerschein von Moped bis zum Lkw – für das Militär gewonnen und begeistert werden.

Das wichtigste Indiz: die Tatwaffe

Neben den Taten 1997 und 2003, als er schon einmal in einem Sumpfgebiet lebte und wie 2012 ein Kajak als Tatmittel benutzte, gilt als weiteres wichtiges Indiz die Tatwaffe, die bisher nicht gefunden wurde. Bereits bei der Tat 1997 benutzte K. eine Pistole der Marke Ceska. Eine Expertise des Bundeskriminalamtes (BKA) kam zu dem Ergebnis, dass auch bei den Überfällen auf die Unternehmensfamilien mit genau dieser Ceska geschossen wurde. Schließlich war K. von Januar 2011 bis 2012 als Gast bei einem Berliner Schützenverein und machte dort mindestens zwei Mal im Monat Schießübungen – mit einer Ceska. Als Gastschütze musste er dort aber kein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Zuletzt war er im März 2012 aufgefallen – er hatte seine Marzahner Nachbarin rassistisch bedroht und dafür eine Geldstrafe gezahlt. Schließlich waren die „aktuellen Lebensumstände und das Verhalten“ für die Ermittler ein weiteres Indiz. Der Mann verschwieg selbst engsten Bekannten, dass er im Wald lebte. Von der Familie hatte er sich losgesagt. Zudem war er überaus sportlich und für sein Alter besonders durchtrainiert, lebte bei jedem Wetter unter freiem Himmel, legte am Tag auch mal 130 Kilometer mit dem Rad zurück – was für die Ermittler bei der Observation eine besondere Herausforderung war. Obwohl Haftbefehl erging und Mario K. nun in Untersuchungshaft sitzt, sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Die Beamten wollen jetzt die Beweiskette weiter schließen. „Das war nur ein Etappensieg“, sagte Soko-Chef Klapsch. So könnten noch 13 bislang nicht zugeordnete DNA-Spuren neue Beweise liefern.

Wie die beiden Unternehmerfamilien auf die Nachricht von der Festnahme reagiert haben, wollte Polizeipräsident Feuring nicht sagen. Allerdings deutete er an, dass die Familien während der vergangenen Monate stets von den Ermittlern auf dem Laufenden gehalten wurden.

Tagelang hatten hunderte Beamte das unwegsame Ufer durchkämmt

Nur ein Fetzen eines rot-weißen Absperrbandes der Polizei erinnert im Wald am Großen Storkower See noch an einen der größten Brandenburger Polizeieinsätze. Tagelang haben hier hunderte Beamte mit Hunden vor einem Jahr das unwegsame Ufer auf der Suche nach dem Entführer durchkämmt. Am Tag nach der Festnahme herrscht Stille im vornehmen Ortsteil Hubertushöhe, wo das Kidnapper-Drama in der direkt am Wasser gelegenen Villa der Familie T. seinen Anfang genommen hatte. In Storkow eilen die wenigen Menschen mit schnellen Schritten durch den Regen von ihren Autos in die Supermärkte. „Klar, ein Berliner – war ja klar“, heißt es immer wieder. Erleichterung äußert keiner der Befragten:„Der hatte es doch nur auf die Reichen abgesehen und wollte sie erpressen“, sagt eine Frau. Trotz aller Geheimhaltung war es einem Amateurfotografen gelungen, Bilder der Festnahme in Köpenick zu machen. Der Mann dachte, der Täter habe die dortige Sparkasse überfallen und sei deshalb überwältigt worden. Daher bot er die Bilder einer eher kleinen Fotoagentur an. So schilderte es Uwe Geisler, der Chef der Agentur. Was der Fotograf dort tatsächlich fotografiert hat, erfuhr er erst Stunden später – wie so viele an diesem Abend.

Warum bewegen uns spektakuläre Kriminalfälle so? Lesen Sie dazu einen Kommentar von Robert Ide.

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