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Berlin: Fikret Ceylan (Geb. 1958)

„Türkiyemspor“ ist ein Komet, und er ist dabei

Ein Mann läuft am Spielfeldrand auf und ab. Um ihn herum tobt es. Die Zuschauer jubeln, die Trainer brüllen, die Spieler fluchen. Nur er ist still, kneift die Augen zusammen und taxiert die Spieler, wertet ihre Laufstärke, ihre Technik und ihre Leidenschaft. All das merkt er sich. Legt es ab in seinem unendlichen Fußballspeicher. Notizen macht er sich nie.

Auf gar keinen Fall darf man ihn jetzt stören, so versunken ist er. Wieder und wieder steckt er sich eine Zigarette an, nun hat er schon zwei gleichzeitig brennen. Drei bis vier Schachteln verqualmt er so am Tag. Als er einmal gesünder leben wollte, ist er auf „light“ umgestiegen.

Dann sind die 90 Minuten vorbei, doch er bleibt nicht, um den Sieg seiner Mannschaft zu feiern oder die Niederlage zu beweinen. Er hastet weiter, steigt in seinen Wagen und fährt zu einem der anderen Spiele der Berliner Landes- oder Regionalligen. Wieder läuft er auf und ab, wieder beobachtet er die Spieler und merkt sich die mit Talent. Zum richtigen Zeitpunkt wird er sie heranwinken und fragen, ob sie nicht für ihn und die Erste Herrenmannschaft von „Türkiyemspor“ spielen wollen.

Fikret Ceylan und „Türkiyemspor“, das ist Liebe auf den ersten Blick. Damals, Mitte der achtziger Jahre, als ihn sein Bruder mit ins Katzbachstadion schleppt. Tausend und mehr Zuschauer, die meisten sind türkische Migranten der ersten und dann der zweiten Generation. Sie feiern, sind stolz auf ihren Verein, dem ersten Migrantenverein, der was taugt. Das sind ihre Jungs aus Kreuzberg und Neukölln, die hier gewinnen und gewinnen und gar nicht mehr damit aufhören, damals zumindest. Wenn „Türkiyemspor“ spielt, ist es, als ob die türkische Nationalmannschaft antritt. Und Fikret? Der lässt sich anstecken.

Er ist Gastronom wie seine Brüder. Selbstständig wie alle in seiner Familie. Er führt Bars wie „Das schmale Handtuch“, dann ein Fischrestaurant und einen Italiener, die Ceylan-Imbisse und sogar ein Schuhgeschäft. Bis zuletzt besitzt er die „Nachtbar“ am Winterfeldplatz. Und er ist auch Ehemann und Vater einer Tochter. Aber seine große Leidenschaft, das ist Türkiyemspor.

Vielleicht ist das der kleine Junge von damals, der zwar keinen Ball gerade schießen, dafür aber alle Mannschaften und die meisten Spieler der Türkei auswendig konnte. Der als Elfjähriger heimlich Sportwettscheine ausfüllte und dafür die Unterschrift des Vaters fälschte. Der mit seinen Freunden alle Spiele seines Heimatvereines „Bursa Spor“ im Stadium ansah und dabei seine ersten Zigaretten rauchte, dem Vater aus der Schachtel geklaut.

„Türkiyemspor“ ist ein Komet, und Fikret ist dabei, als sie fast in die Zweite Liga aufsteigen, dreimal Berliner Meister werden, als sie gegen „Hertha“ spielen und 12 000 Zuschauer kommen. Fikret ist auch dabei, als es wieder abwärtsgeht, die Fans ausbleiben und das Geld knapp wird. Offiziell ist er Sportmanager. Inoffiziell alles andere auch, mal Trainer, mal Vorstand, Sponsor sowieso. Für die bis zu 20 Kinder- und Jugendmannschaften kauft er Trikots, Bälle und spendiert Trainingsreisen. Kein Wunder, dass sie ihm den Spitznamen „Mr. Türkiyemspor“ verpassen.

Seine größte Stärke aber: Er kann die Spieler lesen, ihre Stärken und Schwächen erkennen. Wenn er einen abwirbt, sagt er zu ihm: „Wir haben zwar kein Geld, aber ,Türkiyemspor’ bietet dir beste Chancen.“ Geht ein Spieler mit 2000 Euro pro Monat in die Verhandlung, landet er am Ende bei 600. Da ist Fikret knallhart. „Ist nicht mein Geld“, sagt er. „Gehört dem Verein, den Kindern und Jugendlichen.“ Aber er hält sein Wort, was die Chancen angeht. Ist ein Spieler sehr gut, vermittelt er ihn weiter in die zweite Liga oder auch in die Türkei, erste Liga.

Und er selbst? Raucht, telefoniert, organisiert. 12 von 24 Stunden für den Verein. Sein Bruder schimpft mit ihm: „Fikret, so geht das nicht, Familie muss an erster Stelle stehen!“ Seine Tochter erkrankt an der Niere. Es ist nicht klar, ob sie die Operationen übersteht. Da passiert es, dass seine Freunde ihn das erste Mal weinen sehen. Aber sie schafft es. Als er sich 2010 mit dem neuen Vorstand von „Türkiyemspor“ überwirft und den Verein verlässt, sehen sie ihn das zweite Mal weinen.

Ein Leben ohne Fußball? Noch einmal fängt er bei einem Verein an, dem „Berliner Athletik Klub“, noch einmal führt er die Mannschaft von unten bis in die Regionalliga. Fikret kann es einfach. Aber mit dem Herzen ist er nicht mehr dabei. Sein Herz ist bei „Türkiyemspor“ geblieben, für immer.

Im Januar 2017 gibt es auf, sein Herz. Fikret übersteht zunächst zwei Infarkte, muss ins Krankenhaus, wird operiert, aber danach ist er einfach nur noch müde. Zu müde, um weiterzumachen.

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