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Filialschließungen: Wenn die Post abgeht - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren schloss das frühere Staatsunternehmen seine letzten eigenen Filialen in Berlin. Das ärgerte viele Post-Kunden – aber eröffnete auch neue Chancen. Was Stefan Jacobs darüber schrieb.

Am Freitag fand Frank Walter eine Benachrichtigung im Briefkasten, dass er ein verpasstes DHL-Päckchen auf der Post in der Geisbergstraße abholen möge. Doch als er am Dienstag darauf dort erschien, war keine Post mehr da, nur noch ein Postmitarbeiter, der immerhin Walter auf die Filiale am Wittenbergplatz als Ersatz verweisen konnte. Und aus der Zentrale erhielt Walter auf seine Beschwerde hin postwendend einen Brief, in dem der Gelbe Riese sein Bedauern kundtat.

Dieses Malheur ist symptomatisch für das, was viele Berliner seit Monaten erleben: Erst die überlasteten Briefträger und die scheinbar virtuellen DHL-Paketboten. Und jetzt verschwindet plötzlich das Postamt von nebenan, das immer da war und deshalb unsinkbar zu sein schien. Dass es bei der Postbank unterschlüpft oder in Gestalt einer „Partnerfiliale“ oder wenigstens eines „Verkaufspunktes“ oft an der nächsten Ecke wiederaufersteht, ist zumindest moralisch für viele kein Trost. Die Post mobilisiert so Empörungspotenzial wie sonst nur die Bahn oder das Wetter. Eine Charlottenburgerin um die 50, die gerade vor der nunmehr verschlossenen Tür ihres wilhelminisch-backsteinernen Postamtes am Steinplatz stand, beschreibt es so: „Obwohl ich gar nicht viele Pakete verschicke, ist mir das unheimlich. Das Postamt war die Stelle, wo sich die guten Menschen treffen. Die, die Briefe schreiben.“ Selbst in Moskau habe man sich darauf verlassen können, sagt die Frau, die eine Zeitlang dort gelebt hat.

Vor fünf Jahren hatte die Post in Berlin nach eigener Auskunft noch rund 160 eigene Filialen betrieben. Jetzt sind es noch sechs, deren Tage ebenfalls gezählt sind: An der Grenzallee in Neukölln hat die Partnerfiliale im Schreibwarenladen bereits geöffnet, die zum 1. Dezember die Eigenfiliale am selben Ort ersetzen wird. Die Filiale in der Mehrower Allee wird zum 3. November durch einen nahen An- und Verkaufsladen ersetzt. Dann bleiben noch die Ämter in der Nürnberger und der Weißenhöher Straße sowie die am Ostbahnhof und am Mädewalder Weg, die aber ebenfalls schon angezählt sind: Bis 2011 sollen sie schließen. Die Post informiert nach Auskunft von Sprecherin Anke Baumann über anstehende Änderungen mit Aushängen sowie per Mitteilung an Medien und Bezirksbürgermeister. Als Partner würden Händler in der Nähe gesucht, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssten, wozu etwa „geeignete Räumlichkeiten“ sowie „die Bereitschaft für Schulung und Weiterbildung“ zählen.

Gabriele Kutz konnte all das bieten – und wurde im Februar dieses Jahres „Filiale im Einzelhandel“. Ihr kiezig-gemütlicher, aber tiptop sortierter Tabakwarenladen in der Bötzowstraße erleichtert manchem Kunden den Abschied vom alten Postamt: „Endlich keine Riesenschlangen mehr. Die sind immer nett und machen schon morgens um sechs auf, so dass ich vor der Arbeit hingehen kann“, schwärmt ein Nachbar, der die 10-bis-18-Uhr-Öffnungszeit seines alten Postamtes leid war. Die gepriesene Gabriele Kutz sagt: „Der Anfang war natürlich hart“, aber der Telefonservice des Konzerns für Ernstfälle wie Computerfehler oder nicht haftende Marken habe stets funktioniert. Die zweitägige Vorab-Schulung in Leipzig sei für sie und ihren Mann als Computer-Neulinge zwar schwierig gewesen, aber die Anreise im ICE und das Hotel waren sehr ordentlich. Wobei Gabriele Kutz „in den vergangenen 20 Jahren nicht einen Tag Urlaub“ hatte, wie sie ohne die Spur einer Klage konstatiert. „Für mich war es schön, mal was Neues zu machen“, sagt sie. So, wie sie schon die Theaterkasse, Tchibo und VBB-Bahnfahrkarten reingenommen hat. Die Post werde sie ganz sicher behalten. Die Provisionen für Päckchen & Co. lägen zwar im Centbereich und das Umsatzplus sei mager, aber zumindest habe sie ihre 400-Euro-Aushilfe nach acht Jahren endlich fest anstellen können. „Ich muss mit meinen 61 Jahren keine 14-Stunden-Tage mehr haben.“ Und während über die Postbank böse Geschichten zu knallharten Umsatzvorgaben kursieren, betont Gabriele Kutz: „Die Post macht keinerlei Druck.“ Den machen im Zweifel eher die Lottokunden, die sie „keinesfalls verlieren darf“, wenn sich vor Weihnachten die Paketkunden in ihrem kleinen Laden drängen. Freizeit hat Gabriele Kutz für sich im November und Dezember nicht vorgesehen.

Inklusive ihrer 270 paketlosen „Verkaufspunkte“ hat die Post nach eigener Auskunft in Berlin gut 550 Filialen. In den nächsten Wochen will sie drei weitere der unbemannten Packstationen eröffnen, die dank veränderter Bildschirme und zusätzlicher, vereisungssicherer Fächer komfortabler sein sollen als die 86 vorhandenen. Zur Dichte von Filial- und Briefkastennetz gibt es ohnehin Vorschriften, so dass die reale postalische Lage Berlins besser sein dürfte als die gefühlte. Regionale Erkenntnisse zur Kundenzufriedenheit gibt es laut Post nicht. Aber die Kunden können die Filialen online bewerten, das lässt zumindest hoffen, dass dem Global Player seine lokale Kundschaft nicht ganz egal ist. Zudem installiert die Post „auf Anregung von Kunden“ nächste Woche drei neue Briefkästen in Mitte.

Doch manchmal sind selbst besondere Kunden machtlos. Frank Walter – der mit dem verirrten Päckchen – musste es als Dachverbandschef der 35 Berliner Philatelistenvereine erleben: Vor einem Jahr sei er „im Postministerium, äh, in der Zentrale“ gewesen, um sich den Fortbestand des auf Sondermarken und -stempel spezialisierten Amtes am Steinplatz zusichern zu lassen. Und nun ist es zu. Zwar gebe es dafür jetzt einen „Philatelieschalter“ an der Hardenbergstraße. Aber die Stimmung beim „Tag der Briefmarke“ am gestrigen Sonnabend im Museum für Kommunikation war trotzdem getrübt.

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren"

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