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In der Holzhalle - so wurden Prothesen bei Otto Bock früher gefertigt.

© Bötzower Berlin/ promo/ privat

Firmengeschichte des Prothesenherstellers Otto Bock: Mit Holzbeinen nach Berlin

Hans Georg Näder baut die besten Prothesen der Welt. Sein Großvater hat den Betrieb Otto Bock 1919 in Kreuzberg gegründet. Nun kehrt sein Enkel mit einem Forschungslabor in die Hauptstadt zurück - eine Firmengeschichte aus dem neuen Wirtschaftsmagazin "Tagesspiegel Köpfe".

Mit den Holzbeinen, die Otto Bock 1919 in Kreuzberg baute, war mehr als ein besseres Humpeln kaum drin. Heute stellt die Firma High-Tech-Prothesen her, deren Träger, oft Unfallopfer, Diabeteskranke und Schlaganfallpatienten, wieder gehen können wie fast jeder andere. Seit einiger Zeit werden Prothesen auch nicht mehr schamhaft versteckt, sondern getunt und gestylt. Als Hans Georg Näder, Enkel des Firmengründers, einmal mit dem Sprinter Heinrich Popow im Restaurant Samos in der Leibnizstraße saß, legte dieser sein extrem bewegliches Bein auf den Tisch, ließ es kreisen und fragte den Wirt: "Na, kannst du das auch?"

Keine technischen, aber ethischen Grenzen

Näder hält die Mechatronik für die bedeutendste Entwicklung der Firma, das C-Leg mit der mikroprozessorgesteuerten Hydraulik ist das wichtigste Produkt. 25.000 Euro kostet so ein Bein, meist zahlen die Kassen. Doppelt so teuer ist die Orthese C-Brace, die mittels Sensortechnologie Gelähmten zu mehr Mobilität verhilft. In einem börsennotierten Unternehmen, sagt Näder, wären die Entwicklungskosten für das C-Leg sicher zu hoch gewesen. Sein Glück, dass ihm Anfang der 1990er Jahre Vater Max ausreden konnte, den Familienbetrieb an die Börse zu bringen. Inzwischen arbeiten die Techniker am nächsten großen Schritt, der Verfeinerung der Neurostimulation. Hier werden mechanische Bauteile mit Nervenenden verbunden. Ist die Firma auf dem Weg zur Menschmaschine? "Technische Grenzen gibt es nicht", sagt Näder, "ethische schon."

Näders Vater Max kam 1935 zur Firma, die wegen der Unruhen in Berlin nach Thüringen gezogen war. Otto Bock hatte ihm statt eines Praktikums eine Lehre zum Orthopädiemechaniker und Kaufmann angeboten, parallel dazu studierte er an der damaligen TH Berlin.

Vater und Sohn. Max und Hans Georg Näder bei einem Besuch in der Köpenicker Straße, wo die Firma 1919 gegründet wurde.
Vater und Sohn. Max und Hans Georg Näder bei einem Besuch in der Köpenicker Straße, wo die Firma 1919 gegründet wurde.

© Bötzower Berlin/ promo/ privat

Nach der Enteignung wurde es 1947 neu gegründet

Die Tochter des Firmengründers, Maria Bock, die in Potsdam das Gymnasium Hermannswerder besucht hatte, arbeitete beim Vater in der Buchhaltung. Hier lernte sie Max kennen, die beiden heirateten 1943 – und fuhren gerne mit ihrem Horch-Cabrio zum Konzert nach Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen enteignet, Otto Bocks Schwiegersohn gründete es 1947 im niedersächsischen Duderstadt neu.

Hans Georg Näder, geboren 1961, studierte Betriebswirtschaft, übernahm den Betrieb 1990. Der Konzern gliedert sich heute in drei Bereiche: die Orthopädie, also vor allem die Entwicklung und Produktion von Prothesen, Orthesen und Rollstühlen; Informationstechnologie und Kunststoffverarbeitung. Otto Bock liefert Polyurethanprodukte etwa für die Automobilindustrie, Kunststoffe sind auch für den Schiffsbau wichtig. So erklärt sich die Übernahme der unter Druck geratenen finnischen Baltic-Werft: Hier kommen Leidenschaft fürs Segeln, Interesse an der Technik des Verklebens von Kunststofffasern und Synergien beim Materialeinkauf zusammen. Den früheren Kapitän seiner Yacht "Pink Gin", Henry Hawkins, hat Näder als Geschäftsführer eingesetzt. Die Lust am Ausprobieren, die Näders Mitarbeitern ein rasantes Tempo abfordert, führte auch zum Pink-Gin-Modeshop in St. Tropez, der eigene Markenartikel anbietet, gestaltet von befreundeten Designern. Näder ist weniger am Laden selbst interessiert als am Onlineshop: Er will verstehen, wie das funktioniert.

Die Marke Otto Bock ist weltbekannt, vor allem in Schwellenländern wächst die Nachfrage. Aber auch Berlin wird für Otto Bock immer wichtiger, nicht als Produktionsstandort, sondern als Ideenschmiede für Medizintechnikprodukte der Zukunft. Die alte Bötzow-Brauerei soll dabei eine entscheidende Rolle spielen. Die besten Leute, sagt Näder, bekommt man eben leichter nach Berlin als nach Duderstadt.

Dieser Text erschien im neuen Wirtschaftsmagazin "Tagesspiegel Köpfe", das seit Freitag (30.08.2013) zu kaufen ist.

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