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Berlin: Fischers Friends

Audienz beim Außenminister: Wie ein Staatsmann neugierigen Politik-Studenten die Welt erklärt

Am Anfang wirkt Joschka Fischer ein wenig müde. Er kommt mit seinem Tross herein in den gut gefüllten Sitzungssaal, begrüßt die Studenten und lässt sich deren Fragen vortragen. Das dauert, er sinkt millimeterweise in Richtung Tisch, knabbert sanft an den beiden Bügeln seiner Lesebrille, die an diesem Nachmittag nur als Accessoire gezügelter Macht gebraucht wird, stützt den Kopf konzentriert auf die Hand, spürt mit den Fingern intensiv den Falten rund um die Nase nach. Dann ist das einleitende Referat der Gäste zu Ende, und Fischer hat alles auf der Reihe. Er tippt entschlossen auf den Rand des Kaffeebechers und legt los. Da die Studenten sowieso in ihren Fragen praktisch sämtliche Probleme der EU-Erweiterung angeschnitten haben, muss er sich nicht lange mit Notizen aufhalten, die er ja ohnehin nicht nötig hätte.

Die Studenten des Master-Studiengangs „Internationale Beziehungen", der gemeinsam von der Humboldt-Universität und der Universität Potsdam betrieben wird, bekommen an diesem Nachmittag Fischer satt, mit der großen Kelle serviert. Als er im vergangenen Herbst die Eröffnungsrede hielt, versprach er, den Kontakt im Auswärtigen Amt fortzusetzen – und diese Veranstaltung ist der Beweis. Eine Stunde war abgemacht, zweieinhalb sind es am Ende. Solche Auditorien sind dem Außenminister offenbar die liebsten: Sachkundige, neugierige Studenten, die nicht so abgeklärt daneben hören wie das diplomatische Fachpersonal, sondern die Feinheiten einer exklusiven Audienz zu schätzen wissen, Interna eingeschlossen. Zum Einstieg ein kleiner Testscherz über Honecker, in dessen ehemaligen Büro er sitzt, und zu dessen Ehren er sich Ochs und Esel aus einer Weihnachtskrippe geholt und auf den Schreibtisch gestellt hat – doch der verpufft weit gehend, denn die Studenten, zum Teil Ausländer, sind mit der Honecker-Folklore und dem Spruch vom Sozialismus und seinem unaufhaltsamen Lauf wohl nicht so vertraut. Egal! Fischer steckt den Rahmen ab, lässt ein wenig Max Weber aufblitzen, und er hat zur Vorbereitung auch rasch noch Huntington nachgelesen, die Sache mit dem Zusammenprall der Kulturen. Nicht, dass das so kommen müsse! Aber es könnte schon so kommen. Anschaulicher ist Fußball. Hilfe aus Europa für die armen Länder, sagt er, funktioniert nur, wenn man es so macht wie beim Fußball. Da waren nun allerhand Trainer und Entwicklungshelfer in Afrika, um den Leuten richtiges Kicken beizubringen. Doch wann ist die Sache erst richtig losgegangen? Als die afrikanischen Fußballer Zugang zum europäischen Markt hatten; erst durch die Marktöffnung konnten sie den Weltstandard erreichen, den sie heute haben. Da müsste Europa dann aber auch bereit sein, ein paar schmerzende Gegentore hinzunehmen? Ja, das sei wohl so.

Fischers Kunst bei solchen Vorträgen liegt darin, dass er es locker schafft, seine jeweilige Meinung als unausweichlichen Sachzwang darzustellen. Hat jemand eine Alternative? Na bitte. Die Studenten notieren. „Legitimität ist die entscheidende Ressource, die von den UN produziert wird", sagt er, und das ist einer dieser coolen diplomatischen Durchblickersätze, die später mal glatt eine kippende Abschlussprüfung rausreißen können. „Drei Stellschrauben" für die Zukunft Europas an seiner nahöstlichen Flanke stellt er vor: die Türkei, die Demokratisierung des Iran und die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts. Für den Beitritt der Türkei sei er, weil eine unter EU-Bedingungen geläuterte Türkei ein entscheidender Hebel sein könne für die Aufhebung der gefährlichen Modernisierungsblockade in der muslimischen Welt.

„Das hört sich alles ganz toll an", wirft eine Studentin ein, „aber ist es denn nicht so, dass…" Steilvorlage für eine ironische Replik der S-Klasse: „Ja, wenn sich das schon im Vortrag nicht ganz toll anhört, dann wäre das übel, denn das ist ja noch das Einfachste." Und im Übrigen seien seine Darstellungen nicht optimistisch, sondern realistisch. Realistisch-optimistisch ist auch Fischers Einsatz für eine europäische Regierung, in der einer den Hut aufhaben muss, „Es geht ja nicht, dass wir in jeder wichtigen Frage immer diesen Männerchor schicken, der dann bestenfalls Beethovens Neunte singt." Und das viel zitierte „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten"? Ja, sagt er kokett, „ich habe nun mal den Vorteil, im operativen Geschäft zu sein und Wirkungen zu sehen", und deshalb wisse er heute, dass das nicht funktioniert.

So vergeht die Zeit zügig über Fragen, Antworten, Danksagungen, Ankündigungen. Noch ein goldenes Fischer-Wort zum Schluss: „Der Glaube an die Vernunft setzt Optimismus frei." Und, leiser, nur so drangehängt: „Aber vielleicht bin ich zu optimistisch." Gruppenfoto!

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