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Im Innern der Linie M 41 gibt es nie freie Sitzplätze, aber dafür ist es schön warm. Und stimmungsvoll, was wiederum auch an der hohen Kinderwagen-Dichte liegt.

© Alice Epp

Fluch und Segen einer Buslinie: Mit dem M41 geradewegs zum Psychiater

BVG-Bus: M41. Länge: 12,2 Kilometer. Haltestellen: 31. Besonderheiten: Zwei Facebook-Seiten, ein Song und vieles mehr. Busfahrer „lieben“ die Strecke, Fahrgäste verfluchen, aber brauchen sie dennoch. Eine Stadtrundfahrt durchs verstaute Berlin.

Ein Bus-an-Bus-Rennen. M41 in 7min, darunter leuchtet gelb noch ein M41 in 7min. Die Anzeige liefert einen spannenden Countdown. 6min – 5min, immer noch Bus an Bus. Doch die Wartenden schert das nicht. Sie warten, jeder für sich, auf einen beheizten Gelenkbus, der sie vom Anhalter Bahnhof zum Hermannplatz bringt. Der M41 ist eine der Königslinien der BVG, eine Kultmarke. Es gibt gleich zwei Facebookseiten („M41 – Tomorrow never dies“ und „M41er“) und sogar ein eigenes Lied. So weit bringen es nur wenige Metrolinien der BVG.

Der Song heißt „M41, du kommst aus Neukölln“, eingespielt von der Band „Die wartenden Fahrgäste“. Thematisiert wird die Rudelbildung der M41-Busse – „du kommst nie allein“ – und der „würzige Geruch“ in ihrem Innern.

Kein Bus kommt. Die Leuchtanzeigen beginnen zu blinken, minutenlang. Schließlich schaltet eine Anzeige auf „Abfahrt verspätet“, dann auch die andere.

Die ersten Wartenden geben auf.

Ein M41er-Busfahrer erzählt – ins Gesicht graviertes Lächeln, das graue Haar schütter: „Heute fahr’ ich, morgen wieder, übermorgen muss ich zum Psychiater.“ Morgens sei noch alles in Ordnung, schlimm sei der Nachmittag. Und abends „ist es immer noch rappelvoll“. Neukölln sei eben „’ne beliebte Gegend.“

Aus dem Takt gerät der Fahrplan in der Sonnenallee. Zweitereiheparker, Feierabendstau, Radfahrer, zugestellte Haltestellen. Der M41 ist eine Schlagader Neuköllns, genau wie die U8, aber leider ohne eigenes Gleis.

„Wenn die Herrschaften an der Ausstiegstür bitte aus der Türlichtschranke gehen würden.“ Dies war jetzt eine Ansage wie aus dem Lehrbuch. Man müsse lernen, sich nicht mehr aufzuregen, sagt der Busfahrer. Damit kämen nicht alle Kollegen klar.

Hier ist nicht der Grunewald

Eine Kollegin schon. „Ich liebe diese Linie“, sagt Busfahrerin Brigitte. „Das Bunte mag ich so.“ Und von den bunten Fahrgästen, den irakischen Studenten, arabischen Müttern, palästinensischen Unternehmern, afrikanischen Rastafaris und türkischen Straßenkids gebe es wenig Gemecker. „Das ist eine der Linien, wo die Fahrgäste froh sind, wenn der Bus kommt.“

Viele Kinder fahren mit dem M41 zur Schule, viele Mütter zum Arzt, Handwerker zu ihrer Baustelle, Beamte zum Dienst. Hunde? Katzen? Nicht gesehen. Hier ist nicht der Grunewald.

Jetzt kommt der Bus immer noch nicht. Nur der Countdown läuft. Ein Junge mit Baseballjacke tigert auf dem Gehweg hin und her, ein Mann beugt sich über die Straße, geht zur Berlin-Karte im Wartehäuschen, wieder zurück an die Straße. Am Haltestellenschild hat sich eine Frau mit Einkaufsbeutel postiert, den Blick energisch in Richtung Potsdamer Platz, von dort müsste er kommen, der M41. Aber er kommt nicht. „Kennwaschon, is ’ne Katastrophe, hab’ schon mal 46 Minuten gewartet.“

Die BVG weiß, was sie am 41er hat. „40 000 Fahrgäste jeden Tag, das ist viel“, sagt Sprecherin Petra Reetz. Und es werden nächste Woche noch mehr, wenn nämlich der Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn gesperrt ist und viele sich in den M41 drängen, um zum Anhalter Bahnhof oder Potsdamer Platz zu kommen.

Auch der Senat hat kein Mittel gegen die Busrudel

Fahrrad gegen Bus: Auf dem Sattel dürfte dieser junge Mann schneller vorankommen als mit der M41.
Fahrrad gegen Bus: Auf dem Sattel dürfte dieser junge Mann schneller vorankommen als mit der M41.

© Alice Epp

Der Senat habe schon mal vorgeschlagen, den Bus im Vierminutentakt fahren zu lassen, heißt es bei der BVG. Aber im täglichen Verkehrschaos würde doch nur wieder ein Busrudel entstehen. Am 5. Juni 2014 zählte ein Fahrgast sechs M41er innerhalb von dreieinhalb Minuten. Die ersten sind erdrückend voll, die letzten fahren nur Berliner Luft spazieren.

Es gab mehrfach Vorortbegehungen mit Vertretern von Senat, Bezirk und Polizei. Heraus kam der Auftrag zu einem Gutachten. Busspuren verlängern? Haltestellen verbreitern? Ampelschaltungen verändern? Jede Verbesserung für den Busverkehr ginge zulasten anderer Verkehrsteilnehmer, Fußgänger, Radfahrer, Lieferanten. „Schwierige Linie“, sagt Reetz.

Zwei BVGer auf Heimfahrt unterhalten sich über Hinterachsen auf Glatteis und Flirtchancen auf Weihnachtsfeiern. Er lasse sich regelmäßig durch die Sonnenallee schaukeln, sagt der eine. „Gibt ja nichts anderes.“ Über den M41 sollte man mal ein Musical schreiben, findet er, wie bei der U1.

Problemlinien unter sich

Von der Baumschulenstraße bis zum Hauptbahnhof dauert eine Fahrt nach Plan 40 Minuten. Erst geht es schnell, vorbei an Sozialbauten der 70er Jahre, dann kämpft sich der Bus durch die Altbaugasse der Sonnenallee. Der M41 ist fast immer ein Gelenkbus, wegen der vielen Kinderwagen. Am Hermannplatz trifft er auf die Doppeldecker der M29, auch so eine Problemlinie. Hier leert sich der Bus.

In der Urbanstraße, dem bürgerlichen Kreuzberg, steigen Stehkragenmantel- und Laptoptaschenträger zu und die ersten Touristen auf dem Weg zum Bahnhof. Der M41 verkehrt Tag und Nacht, mindestens jede halbe Stunde. Das „veränderte Freizeitverhalten“ ist schuld, dass die Linie nie zur Ruhe kommt. Neukölln und Kreuzberg halten die tradierten Ruhezeiten schon lange nicht mehr ein.

Dann kommt er doch, der Bus. Schnell Zigaretten austreten, rein ins Gewimmel. Niemand fragt, warum es so lange gedauert hat. Alle sind froh, im Warmen zu stehen. „Wo ist das Stempeldings?“, fragt ein Neuberliner in wattierter Jacke. An der hinteren Tür lehnt ein Dauertelefonierer. Eine Mutter scheucht ihren Erstklässler von der Tür weg, schiebt den Ranzen mit dem Fuß hinterher. „Lukasch, halt dich fest.“ An jeder Haltestelle setzt ein Geschiebe und Gewühle ein, Rucksäcke stoßen in Rippenfelle, bis sich der Menschentross wieder neu sortiert hat.

Am Hermannplatz die Durchsage: „Sehr geehrte Fahrgäste, da der Bus ausgetauscht werden muss, endet die Fahrt hier.“ Einer seufzt: „Nee, nä ...“ Alle steigen aus, niemand schimpft. Der nächste M41 kann nicht weit sein.

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