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Der Tunnel. Susanne Buddenberg und Thomas Henseler haben eine historische Geschichte in ein jugendliches Medium gebracht.

© doris spiekermann-klaas

Flucht und Verfolgung in der DDR: Ein Berliner Fluchthelfer als Comicfigur

Die Kurzgeschichte "Tunnel 57" erzählt die berühmte Flucht durch einen Schacht von Joachim Neumann und zwei Dutzend Menschen von der DDR in den Berliner Westen.

Anfangs sei er doch sehr skeptisch gewesen, ob das Ganze eine gute Idee ist, sagt Joachim Neumann. Der 74-Jährige verschränkt die Arme. Seine Geschichte als Comic? Eine Geschichte, die von Flucht und Verfolgung erzählt und im Zuge derer ein Mensch zu Tode kommt? „Ich hatte Sorge, dass das nicht das passende Mittel ist, um den Ernst der Sache zu transportieren“, sagt der Mann, der noch nie etwas mit Bildergeschichten anfangen konnte: „Micky Maus und Asterix? Habe ich nie gelesen.“

Doch mit dem fertigen Band „Tunnel 57“ ist seine Skepsis geschwunden. In dem Comic wird erzählt, wie Neumann im Jahr 1964 mit zwei Dutzend anderen Menschen den berühmten Schacht von West- nach Ost-Berlin grub, durch den damals 57 Menschen die Flucht aus der DDR gelang. Am Montag wurde das Buch im Besucherzentrum der Gedenkstätte Berliner Mauer vorgestellt.

Gezeichnet und geschrieben hat die 26-seitige Schwarz-weiß-Geschichte das Berliner Kreativduo Thomas Henseler und Susanne Buddenberg, die sich in ihren Comics „Berlin - Geteilte Stadt“ und „Grenzfall“ schon mit der DDR-Geschichte auseinandergesetzt haben. „Wir leben hier, wo man ständig über Spuren der Mauer stolpert“, erklärt Henseler, der selbst in Westdeutschland aufwuchs. Außerdem sei der Tunnelbau einfach eine spannende Geschichte.

Die Bilder des auf deutsch und englisch erschienenen Buches basieren auf Fotos, Interviews sowie Dokumenten und entstanden ursprünglich für eine Ausstellung, die 2012 in der U-Bahn-Station Bernauer Straße zu sehen war. Als die Exponate abgehängt werden mussten, kam die Idee auf, sie für ein Buch zu sammeln – als Schulmaterial. Ergänzt wird die Geschichte, die streng chronologisch aus der Sicht Neumanns erzählt wird und trotz des nüchternen Tons gekonnt die Dramatik des Geschehens zu vermitteln weiß, deshalb mit Aufsätzen und Aufgaben für den Unterricht.

Stefanie Lüdtke, Geschichtslehrerin an der Leibniz-Schule in Kreuzberg, hat den Comic bereits vorab im Unterricht einsetzen können. „Das Medium hat eine emotionale Komponente, die ein Sachbuch niemals haben könnte“, sagt sie. Interessant sei für die didaktische Arbeit auch, dass eine Comic-Erzählung manche Lücken ließe, die den Kopf zum Ausfüllen anrege.

Genau das habe sie mit ihren Schülern versucht, die Radiosendungen, Briefe und eigene Comics entwarfen. Ein paar der Ergebnisse, darunter ein kleines Theaterstück, dass sich mit der im Comic nur angedeuteten Geschichte von Neumanns späteren Frau Christa in Ost-Berlin beschäftigt, wurden am Montag vorgeführt.

Im Anschluss muss Joachim Neumann immer wieder beantworten, wie authentisch Buch und Darbietungen sind. Doch die Fragen bügelt er ab. Auch die Autoren hätten immer wissen wollen, welche Hose er denn damals getragen hatte und welches Hemd. Dass wisse er gar nicht mehr. „Viel wichtiger ist, dass sich Jugendliche mit dem Thema beschäftigen und die Geschichte nicht vergessen wird“, findet er.

Thomas Henseler & Susanne Buddenberg: „Tunnel 57 - Eine Fluchtgeschichte als Comic“, Links Verlag, 112 Seiten, 9,90 Euro.

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