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Public Viewing am Flughafen Tempelhof.

© Pascale Müller

Flüchtlinge am Flughafen Tempelhof: Public Viewing in der Gepäckhalle

Flüchtlinge und Helfer der Unterkunft am Flughafen Tempelhof fieberten mit der deutschen Mannschaft. Auch zum EM-Finale gibt's ein Public Viewing.

Anstoß beim Public Viewing mit Bewohnern und Ehrenamtlichen im Flughafen Tempelhof. Für das Halbfinale Deutschland gegen Frankreich sind alle Stühle besetzt, Flaggen sind verteilt, Schminke aufgemalt und Plastikbecher wurden mit genügend Erdnüssen befüllt, um die ersten 45 Minuten zu überdauern. Es kann losgehen.

Ewan, “eigentlich aus Kurdistan, jetzt aber aus Hangar 7” hat sich einen Platz in der ersten Reihe gesichert. Über seinen Schultern liegt eine Deutschlandfahne. Neben ihm junge Männer mit Perücken in schwarzrotgold.

"Wir wissen, dass Fußball zumindest für einige Bewohner ein Thema ist. Mit der Veranstaltung wollten wir ihnen etwas bieten, Abwechslung vom Alltag und Raum für Begegnungen schaffen”, sagt Timm Schwarzer, Leitung des Projektmanagement bei dem Betreiber Tamaja.

Die Idee für die letzten drei Spiele der EM Public Viewings für Bewohner und Ehrenamtliche der nahgelegenen Notunterkunft in den Hangars zu veranstalten kam von der Stiftung Hauptstadthelfer. Finanziert werden die Abende durch Sponsoren aus der Privatwirtschaft.

Schland-Girlanden und “Yallah habibi"

Etwa tausend Eintrittskarten wurden in den letzten drei Tagen an der Hygienestation der Notunterkunft und über die Kooperatiospartner an Ehrenamtliche und Freunde verteilt. Schon das Halbfinale Portugal gegen Wales wurde gezeigt. Allerdings waren da nur wenige Bewohner da. Vielleicht auch, weil an diesem Tag Eid Al Fitr begonnen hat, das Zuckerfest mit dem Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan begehen.

Die Bewohner hätten schließlich auch andere Sachen im Kopf als Fußball, so Schwarzer.

Heute aber ist es voll. Auch während des Spiels kommen immer noch Zuschauer, setzen sich auf den Boden der riesigen Halle, oder lehnen sich an das, was einmal ein Check-In Schalter war. Kinder rennen mit Deutschlandketten und Fanschminke durch die Gegend, verschütten Fanta zwischen den Stuhlreihen und quietschen vor Freude.

Eine Gruppe junger Männer aus Syrien hat auf dem Gepäckband Platz genommen und begleitet jede hoffnungsvolle Aktion der deutschen Mannschaft mit einem halblauten “Yallah habibi, yallah habibi!”

Doch der Jubel scheint nichts zu bringen. Tor von Antoine Griezman, enttäuschtes Rufen. Halbzeit. Es gibt Currywurst, natürlich ohne Schweinefleisch und Cola mit Eiswürfeln. Marie, 23, aus Mitte, Laura, 23 aus Charlottenburg und Abdulaziz, 24 aus Ägypten haben heute zufällig nebeneinander gesessen und sich so kennengelernt. “Das Spiel ist gut, aber der Schiedrichter ein bisschen unfair”, sagt Laura, die ein Theaterprojekt mit geflüchteten Kindern macht. Für Theresa Jocham, Mitarbeiterin der Pressestelle von Tamaja, geht es genau um solche Begegnungen: “Wir wollten ein gemeinsamen Abend für Bewohner und Ehrenamtliche ermöglichen."

Public Viewing zum EM-Finale

Damit es gleich besser läuft für die deutsche Elf üben Marie, Laure und Abdulaziz einen Schlachtrufe auf Arabisch. Übersetzt heißt der etwa soviel wie: "Auch wenn Deutschland verliert, hat es Feuer”. Wirklich zuversichtlich klingt das nicht.

Masut, 18, aus Somalia, Deutschlandtrikot und Fähnchen tollt mit einem kleinen Jungen auf den Schultern durch die Halle. Er ist sich sicher, dass noch alles gut ausgeht. "Ich tippe zwei zu eins, erstes Tor Müller, zweites Tor Özil." Doch schon in der sechzigsten Minute rauft er sich nur noch die Haare. Jerome Boateng muss den Platz verlassen. Applaus brandet auf.

Während die einen noch anfeuern, haben andere schon das Lager gewechselt. Ein Junge fragt: "Warum spielt Ronaldo nicht? Deutschland spielt... wie sagt man...scheiße!" Der Blick von Ewan aus Hangar 7 geht auf die große Flughafenuhr. Mit hängenden Schultern sitzt er da, die Fahne ist ihm heruntergerutscht.

Vier Minuten Nachspielzeit, die ersten enttäuschten Fans stehen auf und verlassen die Haupthalle in Richtung schweinefreie Currywurst. Nach dem Schlusspfiff sitzt Ewan noch eine ganze Weile alleine in der vorderen Stuhlreihe und schaut auf die Leinwand. Dann steht er auf, faltet seine Fahne sorgsam zusammen und steckt sie in eine kleine Plastiktüte.

Auch wenn Deutschland aus dem Turnier ausgeschieden ist, wird es auch zum Finale der EM ein Public Viewing in Tempelhof geben. Ewan will dann auch unbedingt wieder dabei sein. Dann aber mit einer anderen Fahne.

Pascale Müller

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