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Gegentribüne (Nord) Oberring, Block 28.1. Gebannt verfolgen die beiden Männer die Bundesliga-Partie Hertha BSC gegen den 1. FC Köln.

© Sandra Dassler

Flüchtlinge im Olympiastadion: 90 Minuten Auszeit bei Hertha BSC

Ein Heimleiter hat Karten für das Spiel der Hertha gegen den 1. FC Köln organisiert - und 75 Flüchtlinge mit ins Stadion genommen. Die Männer feuerten die Berliner Elf an und hatten sichtlich Spaß an der Stadion-Stimmung.

Von Sandra Dassler

„Irgendwann ist immer das erste Mal“, sagt Ahmed A. und lacht: „Hätte ich nie gedacht, dass ich mir ein Fußballspiel ansehe. Meine Sportart ist Cricket.“ Kein Wunder, wenn man in Pakistan aufgewachsen ist. Aber von dort musste Ahmed A. fliehen. „Politische Gründe“, sagt der 30–Jährige. Seit vier Monaten wohnt er im von der Firma Evo Home betriebenen Flüchtlingsheim in Alt-Stralau.

Das Zimmer dort teilt er sich mit drei anderen Flüchtlingen, es ist spartanisch eingerichtet: Betten, Schränke, Tische. „Warm und sauber“, sagt Ahmed A. zufrieden. An diesem Sonnabendnachmittag ist das Zimmer leer. 75 von 122 Flüchtlingen, die derzeit hier leben, gehen ins Olympiastadion. Hertha BSC hat ihnen Karten zum Heimspiel gegen Köln geschenkt, organisiert hat das der Heimleiter Rüdiger Böhringer. „Die müssen doch mal auf andere Gedanken kommen“, sagt er. „Wir reden immer von Integration, aber können ihnen nicht einmal Deutschkurse anbieten. Und sie möchten Deutsch lernen.“

Da wird mitgefiebert: Flüchtlinge aus einer Unterkunft in Alt-Stralau bei der Hertha im Stadion.
Da wird mitgefiebert: Flüchtlinge aus einer Unterkunft in Alt-Stralau bei der Hertha im Stadion.

© Sandra Dassler

Böhringer leitet auch das Heim in der Gürtelstraße, wo Flüchtlinge im vergangenen Jahr auf dem Dach protestierten. In beiden Unterkünften leben junge Männer – ohne Frauen, ohne Kinder, ohne Familien. Auf dem Weg ins Olympiastadion erzählen sie von sich:

Flüchtlinge suchen Frieden - und Arbeit

Albert K. kommt aus dem Kosovo, wird dort, wie er sagt, diskriminiert. Er ist 25 Jahre alt und Koch und hat gehört, dass man in Deutschland Köche braucht.

Suleiman S. ist 36, stammt aus Eritrea. Er will Arbeit und Frieden, den es zu Hause, wie er erzählt, nicht gibt.

Tarah R., 26, kommt aus Afghanistan, er hat dort Russisch gelernt und würde gern eine Arbeit als Elektriker finden.

Tammam S. ist 22, war Student in Syrien, ist vor dem Krieg geflohen und hofft, dass er hier weiter studieren kann.

„Sie haben alle so große Hoffnungen“, sagt Schwan Farho, der 1999 selbst aus Syrien gekommen ist und nun als Rezeptionist im Flüchtlingsheim arbeitet. „Aber sie müssten schneller ihren Aufenthaltsstatus bekommen und arbeiten können.“ Er selbst habe, weil er Kurde ist, bis heute keinen Pass, obwohl er immer gearbeitet hat. „Ich kann nicht einmal mit meiner deutschen Frau und unserem fünfjährigen Sohn Julian Urlaub im Ausland machen“, sagt er. Wenigstens kann er die beiden mit ins Olympiastadion nehmen – Julian ist schon ganz aufgeregt.

Euphorisch wie im Stadion haben sie die Deutschen noch nie gesehen

Auch die Flüchtlinge tauen zunehmend auf und amüsieren sich köstlich über die Kampfgesänge von Kölnern und Berliner Fans in der S-Bahn. „So habe ich die Deutschen ja noch nie erlebt“, sagt ein Syrer. Vor dem Stadion wartet Rüdiger Böhringer auf Nachzügler: „Ich finde es großartig von Hertha BSC, dass sie uns die Karten geschenkt haben“, sagt er. Einige Flüchtlinge wollen wissen, wann das Stadion gebaut wurde, andere fragen, ob das Fußballspiel ein Finale ist.

Dann geht es durch die Kontrollen und endlich sind sie drin: Gegentribüne (Nord) Oberring, Block 28.1. Die Kulisse ist traumhaft, die Hertha-Fans legen richtig los und die meisten Flüchtlinge fiebern ganz schnell mit. Applaudieren, springen auf, wenn Berlin angreift, sinken wieder zurück, wenn die Chance vertan ist. Und vergessen für 90 Minuten ihre Sorgen.

Sogar die Männer aus Syrien, die gerade noch von ihrer Verzweiflung erzählt haben, weil sie für ihre zurückgebliebenen Familien keinen Termin bei der deutschen Botschaft in Beirut bekommen, knabbern Sonnenblumenkerne, feuern Hertha an und klopfen am Ende ihrem Heimleiter tröstend auf die Schulter.

Der 58-Jährige hat die ganze Zeit still gelitten, nun strahlt er. Auch wenn Hertha nicht gewonnen hat und kein Tor fiel, für die Flüchtlinge war es ein schönes Erlebnis. Vielleicht klappt es ja noch einmal mit Karten für das Heimspiel gegen Mönchengladbach. Oder – Rüdiger Böhringer seufzt tief – mit seinen Flüchtlingen würde er sogar das erste Mal im Leben zum Erzrivalen Union in die Alte Försterei gehen.

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