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Das Lageso soll bald nicht mehr zuständig sein, für die Aufnahme und Registrierung von Flüchtlingen. Ein neues Landesamt soll errichtet werden, wie die Senatsverwaltung mitteilte.

© REUTERS

Flüchtlinge in Berlin: Das Chaos am Lageso betrifft den ganzen Senat

Der Sozialsenator ist wegen der Zustände am Lageso angezeigt worden. Doch Mario Czaja allein trägt nicht die Schuld - das weiß auch der Regierende Bürgermeister. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

In Deutschland kann jeder jeden anzeigen, das bedeutet erst mal nicht viel. Den Ärger hat zunächst nur die Staatsanwaltschaft, die prüfen muss, ob etwas dahintersteckt – erst dann, wenn es genügend Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten gibt, wird auch ein Ermittlungsverfahren eröffnet.

Wenn allerdings 40 Rechtsanwälte einen Senator anzeigen, wie es jetzt Mario Czaja erlebt, und wenn es dann auch noch um den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung geht, sieht die Sache anders aus – dann ist das ein Fall von Anfang an.

Das Lagerfeuer, an dem sich die SPD die unschuldigen Hände wärmt

Drei Motive treiben die Anwälte an: 1) das juristische – sie sagen selbst: Das ist ein „interessantes Verfahren“, Motto: Mal sehen, was so geht. 2) Das menschliche – die Zustände vor dem Lageso sind tatsächlich schwer zu ertragen, vor allem von den unmittelbar Betroffenen. Die Anzeige soll „den Druck erhöhen“, damit sich was ändert. 3) das politische – die Anwälte mögen nicht alle links oder grün sein, aber in den Verdacht, der CDU nahezustehen, kommt keiner der beteiligten Verbände. Die Anzeige passt auch zeitlich auffällig gut zu den jüngsten Attacken der Grünen auf Czaja.

Tatsächlich ist Czaja verantwortlich für die Organisation des Amtes, und die wirkt desaströs. Seit Monaten ist die Überforderung offensichtlich, die Zahl der verkündeten Absichten übersteigt die der tatsächlichen Gegenmaßnahmen bei Weitem. Und doch ist die Vorstellung naiv, dass ein Einzelner, oder auch ein Einzelner mit seinem Amtsleiter, der ebenfalls angezeigt wurde, die Probleme verursachen oder lösen könnte – zumal wenn dieser Einzelne nicht einmal der Mächtigste ist im Land Berlin.

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, die dazu führen, dass von allen Städten und Bundesländern die Aufnahme von Flüchtlingen in Berlin am miserabelsten läuft: Da sind die Abstimmungsprobleme und unterschiedlichen Interessen zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken; da gibt es die personelle Mangelausstattung, die aus der Sarrazin-Wowereit-Zeit stammt, und den bürokratischen Irrsinn, der einer besseren Notfallausstattung entgegensteht; da ist der Dienstzeitfetischismus, den der Senat den Personalräten nicht mit Geld oder Zeit, sondern mit Stoizismus austreiben will; und selbstverständlich ist da auch noch das Politspielchen „Rette sich, wer kann“, das ein dreiviertel Jahr vor der Wahl mit zunehmender Leidenschaft ausgetragen wird – die klammheimliche Freude, wenn’s der Czaja mal wieder nicht wuppt, ist das Lagerfeuer, an dem sich die SPD gemeinsam mit der Opposition die unschuldigen Hände wärmt.

Der Vorwurf gegenüber Czaja, der jetzt offen im Raum steht, lautet: Ein CDU-Senator nimmt bewusst in Kauf, dass Menschen verletzt werden, um das politische Ziel der Abschreckung weiterer Asylantragsteller zu verfolgen. Wenn das aber auch der Eindruck des Regierenden Bürgermeisters ist, dann müsste er ihn sofort entlassen, andernfalls machte er sich mitschuldig. Doch Müller wird wissen, dass einer allein am Behördenversagen nicht schuld ist. Die Anzeige betrifft den gesamten Senat.

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