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Hauptsache Spaß. 21 Flüchtlinge werden derzeit beim Landessportbund zu Übungsleitern im Breitensport ausgebildet. Zum Programm gehören dabei auch Spiele wie der Reifentwist. Außerdem absolvieren die Teilnehmer jeweils ein Betriebspraktikum.

© Kai-Uwe Heinrich

Flüchtlinge in Berlin: Der besondere Dreh

Ein neues Projekt in Berlin bildet Flüchtlinge als Übungsleiter aus und ermöglicht ihnen ein Berufspraktikum.

Der Holzreif dreht sich und dreht sich, aber rotiert dabei immer flacher. Und nach sieben Sekunden fällt er klappernd auf den Hallenboden. Sieben Sekunden, Ziel verfehlt, um schlappe 53 Sekunden. Das ist ein toller Beginn.

Eine Minute sollte lang sollte der Reif rotieren, eine Minute lang sollte er nicht auf den Boden fallen. Das war die Ansage von Nils Steinke. Genau genommen hatte er sogar gesagt: „Ziel ist es, dass die 23 Reifen nicht auf den Boden fallen.“ 23, also zwei Reifen mehr als sich Teilnehmer in den kleinen Gymnastikraum gequetscht hatten.

Da stehen sie nun, neben Steinke noch 18 Männer und drei Frauen, in Lederjacken, dicken Pullover, Jeans, alle auf Socken, die Frauen zudem mit Kopftuch. Seit ein paar Minuten tauchen sie in die Welt des deutschen Breitensports ein. Der Raum gehört zur Zentrale des Landessportbund Berlins (LSB), Nils Steinke ist Referent, und seine Zuhörer Teil eines deutschlandweit einzigartigen Projekts.

Sport plus Berufspraktikum

Sie kommen aus Syrien, Ägypten, Libyen, dem Irak, diese Zuhörer, ihre Adressen sind Flüchtlingsheime in Berlin, sie sind bereit, zu lernen, eine Prüfung zu bestehen, völlig neue Erfahrungen zu machen. Zum Beispiel Reifentwist. Jeder Teilnehmer hat einen Holzreifen, er muss ihn drehen, so stark, dass der Reifen nicht sofort umfällt und jeder muss darauf achten, dass ein Reifen, der gefährlich flach kreist, wieder waagrecht rotiert. Und dazwischen steht Nils Steinke, Gymnastiklehrer, und dreht kräftig mit.

Es ist Montag, es sind die ersten Minuten am ersten Tag der Ausbildung. Am Ende werden 21 Flüchtlinge aus dem arabischen Raum, alle zwischen 17 und 30 Jahre alt, eine Lizenz als Übungsleiter im Breitensport erhalten. „Wenn sie alle durchhalten“, sagt Joana Seidel. Sie ist beim LSB für das Projekt zuständig.

Wenn sie alle durchhalten, so sicher ist das nämlich nicht. Denn das Projekt besteht nicht bloß aus Reifentwist und anderen Spielereien. In Berlin wird seit Montag eine besondere duale Ausbildung angeboten: Sport plus Berufspraktikum.

Flüchtlinge als Praktikanten

Zwei Tage in der Woche werden die Flüchtlinge zum Übungsleiter ausgebildet, drei Tage in der Woche lernen sie die deutsche Berufswelt kennen. Nach drei Monaten in der Sporthalle haben sie die LSB-Lizenz, nach drei Monaten im Betrieb oder in einer Praxis haben sie entweder einen Ausbildungsplatz, einen festen Job oder zumindest die Chancen zur weiteren Qualifizierung. Das ist das Ziel. So hat sich das Markus Deecke vorgestellt.

Deecke hängt lässig in einem Stuhl im Foyer der LSB-Zentrale, rot-weiß gepunktetes Halstuch unterm Hemd, die Haare nach hinten gegellt. „Ich bin der Initiator des Projekts“, sagt er. Deecke ist Unternehmer, er kommt „aus dem Sportmanagement“, und er hat sich gefragt, wie man Flüchtlingen vielfältig helfen kann.

Deecke aktivierte seine Kontakte zum Sport und zur Wirtschaft, vor allem aber kam er mit der Gesellschaft für sozialgesellschaftliche Arbeit ins Gespräch. Am Ende hatte er 16 Zusagen von Hotels, Gastronomiebetrieben, einer zahnorthopädischen Praxis und sogar von einem noblen Golfklub. Sie alle nehmen Flüchtlinge als Praktikanten auf, der Golfklub zum Beispiel einen Studenten, der in Syrien Agrarwissenschaft studierte. Im Gymnastikraum sind zwar 21 Flüchtlinge, nicht bloß 16, aber Deecke ist sicher, dass er weitere Zusagen erhält.

Mit Fragebogen in die Flüchtlingsheime

Der Student aus Syrien arbeitet sich im Gymnastikraum an Rollenspielen ab, während Deecke im Foyer von seinem Projekt erzählt. Zum Beispiel, wie die sportlichen Flüchtlingen überhaupt ausgewählt wurden. Mit dem Zeigefinger deutet er über den Tisch, Ziel ist ein groß gewachsener Mann, der sich an einem Späßchen versucht. „Ich versuche mich als Sozialarbeiter“, sagt Zeljko Ristic. Gut, er ist natürlich echter, erfahrener Sozialarbeiter, abgestellt von der Gesellschaft für sozialgesellschaftliche Arbeit.

Ristic tauchte mit einer Kollegin und einem Fragebogen in diversen Flüchtlingsheimen auf, nach Absprache mit den zuständigen Sozialarbeitern natürlich. Auf dem Bogen standen Fragen wie: „Welche Sportart mögen Sie?“ Oder: „Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?“. Oder auch: „Welche Stärken haben Sie?“

Die Antworten lieferten Menschen, die in ihrem Heimen gehört hatten, dass Männer und Frauen gesucht werden, die ein Berufspraktikum mit einer sportlichen Ausbildung verbinden möchten. Ristic führte dann die Interviews. 70 insgesamt, 21 Flüchtlinge erhielten den Zuschlag. Salye Khalif zum Beispiel. Die 17-Jährige wird in einer zahnorthopädischen Praxis arbeiten. Sie floh vor dem Chaos in Libyen, lebt seit 15 Monaten in Deutschland und spricht die neue Sprache bemerkenswert gut.

"Frauen haben in der Gruppe einen hohen Stellenwert"

Die 17-Jährige trägt einen langen schwarzen Rock über ihren Jeans, sie kichert im Gymnastikraum etwas verlegen, als sie bei einem kleinen Spiel eine beliebige Bewegung machen soll. Drei Frauen, umgeben von 18 arabischen Männern? „Es gibt kein Problem“, sagt Salye Khalif in einer Pause,, „alle sind nett“.

Nett vielleicht schon, aber man sieht auch die Feinheiten. Zwei, drei Männer tun sich schwer, direkt neben den Frauen zu stehen. Kleine Signale nur, kurze Gesten, aber Zeichen dafür, dass noch viel zu tun ist für die beiden Hauptreferenten, neben denen immer ein Dolmetscher steht. Aber Initiator Deecke sieht das alles eher gelassen. „Die Frauen haben in der Gruppe einen hohen Stellenwert, weil sie am besten Deutsch sprechen.“

Ein größeres Problem war eher die Familie der 17-Jährigen. Vater und Mutter leben in einem Heim in Reinickendorf, und der Gedanke, dass die Tochter, je nach Sprechzeiten, am Abend allein nach Hause fahren soll, der löste gewaltige Diskussionen aus. Ristic konnte sie beruhigen, zudem darf die Tochter zu akzeptablen Uhrzeiten nach Hause fahren.

Sie strahlt Energie aus

Salye Khalif ist eher zierlich, unterm Kopftuch wirkt das schmale Gesicht noch schmaler. Aber sie strahlt Energie aus, schwer vorstellbar, dass sie die Prüfung nicht bestehen wird. Im arabischen Raum hätte sie it einer Lizenz dann gute Jobchancen. Deecke hat das erfahren, als er sich auf das Projekt vorbereitete.

„Im arabischen Raum sind viele Kinder und Jugendliche zu dick, dort werden dringend Übungsleiter gesucht.“ Nach einer Kunstpause schnalzt er mit der Zunge. „Wenn dann Übungsleiter mit einer Lizenz made in Germany kommen, ist das nicht das Schlechteste." Bestimmt nicht. Doch auf eine Übungsleiterin Salye Khalif müssen sie im arabischen Raum verzichten. Zurück nach Libyen? Die 17-Jährige zuckt zusammen, Blicke wie Scheinwerfer. „Nie im Leben gehe ich zurück.“

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