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Wo ist eine Wohnung zu bekommen? Moussa Bassals Adresse kursiert sogar unter Flüchtlingen in der Türkei. Wer es bis Berlin schafft, kommt in seinen Laden und weiß: Hier wird ihm geholfen.

© Mike Wolff

Flüchtlinge in Berlin: Der Seelsorger von der Sonnenallee

Eigentlich verkauft Moussa Bassal in Neukölln Handys samt Zubehör. Im Moment aber ist alles anders: Zu ihm kommen Flüchtlinge auf der Suche nach Rat und Hilfe in der fremden Stadt. Ein Ortstermin.

Der Handyshopbesitzer Moussa Bassal ist eine der ersten Anlaufstellen für Flüchtlinge aus ganz Berlin. In seinem Laden an der Sonnenallee löst er kleine und große Probleme. Warum die Menschen ausgerechnet zu ihm kommen? Vertrauen, sagt er. Drei Uhr, am Nachmittag. Moussa Bassal, 39 Jahre alt, grün kariertes Hemd, eckige Brille und dichter Bart, steht hinter dem Tresen des „Bassal Shop“, Sonnenallee, Ecke Pannierstraße und schraubt an einem Handy. Das Display ist kaputt. „Ich bin in letzter Zeit nicht nur Verkäufer“, sagt er. „Ich bin Sozialarbeiter, Psychiater, Wohnungsvermittler und Lebensberater.“ Vor vier Monaten fing es an, seitdem kommen immer mehr Flüchtlinge zu Bassal. Freitags nach dem Gebet ist am meisten los. Zusätzlich zur normaler Kundschaft kommen dann 30 bis 40 Leute, die andere Sorgen haben als ihr Handy.

Viele sind in den Tempelhofer Hangars oder in der Flüchtlingsunterkunft im alten C&A-Gebäude untergebracht. Andere kommen von sehr viel weiter her. Zwei junge Syrer, in dünnen Regenjacken, die sich ihr Handy neu einstellen lassen, haben in einem Koffer all ihre Habseligkeiten dabei. Bassal erkennt sofort, ob jemand schon länger in Berlin wohnt oder erst vor Kurzem geflohen ist.

„Es ist einfach der Gang, die Haltung, ich sehe jemandem an, wenn er unsicher ist.“ Viele Familien seien dabei. Sie fragen, wo die Frau am besten entbinden könne, wie sie an eine Wohnung kommen oder wo man seinen Sohn beschneiden lassen könne. Einmal kam einer in den Laden, auf einem Zettel Bassals Adresse. Die hatte ihm jemand in Istanbul aufgeschrieben und gesagt: Dort kriegst du Hilfe.

Wo ist die nächste Moschee?

Meistens ist es voll im Laden, aber Bassal wird nie hektisch. Der Bär von einem Mann wechselt geduldig SIM-Karten, hört zu, nimmt Reparaturen an. Draußen beginnt es zu regnen. Zwei junge Männer und zwei Mädchen kommen herein. Sie sehen müde aus, ein Mädchen hat tiefe Augenringe. Auf dem Arm trägt sie ein Baby, eingewickelt in eine dicke Decke.

Die Männer kaufen SIM-Karten, Ladegeräte. Das Mädchen mit den Augenringen schaut sich die Süßigkeiten an, fragt, wie viel eine mit einem Plüschhuhn als Deckel kosten. „Ein Euro fünfzig“, sagt Bassal. Sie legt die Ware wieder weg. Als die vier gegangen sind, sagt Bassal: „Die sind noch ganz neu hier.“

Heute morgen haben ihn viele gefragt, wo die nächste Moschee ist. Dreihundert Meter die Straße hoch, sagt er dann. Oder Skalitzer Straße, Ecke Wiener Straße. Bassal erklärt, wie man dort hinkommt. Er spricht Deutsch, Arabisch, Französisch, Englisch, ein bisschen Türkisch und ein wenig Polnisch. „Aber in der Schule war ich nie gut“, sagt er und lacht laut.

Es riecht nach türkischem Kaffee. Den hat Bassals Cousin aus Aleppo gekocht. In Neukölln gibt es nicht viele Flüchtlingsunterkünfte, aber viele Berliner nehmen ihre Verwandten aus Syrien und dem Irak direkt bei sich zu Hause auf. Der Cousin hilft im Laden aus. „Das ist doch besser, als wenn er in Tempelhof sein müsste. Da ist es wirklich schrecklich“, sagt Bassal.

Eine seelische Belastung

Eine seelische Belastung sei es schon, mit den vielen Menschen umzugehen, die Rat suchen. Und es kostet Zeit. Heute hat er erst eine Banane und zwei Erdbeeren gegessen. Wenn kurz niemand im Laden ist, streckt er sich, lässt seinen Kopf kreisen. Sein Arbeitstag beginnt um elf und endet um neun. „Bevor ich abends zu meiner Frau gehe, muss ich erst einmal runterkommen“, sagt er. Dann setzt er sich noch eine halbe Stunde ins Hinterzimmer und spielt Nintendo.

Er glaubt, auch wenn es eine offizielle Auskunftsstelle für Flüchtlinge in der Sonnenallee gäbe, würden die Menschen weiter zu ihm kommen. „Es geht um Vertrauen“, sagt er. „Ich spreche dieselbe Sprache und sie hören von anderen, dass ich ein geduldiger Mann bin.“ Bassal kam selbst mit seiner Familie Anfang der Neunzigerjahre nach Deutschland. Damals herrschte Bürgerkrieg im Libanon. „Meine Mutter hatte Angst, dass ihre Kinder bei einer der Milizen enden.“ Auch deshalb kann er die Menschen, die bei ihm Hilfe suchen, gut verstehen.

2002 hat er den Laden in der Sonnenallee eröffnet. Da sah es in Neukölln noch ganz anders aus. „Ich hatte den zweiten Handyladen in der ganzen Straße“, sagt Bassal. Heute sind es Dutzende. Schaut Bassal aus dem Fenster, sieht er vorbeieilende Menschen mit bunten Plastiktüten voller Becher mit Labneh, einer Art Joghurt und Gemüse, importiert aus Jordanien, gekauft in einem der vielen arabischen Supermärkte.

Die Familie anrufen

Direkt vor der Tür, die meistens offensteht, hält der Bus der Linie M41, viele Menschen steigen aus, viele andere ein. Viele der Vorbeikommenden kennen Bassal, sie rufen ein kurzes „Salam aleikum Moussa“ in seine Richtung oder kommen kurz herein, um seine Hand zu schütteln.

Bassal versteht nicht, warum es für manche Deutsche so schwer zu begreifen ist, dass Flüchtlinge Smartphones haben. „Ich würde Leute, die sich über so etwas wundern, fragen: Würdet ihr nicht eure Familie anrufen wollen?“ Vielleicht kommen deshalb auch so viele Flüchtlinge ausgerechnet zu ihm. Weil ein Handy mit Internetverbindung für viele das Wichtigste ist, um sich zurecht zu finden und Kontakt zu Freunden und Verwandten zu halten.

Um halb fünf kommt ein junger Mann mit Rucksack und bringt Nachschub an SIM-Karten. Schon jetzt sieht Bassal ziemlich müde aus. Sein Cousin macht ihm ein Sandwich. Draußen wird es dunkel. Bassal sagt: „Ich muss jetzt schnell mal beten.“ Es ist seine erste richtige Pause an diesem Tag.

Pascale Müller

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