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Matratzenlager. Frank Kaiser, der nicht erkannt werden möchte, bereitet die Schlafgelegenheiten für die Nacht vor. Bald kommen die ersten Flüchtlinge.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Flüchtlinge in Berlin: Weich gelandet

Privatleute organisieren seit Monaten eine Notunterkunft für Flüchtlinge, am Rande der Legalität. Ein Besuch an einem Ort, der mehr ist als nur Schlafplatz.

21 Uhr irgendwo im Berliner Osten. Miriam Winkler und Frank Kaiser ziehen Matratzen über den Holzfußboden in den Schlafraum, holen Plastiksäcke aus dem Keller, auf denen kleine gelbe Zettel kleben. „Ahmed“, steht da, oder „Ali“. Winkler und Kaiser, beide Anfang 30, organisieren die vermutlich einzige private Notunterkunft für Flüchtlinge in Berlin. Um halb neun fängt ihre Nachtschicht an. Sie haben Platz für neun Schlafgäste. An manchen Abenden haben schon 13 Menschen hier übernachtet, manchmal auch eine Familie. Die bekommt dann eine Extranische, in der sonst die Helfer auf der Couch schlafen.

Seit September haben Winkler, Kaiser und 200 andere Helfer hier mehr als 300 Menschen untergebracht. Fast alles junge Männer, die „irgendwie durch’s Raster fallen“, wie Winkler sagt. Sie bewegen sich damit in einer rechtlichen Grauzone, denn eigentlich dürfen die Räume nicht als Schlafraum genutzt werden. Deshalb heißen Winkler und Kaiser eigentlich anders und deshalb wird der Ort der Unterkunft in diesem Text nicht genannt.

Einfach helfen

„Ich habe große Angst, dass jemand kommt und mich anzeigt“, sagt Anna Suarez, die hier Mieterin ist und ebenfalls anders heißt. Sie ist Vorsitzende eines Berliner Vereins zur Flüchtlingshilfe und sagt: „Ich konnte die Schreckensmeldungen von Menschen, die auf der Straße schlafen mussten, nicht mehr hören.“ Die ersten Monate Miete hat sie bezahlt, mittlerweile decken Spenden die Kosten. Am Anfang hat Suarez auch noch bei den Nachtschichten mitgemacht, aber jetzt gibt es im Verein zu viel zu tun. Dafür trägt sie das Risiko.

In ihrer Stimme liegt all der Wille, einfach zu helfen, aber auch die Wut auf diese Regeln, die niemandem nützen, wie sie sagt. Nicht nur Suarez geht mit der Unterkunft ein Risiko ein. Einige der Flüchtlinge, die hier übernachten, müssten eigentlich woanders schlafen, in einer Großunterkunft. Tempelhof vielleicht, wo es so laut ist, dass niemand ein Auge zubekommt. Wo es kaum Duschen gibt und keine Chance, sich abzulenken. Das halten sie nicht aus. Damit sie aber keine Probleme bekommen, werden sie hier nur mit Vornamen genannt.

Es ist halb zehn. Frank Kaiser kocht Tee. Er ist beruflich Koch. Wenn er in der Notunterkunft arbeitet, macht er am nächsten Tag die Spätschicht. Er kam dazu, als die Unterkunft zwei Wochen lief. „Ich wollte nur beim Vorbereiten helfen, einmal beim Wäschewaschen“, sagt er. Aber „dann ist es irgendwie passiert.“ Jetzt hat er mehr als 15 Nachtschichten hinter sich. Manchmal schläft er statt in der Helfernische auf einer der Matratzen zwischen „den Jungs“, wie sie die Dauernachtgäste nennen.

Eine, die beide Seiten kennt

Ahmed kommt herein. Er hat ein Strahlen auf dem Gesicht, denn er kommt vom Sprachkurs. „Wie geht es dir?“, fragt er Winkler. Die kleine blonde Frau sagt: „Tamam – gut.“ Kaiser stellt Hummus und Brot auf einen kleinen Tisch, daneben, sauber aufgereiht, Deosprays, Duschgel, Zahnbürsten und Handtücher, eine Tube Taft. Es gibt keine Duschen, nur Toiletten und Waschbecken.

Ahmed zieht etwas aus seinem Rucksack. „Kontrolleur“, sagt er. Weil er seine Kundennummer nicht auf sein Monatsticket geschrieben hat, hat ein Kontrolleur der BVG ihm eine Rechnung wegen Schwarzfahrens verpasst. Miriam Winkler erklärt geduldig, was das Problem ist. Doch diesmal helfen Hände und Füße nicht weiter. Sie wählt eine Nummer. Fouad ist Winklers Telefonjoker, ihr Mitbewohner, auch ein syrischer Flüchtling, der mittlerweile so gut Deutsch spricht, dass er für sie übersetzt. Das Handy wird herumgereicht, von Winkler zu Ahmed und zurück. Es dauert noch zwei weitere Anrufe, bis er ganz verstanden hat.

Miriam Winkler ist eigentlich Rechtspflegerin beim Kammergericht. Sie wurde abbeordert, um im Lageso, die Jungs nennen es nur „Sozial“, auszuhelfen. Damit ist sie eine der wenigen Ehrenamtlichen, die beide Seiten kennt. Tagsüber sitzt sie im Lageso, in ihrer Freizeit organisiert sie die Notunterkunft. An ihrer Seite: Ein großer Pappbecher mit Kaffee. „Ich konnte das nicht vergessen, wenn ich abends in meinem warmen Bette gelegen habe und wusste, draußen frieren die Menschen auf dem Bürgersteig“, sagt sie. So einfach ist das.

Helfer leben im Ausnahmezustand

Kaum einer ihrer Freunde versteht, warum sie das macht. Und immer weniger Zeit hat, sich mit ihnen zu treffen, weil sie Nachtschichten macht oder einfach müde ist. Sie hilft auch in der Teegruppe, die nachts vor dem Lageso steht. Es falle immer schwerer, „umzuschalten“, sagt sie. Auch die Helfer leben im Ausnahmezustand. Winkler ist ständig erreichbar. Bis um Mitternacht wird sie angerufen, oder ruft an, schreibt über Facebook und Whatsapp. „Man gerät in so einen Strudel, aus dem man nicht mehr rauskommt“, sagt sie. Die vielen Notaufrufe in den Facebookgruppen, irgendwas fehlt immer. Vor Kurzem war sie drei Wochen lang krankgeschrieben. Es ging einfach nicht mehr.

Um elf sind fast alle Matratzen belegt. Die Helfer und die jungen Männer begrüßen sich wie alte Bekannte. Ali aus Syrien schläft schon seit Oktober hier. „Natürlich entstehen hier auch Freundschaften“, sagt Winkler. Jetzt erklärt sie Worte, erläutert Termine. Hussein, gegeltes Haar, akkurater Bart, ist nicht in den Bus gestiegen, der jeden Abend am Lageso abfährt.

Aber nur, wer dort einsteigt, bekommt eine Unterkunft oder hat Anspruch auf einen Hostelplatz. Wer vor dem Amt ausharrt, bekommt nichts. Deshalb wurden vor dem Lageso Flugblätter verteilt, auf denen steht: Der Bus fährt um 17 Uhr am Abend ab. Auf Deutsch. „Sie schreiben es in riesigen Buchstaben, als ob die Leute es deshalb besser verstehen könnten“, sagt Winkler. Fouad, der Telefonjoker, muss helfen. Winkler sagt: „Du musst in den Bus steigen.“

Ahmed und Frank Kaiser sitzen auf einer Matratze und machen Selfies miteinander. Mohamed hat eine Verbentabelle dabei. Er fragt, was die Wörter bedeuten. Dann spricht er sie nach. Ich möchte. Du möchtest. Sie möchte. Ali ruft dazwischen: „Ich möchte Haus!“ Alle lachen. Als es noch W-Lan gab, sagt Winkler, saßen alle abends auf ihren Betten und telefonierten nach Hause. Die meisten hier sind aus Syrien oder dem Irak. Einige Pakistanis hatten sie auch schon. Ahmed spielt Musik auf seinem Handy, ein Lied zum Deutschlernen. Er murmelt: „Die Lampe. Das Mädchen. Mein Handy. Dein Handy. Das ist nicht mein Handy.“

Am Abend werden sie wiederkommen

Es könnte auch eine Pyjamaparty sein, zögen die Jungs nicht immer wieder Papiere aus ihren Rucksäcken und Taschen, auf denen ihre Termine bei Lageso, Ausländerbehörde oder dem Bundesamt für Ausländer und Migration stehen. Über die Miriam Winkler sagt: „Ich arbeite zwar beim Lageso, ich verstehe die Sprache, aber diese Papiere sind sogar für mich verwirrend.“ Morgen müssen sie wieder raus und sich stundenlang in irgendeine Schlange auf irgendeinem Amt einreihen, um irgendein Papier zu bekommen.

Zwei der Jungs sollten eigentlich heute in eine Ferienwohnung einziehen, doch etwas hat nicht geklappt. Sie sind enttäuscht. „Nicht gut, nicht gut“, sagen sie. Winkler macht ihnen Mut. Sie sollen es wieder versuchen. „Mumkin ist besser als no mumkin“, sagt sie. „Vielleicht ist besser als nichts.“

Eigentlich ruft die Nachtschicht von „Moabit hilft!“ so gegen ein Uhr noch mal an, um zu fragen, wie viele Schlafplätze noch frei sind. Doch heute ist schon früh alles voll. Nicht lange und sie schlafen schnarchend ein, Kaiser auf dem Sofa. Am Morgen gibt es Frühstück. Etwas Tee, etwas Kaffee. Die Jungs stopfen ihre Bettlaken und Decken in blaue Plastiksäcke und kleben ihren Namen darauf. Am Abend werden sie wiederkommen, wie immer um halb zehn.

Pascale Müller

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