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Bis Sonntag protestierten Flüchtlinge auf dem Dach des Hostels in der Gürtelstraße in Friedrichshain.

© dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Verwalten reicht nicht

In Anbetracht der Zahlen ist es Zeit, dass für die Flüchtlinge nationale und europäische Lösungen gefunden werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Auch Gutmenschen können mal recht haben. Dass es in deutschen Städten immer schwerer wird, Flüchtlinge und Asylbewerber unterzubringen, hat vor allem mit der Bürokratie zu tun. Darauf haben Flüchtlingsräte am Freitag hingewiesen. Es sind nicht die Zahlen, die Mengen von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, von verfolgten Christen oder Jesiden aus dem Einflussbereich des „Kalifatsstaats“, von politisch verfolgten Afghanen – es sind die komplizierten, zeitaufwendigen, rechtlich betonierten Wege, die jeder Einzelne gehen muss, um in Deutschland bleiben zu dürfen.

Da wird dann das ohnehin abschreckende Aufnahmeverfahren zu dem, was die Leute von Pro Asyl und anderen Organisationen menschenunwürdig nennen. Vielleicht überschätzen sie die Möglichkeiten von Menschen, die einem Krieg entkommen sind und nur ihr Leben in Sicherheit bringen konnten, wenn sie fordern: Flüchtlinge sollten gar nicht mehr die Erstaufnahmeeinrichtungen besuchen müssen, sondern sich gleich Unterkünfte besorgen dürfen. Aber wenn – wie in Berlin und München – die Behörden unter dem Andrang zusammenbrechen und für Tage schließen, funktioniert die Bürokratie nicht mehr – und die Leute müssen sich selber kümmern.

Zustimmung kommt bloß von ein paar Gutmenschen

200 000 Flüchtlinge werden wohl in diesem Jahr nach Deutschland kommen, 76 000 mehr als im vergangen Jahr. In den Städten werden Schulen umgebaut zu Heimen, auf dem flachen Land werden ehemalige Kasernen umgenutzt. Mitten in Europa spüren wir die Wirkung von versagender Außen- und Sicherheitspolitik: Syrien, Irak, Afghanistan, demnächst die Ukraine produzieren, was mit „Flüchtlingsströmen“ falsch benannt wäre, weil es lauter Einzelschicksale von Menschen sind, die in ihrer Heimat nicht leben können.

Da fällt dann schon auf, dass die Politik, zumal in ihren höheren Rängen, die Befassung mit dem „Problem“ scheut. Flüchtlingshilfe in Form von Feldbetten geht immer, Asylpolitik in Gestalt von Verfahrensänderungen oder kurzfristigen Personalaufstockungen ist etwas anderes. Man macht sich wenig Freunde damit. Ob man sich Sozialdemokrat nennt oder Christdemokrat: Zustimmung zu einer liberalisierten Asylpolitik kommt bloß von ein paar Gutmenschen, Dank kommt bloß von denen, die das Recht auf Asyl in Anspruch nehmen. Die große Koalition hat immerhin versprochen, die rigiden Vorschriften in Sachen Aufenthalt und Arbeitsverbot zu ändern. Damit entfiele endlich etwas Bürokratie.

Doch in Anbetracht der Zahlen ist es Zeit für ein bisschen mehr Befassung auf der Bundesebene. Vielleicht kann man im Bundesinnenministerium mal darüber nachdenken, ob man auf einem juristischen Nebenweg Menschen aus einem Trümmerstaat wie Syrien ohne lange Verfahren einen „Status“ geben kann. Vielleicht kann man auf EU-Ebene mal darüber reden, warum in „Kandidatenstaaten“ wie Serbien Angehörige der Roma offenbar so schlecht behandelt werden, dass sie sich hier um Asyl bewerben. Die Zeiten, in denen man Flüchtlinge unauffällig wegverwalten konnte, sind vorbei.

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