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Berlin: Föderalismus in Öl

Premiere im Bundesrat: Sechs Künstler malen während der Plenarsitzung – und im Büro des Präsidenten

Während die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter gerade über Verkehrsordnungswidrigkeitenrechte spricht, versuchen sechs Kunstmaler, die Stimmung im Saal festzuhalten. Das hat es im Bundesrat noch nie gegeben: Fünf Männer und eine Frau arbeiten an ihren Staffeleien, während die Ministerpräsidenten der Länder mit ihrem Gefolge 96 Tagesordnungspunkte hinter sich bringen.

Hier arbeitet also jeder auf seine Weise. Die Ländervertreter im Plenum, die Künstler im Wandelgang hinter Glas, auf der Empore oder der Zuschauertribüne. „Ganz genial, wie die das machen“, sagt einer der Saaldiener im Frack. „Alle Achtung!“, lobt ein Minister aus Baden-Württemberg. Die Künstler bringen nicht nur Farben auf ihre Leinwände, sondern werden selbst zum Farbtupfer im politischen Alltag. Sie malen, jeder für sich und mit eigenem Stil, am Ende im Wettlauf gegen die Tagesordnung: Blitzschnell entstehen Gemälde mit der schemenhaften Schar der Hauptdarsteller im lichten Saal der Länderkammer. Spannend sind die individuellen Malstile, die künstlerischen Handschriften der Gäste mit Pinsel und Palette und ihre unterschiedlichen Perspektiven. Am Ende der 825. Sitzung des Bundesrates sind auch die Künstler so gut wie fertig.

„Es war eine schöne Herausforderung“, sagt der Berliner Maler André Krigar mit prüfendem Blick auf sein großformatiges Werk. Der Künstler aus Steglitz gehört zum Bund der „Norddeutschen Realisten“, der sechs seiner Mitglieder für diesen Trip in die politischen Gefilde der Hauptstadt ausgewählt hatte: Friedel Anderson aus Itzehoe, Brigitte Borchert (Molfsee bei Kiel), Tobias Duwe (Großensee), Erhard Göttlicher (Uetersen), André Krigar (Berlin) und Till Warwas (Bremen). Aus den Plein-Air-Malern sind nun Plenarmaler geworden – mit einiger Erfahrung bei der „Malerei vor Ort“. Initiator Michael Legband nennt Beispiele: die Docks im Hamburger Hafen, das Segelschulschiff „Gorch Fock“, ein norddeutsches Schleusenfest. Stadtlandschaften, das Innenleben von Jumbojets, Jean Sibelius’ finnisches Anwesen oder Orchesterproben mit Christoph Eschenbach. „Sie stellen sich Situationen, denen sich Maler bislang nicht gestellt haben.“ Realismus in Öl in Zeiten von Foto-Handys, Digitalkameras und bunten Fernsehbildern.

Die Künstler haben die vergangene Woche zunächst zur „stillen Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Umgebung“ genutzt, wie Till Warwas sagt: Sie nähern sich dem imposanten Gebäude an der Leipziger Straße mit dem Blick von der gegenüberliegenden Brache aus, bei Tageslicht und im Abendschein. Dann gehen sie hinein, porträtieren die neuen Säle im alten Preußischen Herrenhaus, Details des Foyers, Sessel, Fahnen, die Länderwappen, – bis schließlich die Menschen an der Reihe sind; als Erster der „Chef“.

Im Zimmer 2.060 residiert der Bundesratspräsident, zurzeit ist das der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. „Wir fahren hier ein hundertprozentiges Risiko“, sagt André Krigar, der mit seinen Malerfreunden schon Heide Simonis in mehreren Sitzungen gemalt hat. Aber hier ist alles anders: Das Model hat gerade mal eine Stunde Zeit. Carstensen, nach acht Stunden Flug aus Oman, wird mit Blaulicht-Auto gebracht. Mit einem fröhlichen „Moin!“ tritt das schwergewichtige Nordlicht ins Zimmer – und fragt: „Bin ich hier in meinem Büro oder was?“ Die sechs Maler haben ihre Staffeleien aufgebaut, ihre Farbkoffer geöffnet und die Pinsel in Alarmbereitschaft versetzt. Nur der Senior, Professor Erhard Göttlicher, holt als Malgerät eine Gänsefeder nach der anderen aus seiner Brusttasche.

Carstensen, der 1,91-Meter-Mann aus Kiel, hat etwas Freundlich-Joviales, das möchten sie malen, aber zugleich auch das Amtliche in dem Gesicht mit dem weißen Haar um Haupt, Mund und Nase. Der Politiker blättert in fünf Unterschriftenmappen und liest seine Rede, die er in einer halben Stunde zur 50-Jahr-Feier der Marine im Roten Rathaus halten wird. Dafür wird die Sitzung plötzlich beendet. Im Gehen umkurvt der Präsident die Bilder, nickt heftig, aber behält sein Urteil für sich.

Einer der sechs Maler hat in der kurzen Zeit sogar drei Porträts geschafft, Carstensen schwimmt in buntem Öl. Die Ausbeute der politischen Maltour wird im Februar in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung gezeigt. Und Carstensen kauft vielleicht ein Bild. Auf jeden Fall wird er die Realisten zu einem Fischessen einladen. Mit Klönsnack. Irgendwo am plattdeutschen Strand.

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