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Folge 13: Geburtshilfe: Nachhilfe für das Wunder des Lebens

Eine Geburt läuft nicht immer problemlos ab. Wenn eine natürliche Entbindung unmöglich ist, müssen Ärzte einen Kaiserschnitt durchführen.

Das Skalpell schneidet quer über ihren Unterbauch. Zehn Zentimeter. Kaiserschnitt. Jennifer Kadinsky (Name geändert) hatte sich eine natürliche Geburt gewünscht, doch es kam anders. 27 Stunden nachdem ihre Fruchtblase geplatzt war, hatte sich ihr Muttermund erst um vier Zentimeter geweitet. Zu wenig für eine natürliche Entbindung. Die Ärzte empfehlen einen Kaiserschnitt. Sie willigt ein. „Es war eine schwierige Entscheidung“, sagt sie hinterher. Doch die Vernunft habe schließlich gesiegt. Sie bekommt eine örtliche Betäubung. Ihr Ehemann ist mit dabei im Operationssaal.

Mit zwei gebogenen Haltern weiten die Ärzte den Schnitt im Unterbauch. Sie öffnen die Gebärmutter – und keine halbe Stunde, nach dem die 26-Jährige aus Rudow in den Operationssaal gebracht wurde, ziehen die Ärzte ein Baby aus ihrem Bauch. Einen Sohn. Der beginnt sofort zu schreien, regelmäßig und kräftig. Die Ärzte kappen die Nabelschnur und eine Hebamme trägt das Neugeborene in einen angrenzenden, gut geheizten Raum, wickelt es in ein Handtuch und legt es anschließend der Mutter in den Arm.

Eine Geschichte aus dem Alltag des Mutter-Kind-Zentrums des Vivantes Klinikums Neukölln. Das Haus in der Rudower Straße ist eine der größten Entbindungsstationen in Berlin. Im vergangenen Jahr kamen hier rund 3300 Kinder zur Welt. Neun Geburten pro Tag. Das Haus ist eins von zwei Perinatalzentren der Stadt. Das sind hoch spezialisierte Geburtskliniken, in der auch schwierigste Fälle wie Frühchen oder lebensbedrohlich erkrankte Babys versorgt werden. Direkt neben dem Kreißsaal liegt die Frühgeborenen-Intensivstation. Im Notfall ist ein Spezialist nur einen Flur weit entfernt.

Laut Senatsstatistik kamen in den vergangenen Jahren durchschnittlich zwölf Prozent aller Neugeborenen krank zur Welt, die Hälfte davon mit lebensgefährlichen Atem- oder Herz-Kreislauferkrankungen. Fachleute sehen darin den Grund, dass sich 96 Prozent der Eltern trotz Alternativen wie Geburtshäusern, Hebammenpraxen oder Hausgeburten vorsichtshalber für eine Entbindung in einer Klinik entscheiden.

„Unsere Hauptaufgabe ist die Risikoeinschätzung“, sagt Babett Ramsauer, Leitende Oberärztin für Geburtsmedizin im Klinikum Neukölln. Bei der Beobachtung helfen die Computer in der Zentrale der Station. In dem kleinen Zimmer mit Glasfront stehen Monitore, auf denen die Ärzte die Stärke der Wehen der Schwangeren oder den Herzschlag der ungeborenen Kinder verfolgen können. Wenn Probleme auftauchen, müssen sie sofort eingreifen, unter Umständen per Kaiserschnitt. Dann muss es schnell gehen.

In Notfällen, zum Beispiel wenn der Säugling von der Nabelschnur stranguliert zu werden droht oder die Durchblutung unterbrochen ist, darf es von der Entscheidung zu einem Eingriff bis zur Entbindung höchstens 20 Minuten dauern, damit das Kind maximale Überlebenschancen hat. Ein trainiertes OP-Team schafft einen Kaiserschnitt in zehn.

Viele Mütter bevorzugten zwar eine natürliche Geburt. Vom medizinischen Standpunkt betrachtet aber könne bei einer normalen Geburt eine Menge schief gehen, sagt Babett Ramsauer. „Das geringste Risiko besteht bei einem geplanten Kaiserschnitt.“

Die Zahl der Kaiserschnitte steigt seit Jahren stetig. 2006 betrug die Quote in Deutschland 27 Prozent, vor rund zehn Jahren lag sie noch bei 17 Prozent. Die Gründe dafür sieht Klaus Vetter, Chefarzt der Geburtsmedizin im Mutter-Kind-Zentrum des Neuköllner Klinikums in erster Linie darin, dass das Durchschnittsgewicht der Neugeborenen stetig steigt, während der Unterleib der Frauen nicht im gleichen Maße mitwächst. Die Ursache für das höhere Gewicht wäre nicht nur eine veränderte Ernährung, sondern auch das steigende Durchschnittsalter der Schwangeren. „15 Prozent der Mütter in Deutschland sind über 35 Jahre alt, in Berlin sind es über 24 Prozent“, sagt Vetter. Außerdem verändere sich im höheren Alter der Stoffwechsel der Frauen, was ebenfalls zu Geburtskomplikationen führen könne.

Viele Komplikationen ließen sich vermeiden, wenn alle Frauen die Vorsorgeangebote wie Fruchtwasseruntersuchung, Ultraschall oder Fehlbildungsdiagnosen nutzen würden, sagt Babett Ramsauer. „Eine solche pränatale Diagnostik ist in jedem Fall sinnvoll.“ Die Ärztin gäbe sich aber schon damit zufrieden, wenn sich wenigstens alle werdenden Mütter zur Geburt anmelden würden. Die Hälfte erscheine derzeit erst, wenn die Wehen eingesetzt haben. Dabei sei es wichtig, der Schwangeren möglichst früh zu begegnen. Je besser die Ärzte über die Frauen – das Wort Patienten benutzt sie nicht – Bescheid wissen, desto leichter ließen sich Probleme vermeiden.

Darin sehen die Geburtshäuser ihren Vorteil. „Unser Hauptargument ist die Eins-zu-Eins-Betreuung“, sagt Dorothee Möller, seit zweieinhalb Jahren Hebamme im Geburtshaus Friedrichshain. „Wir begleiten die Schwangerschaft kontinuierlich. Das ergibt ein viel größeres Vertrauensverhältnis.“ Dass ein Kaiserschnitt die risikolosere Geburt ist, will Möller nicht bestätigen. Nach ihrer Erfahrung kann das entstehende Narbengewebe bei einer späteren Geburt Komplikationen verursachen, außerdem stärke die natürliche Geburt die Mutter-Kind-Bindung. Und einige Mütter könnten nach einem Kaiserschnitt wegen der Wundschmerzen nicht richtig stillen.

Die Ursache dafür, dass sich nur eine Minderheit für die Geburtshäuser entscheide, liege darin, dass in ihnen keine Ärzte arbeiteten, die im Notfall sofort zur Stelle wären.

Aus diesen Gründen entschied sich auch Martina Heise für eine Hebamme, aber gegen ein Geburtshaus. Keine Stunde nachdem ihre Wehen einsetzen, kam sie mit ihrem Mann und ihrer Geburtshelferin ins Klinikum Neukölln. Ihr Wunsch war eine Wassergeburt, bei der die Mutter in einer mit warmem Wasser gefüllten Wanne sitzt. Ein Kaiserschnitt kam für sie nicht in Frage. Sie ist überzeugt, dass ein Baby nach einer natürlichen Geburt besser gewappnet sei für die Welt.

„Ob Wanne oder Bett entscheidet die werdende Mutter selbst“, sagt Babett Ramsauer. Für die Babys sei die Unterwassergeburt kein Problem. „Die Kleinen kommen ja direkt aus dem Frucht- ins Badewasser.“ Für die Ärzte scheidet die Option Wanne nur aus, wenn sie Komplikationen bei der Geburt befürchten. „Wenn es schwierig wird, kommen wir nämlich nicht so gut an die Frauen heran“, sagt die Oberärztin, geht zur Verdeutlichung neben der Wanne in die Hocke und beugt sich über der Rand. „Und sollten wir eine Saugglocke brauchen, um bei der Geburt zu helfen, dann wäre das in dieser Position nicht möglich.“

Bei Martina Heise gab es keine Probleme. Im Gegenteil. Ihr Kind kam so schnell, dass die Wanne gerade mal halb voll war, als Tochter Nele um 23.13 Uhr in die Welt schwamm. 47 Minuten zu früh, um mit ihrem Vater am selben Tag Geburtstag feiern zu können.

Drei Tage später sitzt Martina Heise im Aufenthaltsraum des Mutter-KindZentrums des Klinikums Neukölln. Nele schläft im Arm von Vater Marcus. Martina Heise ist, wenn auch ein wenig müde, glücklich. Auch darüber, dass sie in ein paar Stunden wieder nach Hause kann und alles überstanden ist. Die Schmerzen der zweiten Geburt seien zwar wesentlich weniger intensiv gewesen als bei ihrer ersten Tochter. Mit einem dritten Kind hat sie es trotzdem nicht eilig. Anders ihr Mann. Ginge es nach ihm, könnte das nächste Kind gleich in Angriff genommen werden. „Mir fehlt ja noch ein Sohn“, sagt er und lacht.

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