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Folge 2: Lungen-Operationen: Das gefesselte Organ

Jährlich erkranken bundesweit rund 800 000 Menschen an einer Lungenentzündung. Doch nur die schweren Fälle müssen im Krankenhaus versorgt werden. Und wenn der Körper trotz Antibiotika die Bakterienattacke nicht mehr selbst beherrschen kann, dann müssen Chirurgen eingreifen

Das wird eine blutige Angelegenheit, warnt Johannes Merk, bevor er den ersten Schnitt setzt. „Das ist bei solchen Operationen immer so.“ Merk ist Oberarzt an der evangelischen Lungenklinik in Berlin-Buch. Sein Patient, der in Narkose versetzt vor ihm auf dem OP-Tisch liegt, heißt Dirk Krossig (Name geändert), ist 53 Jahre alt und wohnt in Karow. Diagnose: weit fortgeschrittene schwere Lungenentzündung mit Eiteransammlung im Rippenfellspalt (s. nebenstehende, vergrößerbare Grafik) Ohne die Operation droht ihm Lebensgefahr.

Rückblende: 39 Grad Fieber, starke Schmerzen beim Atmen – so war Krossig in die Rettungsstelle der Lungenklinik gekommen. „Weil meine Frau keine Ruhe gegeben hat“, sagt der kräftig gebaute Mittfünfziger mit dem ordentlich gekämmten Seitenscheitel. Er sitzt etwas zusammengesunken auf der Bettkante in seinem Krankenzimmer, hat die schwarze Strickjacke über seinem grauen Hemd geschlossen. Bis zur Operation bleiben noch einige Stunden Zeit. Krossig spricht kurzatmig mit belegter Stimme, seine Worte werden häufig von heftigen Hustenattacken unterbrochen. „Die merkwürdigen Geräusche beim Atemholen, die bekommt man ja mit“, sagt er. „Aber man will nicht wahrhaben, das da was faul ist.“

In Krossigs Lunge ist einiges oberfaul – und schlimmer, als es hätte sein müssen, denn er hat zu lange gewartet und die Entzündung verschleppt. Die Antibiotika, die er über mehrere Tage bekam, haben daran nicht mehr viel ändern können. Krossigs behandelnder Mediziner, der Infektologie-Oberarzt Andrés de Roux, zeigt eine Fotoreihe. Mit Hilfe eines Computertomografen haben die Ärzte die Brust des Patienten in virtuelle Querschnitte zerlegt. Während sich der rechte Lungenflügel auf den Bildern schwarz abzeichnet – nur Luft darin, wie es sein muss –, ist der linke Flügel fast zur Hälfte eine weiß-graue Fläche. So sieht das Röntgenecho von Wundflüssigkeit und Eiter aus. Teilweise ist der Entzündungsherd im Spalt zwischen Lunge und Rippenfell schon mit Schorf überzogen, der die Bakterien vor dem Antibiotikum schützt. Das alles muss da raus. Schnell.

Wir sind wieder im Operationssaal. Krossig liegt auf der linken Seite auf dem OP-Tisch. Tiefschlaf. Mit einem Skalpell setzt der Chirurg Merk einen etwa drei Zentimeter langen und ein Zentimeter tiefen Schnitt zwischen der sechsten und der siebten Rippe. Durch diese kleine Wunde wird er später die langstieligen Instrumente einführen, die nötig sind, um einen schonenden, sogenannten minimalinvasiven Eingriff durchzuführen. Durch die kleinen Schnitte gelangen die Instrumente, wie Scheren oder Zangen, in das Innere des Körpers.

Der Operateur sieht das, was er tut, über einen Monitor. Die Bilder liefert eine Kameralinse im Körper des Kranken. An der Lungenklinik wird diese Operation bei komplizierten Lungenentzündungen seit drei Jahren praktiziert. Früher hätte man den ganzen Brustkorb aufschneiden müssen, um an die Eiterherde heranzukommen, die Krossig das Atmen zur Qual gemacht haben. Doch mit den kleinen Schnitten bei der minimalinvasiven Methode sind die Wundschmerzen schwächer und die Atembewegungen weniger gestört.

Vor den Instrumenten führt Merk nur seinen Zeigefinger, der in einem sterilen Gummihandschuh steckt, in die Wunde, weitet sie behutsam. Man fühlt sich an eines der bekanntesten Bilder des Malers Caravaggio erinnert: Wie der ungläubige Thomas, der dem wiederauferstandenen Jesus begegnet, so steckt auch Merk seinen Finger in das geöffnete Fleisch über dem Brustkorb.

Bei weitem nicht jede Lungenentzündung muss mit einer Operation behandelt werden, meist ist nicht mal ein Krankenhausaufenthalt nötig. Knapp jeder Dritte der 800 000 Patienten, die pro Jahr in Deutschland an einer Lungenentzündung erkranken, muss stationär aufgenommen werden. Nur bei zwei bis fünf Prozent treten solche Komplikationen auf, wie bei Herrn Krossig, die eine Operation erfordern. „Wenn wir die Abszesse nicht herausholen, dann besteht die Gefahr, dass Erreger ins Blut gelangen und so eine Blutvergiftung auslösen“, sagt Merk. Das wäre schlimm: Schock, Multiorganversagen und Kreislaufstillstand können die Folgen sein. Kurz gesagt: Lebensgefahr.

Solch komplizierte Fälle landen dann meist in Spezialkrankenhäusern, wie der evangelischen Lungenklinik. Hier sind die Wege zwischen den Lungenärzten – Pneumologen – und den Brustkorb-Operateuren – Thoraxchirurgen – kurz. Das Ziel der Operation von Herrn Krossig sei „die vollständige Erholung der Lunge“, macht Oberarzt Merk klar. „Und die Basis für die Genesung schaffen wir hier im Operationssaal.“

Das Besondere an dem Eingriff, den Merk mit seinem Team jetzt angeht, ist die Beatmung der Lunge. Durch einen Tubus genannten Schlauch wird nur der linke Lungenflügel beatmet, der andere verschlossen. Da im Rippenfell ein Unterdruck herrscht, sackt der unbeatmete Flügel wegen der fehlenden Luft zusammen und gibt so zwischen dem Brustbein und dem Lungensack etwas Platz frei – der Mediziner nennt das Gewölbe –, sodass der Chirurg Raum für seine Instrumente findet: für ein langes, dünnes Metallrohr etwa, an dessen Spitze eine Lampe und das Kameraobjektiv sitzen. Und für einen Metallstab, der eine kleine Zange hält.

Ein Chirurg darf nicht zimperlich sein. Immer wieder stößt Merk die zahnbewehrte Zange in die Eiterherde, die gelblich-rot auf dem Bildschirm flimmern. Oft spritzen dabei Blut und Eiter an die Cent-Münzen-große Kameralinse. Auf dem Monitor ist dann nur noch eine hellrote Fläche zu sehen. Dann zieht Merks Assistent das Instrument wieder heraus, wischt die Linse sauber. Zwischendurch drückt Merk mit einer großen Plastikspritze körperwarme Kochsalzlösung in das Gewölbe, spült so das Operationsfeld frei. Die Flüssigkeit wird abgesaugt.

Die golfballgroßen Eiteransammlungen kleben zwischen Rippenbogen und Lungenaußenhaut. Bei einem gesunden Menschen wäre beides sauber getrennt, doch bei Krossig haben sich Verwachsungen gebildet. Und die drücken auf die Lunge, hindern sie daran, sich zu entfalten. „Das Organ ist gefesselt“, sagt Merk, etwas gedämpft durch den Mundschutz, durch den er spricht. „Die Atemfunktion des Patienten ist stark eingeschränkt.“

Kleinere oberflächliche Wunden auf der zarten Haut der Lunge lassen sich nicht vermeiden, bei dem notwendigen harten Zupacken. „So etwas passiert schnell, die Lungenwand hat die Konsistenz von nassem Klopapier“, sagt Merk. Schlimm wäre es, wenn der Chirurg versehentlich die Umkleidung des Organs durchstieße. „Das müssten wir dann sofort nähen, sonst verliert die Lunge Luft. Schlimmstenfalls müsste man dann sogar Organteile entfernen.“ Doch Merk ist ein erfahrener Thoraxchirurg in einer Spezialklinik. Er und seine Kollegen hier in Buch führen jährlich rund 900 Lungen- und Brustkorb-Operationen durch.

Dann wird der unversehrte Teil der Lunge auf dem Monitor sichtbar: rosa, mit schwarzen Einsprengseln, Ablagerungen, die im Laufe des Lebens in der Lunge hängen bleiben: Ruß, Staub – es muss nicht immer Teer vom Rauchen sein. Am oberen Bildschirmrand sieht man die Innenseite des Brustkorbes, auf dem sich die dunkleren Rippen abzeichnen.

Nach einer Stunde ist die Operation beendet. Der Eiter ist komplett entfernt, die Lunge hat wieder Raum zur Entfaltung. Den Rest schaffen der Körper und die Antibiotika nun allein. Die beiden Chirurgen nähen in die Narben zwei Plastikschläuche ein – die Drainagen, mit denen die Wundflüssigkeit nach außen abgeleitet wird. „Die kommen erst nach vier bis sechs Tagen raus“, sagt Merk.

Er verlegt Herrn Krossig nun erst einmal für 24 Stunden auf die Intensivstation, zur Beobachtung und zur Vorsicht. Schon in den nächsten Tagen werde Krossig eine deutliche Erleichterung beim Atmen erleben. Er muss trotzdem das Selbstverständliche, an das gesunde Menschen normalerweise keinen Gedanken verschwenden, trainieren. Atem- und Hustenübungen mit einem Physiotherapeuten zum Beispiel oder Luftholen mit dem Blasebalg. Die kommenden zwei Wochen muss er noch im Krankenhaus verbringen. „Nach einem halben Jahr wird Herr Krossig wieder eine normale Lungenfunktion haben“, sagt Merk. „Die Chancen dafür stehen sehr gut.“ Und dann wird das Lungengewebe in Krossigs Brust wieder überall rosig sein – mit schwarzen Einsprengseln.

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