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Folge 3: Die dynamischen Fünfziger (3): Muttis neue Welt

Es ging aufwärts. Revolutionäre Kunststoff-Einbauküchen und praktische Haushaltsgeräte machten Laune. Im Hansaviertel wurden die Durchreichen zum Esszimmer gerne zweckentfremdet – für Kasperletheater.

Mit solchen Antworten hatte die Soziologin Grete Meyer-Ehlers nicht gerechnet, als sie 1958 für den Berliner Senat in einer Studie herausfinden sollte, ob sich die ersten Bewohner des gerade fertiggestellten Hansaviertels am Tiergarten in ihren Wohnungen wohlfühlten. Sie wollte zum Beispiel wissen, ob denn die ungewohnten Durchreichen zwischen den damals hochmodernen Einbauküchen und dem Essraum genutzt würden. Die seien wie geschaffen, um Kasperletheater vorzuspielen, antworteten etliche Familien. Ein Hausherr gab an, seine Frau sehe mit der Durchreiche als Rahmen besonders attraktiv aus. Und Pärchen erzählten, sie schauten für einen Schnappschuss gern mal gemeinsam hindurch. Solche Fotografien kann man heute in Büchern übers Hansaviertel mit einem Schmunzeln betrachten.

„Die Stimmung war damals toll, man hatte hier als Erstbewohner einfach gute Laune“, erinnert sich Barbara Hendel. Nach dem Krieg und der Enge in einer Tiergartener Altbauwohnung, wo sie zur Untermiete lebte, bekam sie mit ihrem Mann endlich eine eigene Wohnung – und sogar „eine vom Feinsten mit Fußbodenheizung, großen Fenstern und Einbauküche.“ Heute ist Barbara Hendel 79 Jahre alt. Das Paar lebt noch in der gleichen Wohnung des südlichen Hansaviertels, das zur Internationalen Bauausstellung „Interbau“ 1957 als „Modellstadt und Wohnlabor für ein modernes besseres Leben“ mit öffentlicher Förderung errichtet wurde.

Beide waren damals berufstätig, zwei Jungs haben sie hier großgezogen – eine typische Familie der Wirtschaftswunderzeit in den 50er Jahren. Gerne blickt Barbara Hendel auf diesen Aufbruch zurück: Die Berliner schwoften beim Jazz in Schöneberg, lachten am Radio über „Die Insulaner“, verehrten im Kino Grace Kelly oder Brigitte Bardot, spazierten mit dem Phonokoffer „Combi“ in den Tiergarten. Und wer einen Glückstreffer wie die Hendels gelandet hatte, zog mit fliegenden Fahnen in seine „moderne Behausung einer neuen demokratischen Zeit“ ein, wie es der „Deutsche Werkbund“ auf den Punkt brachte. Das war die maßgebliche Designervereinigung, nach deren Vorgaben das Hansaviertel in vielerlei Hinsicht gestaltet wurde. Werkbund-Designerin Lilly Reich hatte schon gleich nach dem Krieg an der Berliner Hochschule der Künste (HdK) den „günstigen Augenblick“ erkannt. Jetzt oder nie schrieb sie, „könne man überkommene Wohnformen durchschneiden.“

Dabei dachte sie auch an die Küchenarbeit. Nach dem Prinzip „Große Wohnräume – kleine Wirtschaftsräume“ hatte Bruno Taut schon in den Zwanzigern die traditionellen Wohnküchen in seinen neu gebauten Berliner Siedlungen geschrumpft, „um hausfrauliche Tätigkeiten zu erleichtern.“ Alles sollte in Griffnähe sein wie in einer rationell eingerichteten Werkstatt.

Doch in den Fünfzigern wurden Einbauküchen erstmals als Massenprodukt gefertigt – im Westen wie in Ost-Berlin. „Die Arbeit vereinfachen. Mehr Freizeit haben!“, warb das KaDeWe 1957 und zeigte eine Frau, die mit Hut, Kostüm und Dackel spazieren ging, nachdem sie das Abendessen offensichtlich im Handumdrehen gekocht hatte. „Nur das Beste für die werktätige Frau!“ hieß es im Osten. Und hier wie dort war die Begeisterung für die neuen mit Resopal oder Sprelakat beschichteten Möbel groß. In den Berliner AEG-Werken nannte man ein Modell schlicht „Plastica 2 – die Total-Plastikküche“ – wischglatt, schick.

„Es ist zu hoffen, dass Einbauküchen zum Allgemeingut werden“, steht in einer Broschüre zur Interbau Berlin 1957. Dieser Vorsatz hatte auch handfeste ökonomische Gründe. Angesichts der zerbombten Städte musste man schnell und preiswert neue Wohnungen bauen – sie fielen entsprechend klein aus, es blieb wenig Platz für die Küche. Kritiker bemängelten das recht bald. Von „Kochzellen“ war die Rede, von „akrobatischen Verrenkungen beim Öffnen der Bratröhre“, so die Berliner Stadtplanerin Ilse Balg. Mann und Kinder würden herausgedrängt, hieß es, die Frau aber an den Herd zurückgedrängt. Die Küche sei „als Reich der Frau“ wieder festgeschrieben – obwohl viele Berlinerinnen doch in den Nachkriegsjahren noch tapfer „ihren Mann“ gestanden hätten.

Dennoch schlüpften die meisten Frauen nun willig zurück in ihre klassische Rolle, obwohl sie oft dazuverdienen mussten. Aber der Haushaltsjob war ja verlockend angesichts der schönen neuen Welt der Küchen und Haushaltsgeräte, die Schlag auf Schlag als Elektro-Helfer auf den Markt kamen. Wenn dann noch Deutschlands erster TV-Koch Clemens Wilmenrod, Erfinder des Toast Hawaii, via Fernsehen seine „verehrte Feinschmeckergemeinde“ begrüßte, legten auch die Frauen im Hansaviertel los. Dann wurde Arabisches Reiterfleisch gekocht mit gefüllten Erdbeeren zum Dessert. Oder es gab die legendären Kanapees mit Käseigeln und Fliegenpilz-Eiern, serviert auf Silberplatten plus Salzstangenhalter. Und manchmal trat danach für die Kleinen Kasperle auf – am besten in der Durchreiche.

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