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Viele Anwohner stören sich am Forschungsreaktor - so wie diese Aktivisten. Sie demonstrierten im Juli vor dem Eingang zum Helmholtz-Zentrum, dem Betreiber.

© dpa

Forschungsreaktor Wannsee: Vorsorgliche Jod-Ausgabe steht auf der Kippe

Eigentlich wäre es bald soweit: Ab dem 1. September sollten sich Anwohner im Vier-Kilometer-Radius des Forschungsreaktors Wannsee Jodtabletten abholen können. Doch nun gibt es Kritik an diesem Plan.

Die geplante Vorsorge für den Atom-Ernstfall steht auf der Kippe: Das Landesgesundheitsministerium, die Apothekenkammer Brandenburg und der Berliner Senat haben Zweifel an dem Plan angemeldet. Die vorsorgliche Ausgabe der Tabletten werde erneut geprüft, sagte Thomas Joerdens, Sprecher der Stadt Potsdam. Wegen der rechtlichen Bedenken sei ein Treffen mit der Verwaltung und dem Ministerium sowie weiteren Experten geplant.

Am Donnerstag soll das Thema zudem im Umweltausschuss besprochen werden. Bis dahin werde sich die Stadt nicht äußern. Das Landesgesundheitsministerium verweist indes auf die Verordnung zur Abgabe der Jodtabletten des Bundes. Darin sei eine vorsorgliche Ausgabe nicht vorgesehen. In der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt ist Sprecherin Marie-Luise Dittmar deutlicher: Die Ausgabe mache keinen Sinn. „Es ist Aufgabe der Behörden, für Ruhe zu sorgen und keine Unruhe zu stiften.“ Berlin werde am Katastrophenschutzplan festhalten und die Tabletten nur im Ernstfall verteilen. Nur so könne man sicherstellen, dass alle versorgt werden.

Die Apothekerkammer Brandenburg verweist auf das Merkblatt der Strahlenschutzkommission. Demnach sind Jodtabletten – wenn überhaupt – nur nach ausdrücklicher behördlicher Aufforderung einzunehmen. Es sei „nutzlos und sogar schädlich“, eine Jodblockade ohne Aufforderung durchzuführen. Zu groß sei das Risiko von Nebenwirkungen. „Apotheker raten von der Einnahme auf eigene Faust ausdrücklich ab.“

In Potsdam sind 600 000 Jodtabletten auf Lager. Sie liegen in den Schränken von Feuerwehr und Katastrophenschutz. Im Ernstfall können sie Schilddrüsenkrebs verhindern und Leben schützen. Ausschließlich im Katastrophenfall sollen die Tabletten von Feuerwehr und Taxifahrern vor Hauseingängen in der Vier-Kilometer-Zone um den Reaktor abgelegt werden. Dagegen hatten Anwohner in Babelsberg protestiert. Sie wollten sich präventiv versorgen, so wie es in der Schweiz oder Österreich möglich ist.

Bei der Bürgerinitiative „Evakuierungsgebiet Babelsberg“ hatte man sich auf die Ausgabe bereits eingestellt, berichtete Georg Bitcher. „Es besteht ein dringender Handlungsbedarf. Auch Kindergärten und Schulen sollten ein Tablettendepot anlegen“, so Bitcher. „Spätestens vier Stunden nach Austreten der radioaktiven Wolke müssen die Tabletten eingenommen werden. Da tickt der Wecker.“

Der Atomkritiker und Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, kann die Bedenken der Behörden nicht nachvollziehen. „Es ist ein Problem, im Ernstfall die Tabletten rechtzeitig an den Mann zu bringen.“ Würden die betroffenen Anwohner ausreichend informiert, sei das Risiko von Nebenwirkungen klein: „Pickel, Hitzewallungen oder Herzrasen bei einigen stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den man verhindern kann.“

Merkblätter in Deutsch, Türkisch und Englisch informieren die Menschen in dieser Zone alle paar Jahre über das richtige Verhalten in einem solchen Fall. 2009 wurde zum bisher letzten Mal eine entsprechende Broschüre an alle Haushalte in der Umgebung verteilt, die auch im Internet eingesehen werden kann.

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