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Berlin: Fortbildung statt Behandlung: Ärzte machen Praxen zu

Viele Mediziner folgen dem Streikaufruf. Patientenbeauftragte kritisiert Aktion

Schwer bepackt begannen viele Berliner Ärzte die Streikwoche: Wer am Montag seine Praxis zum Protest gegen die Gesundheitspolitik zusperrte und zur Fortbildung in die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in der Masurenallee gekommen war, bekam zwei dicke Ordner zum Thema „Qualitätsmanagement“ in die Hand gedrückt. Vormittags und nachmittags wurde zu diesem Thema ein Vortrag gehalten, etwa 650 Ärzte hörten gestern zu. Insgesamt haben sich nach Angaben der KV über 2000 Mediziner für einen der Kurse in dieser Woche angemeldet.

Gestern und heute beteiligten sich Ärzte aus den Bezirken Mitte, Spandau, Reinickendorf, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf an den Streikaktionen, am Mittwoch und Donnerstag sind dann die Kollegen im Süden der Hauptstadt dran. Etwa die Hälfte der 6700 Berliner Ärzte habe am Montag die Praxen geschlossen, teilte das Bündnis Berliner Kassenärzte, das zum Streik aufgerufen hatte, mit. Eine nicht repräsentative Befragung des Tagesspiegels ergab, dass trotzdem eine Reihe von Doktoren in den bestreikten Nord-Bezirken ihre gewohnten Sprechstunden abhielten. Gleichzeitig registrierten Rettungsstellen von Kliniken im Norden aber einen verstärkten Andrang von Patienten, die offenbar keine geöffnete Arztpraxis gefunden hatten.

Auch Wolfgang Schmidt, Allgemeinmediziner in Hohenschönhausen, war dem Streikaufruf gefolgt. Seine Patienten seien informiert, sagt Schmidt. „Unsere Patienten haben großes Verständnis“, berichten Christian und Annette Bützow, die eine Hausarztpraxis in Spandau führen. Die übermäßige Bürokratie der Gesundheitspolitik gehe ja auch auf Kosten der Kranken. Vom Streik erhoffen sie sich, dass mehr Informationen über die Missstände öffentlich werden.

Die Hintergründe des Streiks erläuterten die Organisatoren am Vormittag auf einer Pressekonferenz. Vor allem das von der Bundesregierung geplante Arzneimittelspargesetz macht die Ärzte wütend. Denn nach dem Gesetzentwurf müssen Doktoren, die – nach Ansicht des Gesetzgebers – zu viele zu teure Medikamente verordnen, mit finanziellen Einbußen rechnen. Diejenigen, die unter den Vorgaben bleiben, sollen belohnt werden. Damit würden Kranke, die teure Medikamente benötigten, benachteiligt, sagte der Sprecher des Arzt-Bündnisses Albrecht Scheffler. Außerdem verlangen die Kassenmediziner 30 Prozent mehr Vergütung. Die Ärzte erbrächten über ein Drittel ihrer Leistungen umsonst.

Kritik kam unter anderem von der Berliner Patientenbeauftragten Karin Stötzner: „Für diese Aktion habe ich kein Verständnis. Verteilungskämpfe innerhalb der Ärzteschaft werden als Verschlechterung der ambulanten Versorgung dargestellt.“ Doch bei der hohen Arztdichte in Berlin sehe sie diese Gefahr nicht. Ähnliches war auch aus dem Bundesgesundheitsministerium zu hören: Wenn nach Veranstalterangaben „tausende Praxen“ geschlossen werden könnten, ohne dass es zu einer Einschränkung der notwendigen medizinischen Versorgung komme, dann gebe es in Berlin wohl ein „Überangebot an Praxen“, sagte ein Sprecher.

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