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Im Exil. Yamen Hussein lernte in Deutschland Schubert lieben.

© H. A. Staubitz/PEN

Forum Amalienpark in Berlin-Pankow: Winterreise ohne Grenzen

Eine Veranstaltungsreihe des Pankower Kunstvereins würdigt Schuberts Liederzyklus "Winterreise" und stellt ganz aktuelle Bezüge her.

Als Yamen Hussein zum ersten Mal Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ hörte, war es um ihn geschehen. Der syrische Lyriker und Journalist lebt seit drei Jahren im deutschen Exil. Hier entdeckte er nicht nur die Schönheit der Musik Schuberts, er erkannte auch Ähnlichkeiten im Melos der Lieder mit seiner eigenen Lyrik, in der er seine Fluchterfahrung verarbeitet hat.

In Pankow wird er seine Gedichte demnächst vorstellen – beim jüngsten Projekt des einst von Christa und Gerhard Wolf initiierten Kunst- und Literaturvereins Forum Amalienpark. Alle zwei Jahre lädt der Verein Künstler ein, sich mit einem musikalischen Thema auseinanderzusetzen.

Ihre Werke werden anschließend in einer Ausstellung präsentiert. „Winterreise – Kunst und Klang“, lautet der Titel der aktuellen Veranstaltung, die ein umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen, Lesungen wie der von Yamen Hussein und Konzerten umfasst.

Am 2. Dezember spielt das deutsch-türkische Ensemble Olivinn um die Komponistin und Pianistin Sinem Altan in der Alten Pfarrkirche am Pankower Anger. Auch sie hat sich von der „Winterreise“ inspirieren lassen. Der klassische Liederzyklus mit der Musik Schuberts und Texten des Dichters Wilhelm Müller wird am Montagabend, dem 20. November, im Rathaus Pankow aufgeführt. Die Ausstellung zum Projekt soll am Freitag, dem 24. November, in der Galerie Forum Amalienpark eröffnet werden.

Beteiligt sind zwölf Künstler aus Berlin und Brandenburg, darunter Annette Gundermann, Kitty Kahane, Joachim Böttcher und die kurz vor der Ausstellung verstorbene Ellen Fuhr.

"Ein zeitloser Code, den jede Generation neu entschlüsseln muss“

Entstanden ist die „Winterreise“ 1827 im kreativen Geist nach den Befreiungskriegen und im Angesicht des politischen Rückfalls Mitteleuropas in die Restauration. Parallelen zur aktuellen politischen Situation sind unverkennbar. Auch Flucht war schon in der Romantik ein großes Thema.

„Die Gedichte von Wilhelm Müller lesen sich wie ein zeitloser Code, den sich jede Generation neu entschlüsseln muss“, sagt Monika Wellershaus, Mitorganisatorin des Pankower Projekts. Dahinter stecke ein ewiger Prozess des Unterwegsseins und des Suchens. „Und die Musik ist einfach wunderschön.“

Auch für Yamen Hussein hat sich mit der „Winterreise“ ein Fenster zur Selbstvergewisserung geöffnet. „In der Musik steckt so viel Traurigkeit und Einsamkeit, das animiert mich, zu fragen: Wer bin ich, was bin ich, was bedeutet Heimat oder Freiheit?“ Oft höre er mehrmals täglich in die „Winterreise“ hinein, sagt der 33-Jährige aus Homs, der derzeit als PEN-Stipendiat in München lebt. „Mehrere Monate konnte ich praktisch nicht arbeiten, weil da immer dieser Ohrwurm war.“

Der Syrer wollte sich aber auch die Texte der Winterreise erschließen und machte sich daran, sie ins Arabische zu übersetzen. Das Ergebnis: In den Gedichten von Wilhelm Müller fand er große Übereinstimmung mit seiner eigenen Gedankenwelt. Vor dem Hintergrund des syrischen Bürgerkriegs und der Flucht Hunderttausender kommt schließlich schon das erste Lied des Zyklus „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ erstaunlich zeitgemäß daher.

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