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SCHÖN DURCH SCHIMMEL.

© Kai-Uwe Heinrich.

Update

Fotoausstellung: Das alliierte Leben in Berlin in bizarren Kunstwerken

Am Flughafen Tempelhof dokumentierte Fotograf Kai-Uwe Heinrich einst das Leben der US-Alliierten. Die Erinnerung verblasst – genau wie die Bilder. Am Mittwoch sind sie im Verlagshaus des Tagesspiegels zu sehen.

„Ich hatte den schönsten Arbeitsplatz der Welt, gleich unter dem Schriftzug Berlin-Tempelhof mit dem Blick aufs Flugfeld. Die Sonnenaufgänge waren spektakulär und es gab Kerosingeruch zum Frühstück.“ Kai-Uwe Heinrich, Leiter der Fotoredaktion des Tagesspiegel, kommt ins Schwärmen, wenn er von seinem früheren Arbeitsplatz erzählt: Er war Fotograf bei der US Air Force. Sein exklusiver Arbeitsplatz im alliiert kontrollierten Berlin bot Zugang zu Bereichen, die den normalen West-Berlinern versperrt blieben. Lange ist das her, vor 20 Jahren zogen die Alliierten endgültig aus dem wiedervereinten Berlin ab.

Als er 1986 seine Fotografenlehre abgeschlossen hatte, folgten einige Jobs, bis er von Oktober 1988 bis September 1993 bei der amerikanischen Luftwaffe als Fotograf festangestellt war. „Schon an meinem allerersten Tag ging es rund: Ein Bell UH-1 Hubschrauber, Huey genannt, war abgestürzt. Nur eine Übung.“ Die Fotografen mussten auch Unfälle dokumentieren.

Vier Fotografen arbeiteten unter einer Vorgesetzten, einer Freundin des legendären Flughafenkommandanten Gail Halvorsen. Zu dem Büro gehörte ein Fotolabor. Passbilder und schöne Fotos für Beförderungen anzufertigen war die Hauptarbeit, Menschen kamen und gingen. „Aussicht auf Beförderung bestand nur bei einem anständigen Foto. Die Ordensspangen mussten im richtigen Winkel zum Namensschild angebracht sein, der linke Arm musste wegen der Abzeichen gerade hängen. Zur Not wurde er mit Pappe präpariert, damit die Uniform glatt saß.“ So kann schon mal ein Passbild 25 Minuten Zeit verbrauchen.

Dokumentation des alliierten Lebens in Berlin

Wesentlicher Bestandteil der Arbeit war die Dokumentation des alliierten Lebens in Berlin. Dazu gehörten auch die Hubschrauberflüge im Bell UH-1 über die Stadt. Luftaufnahmen aus geringer Höhe über der Stadt – die Begeisterung für die Fliegerei ist Kai-Uwe Heinrich heute noch anzumerken.

Die Dokumentation war deshalb so wichtig, weil der Base-Commander prominenten Besuchern aus der US-Politik wie etwa Gouverneuren oder Abgeordneten erst eine Dia-Show in der Command-Section und dann einen Hubschrauberrundflug präsentierte. Zu den spannendsten geheimen Orten des alliierten Berlin gehörte zweifellos das Kontrollratsgebäude für das besetzte Deutschland im ehemaligen Kammergericht im Kleistpark. „Wir haben niemals Alliierter Kontrollrat gesagt, sondern nur vom BASC gesprochen, Berlin Air Safety Center“, erzählt Heinrich. Amerikaner lieben Abkürzungen.

US-Boy. Mit der Kamera immer in der Hand arbeitete Kai-Uwe Heinrich von 1988 bis 1993 für die US Air Force auf dem Flughafen Tempelhof. Als die Mauer fiel, freute er sich natürlich, doch der nächste Gedanke war: „Ich muss mir einen neuen Job suchen.“ Den fand er beim Tagesspiegel und ist heute Leiter der Fotoredaktion.
US-Boy. Mit der Kamera immer in der Hand arbeitete Kai-Uwe Heinrich von 1988 bis 1993 für die US Air Force auf dem Flughafen Tempelhof. Als die Mauer fiel, freute er sich natürlich, doch der nächste Gedanke war: „Ich muss mir einen neuen Job suchen.“ Den fand er beim Tagesspiegel und ist heute Leiter der Fotoredaktion.

© Imke Leyva

Die Flugsicherung war das einzige Gremium, in dem die vier Mächte noch miteinander arbeiteten. Kollegial saßen die Vertreter der USA, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Sowjetunion an vier Schreibtischen einander im Block gegenüber, vier Fähnchen auf den Schreibtischen. „Bei offiziellen Anlässen waren die Russen etwas steif und distanziert, aber wenn untereinander gefeiert wurde, ging die Post ab und man verstand sich trotz Kaltem Krieg prächtig.“

Bizarre Kunstwerke

Heinrich hat viele Fotos aus dieser Zeit behalten. Da spielen Militärkapellen im festlichen Treppenhaus auf, ein üppiges kaltes Büfett, die vier Fahnen in der Ecke und die Köche präsentieren stolz ihr Werk. Für die Dokumentation ihrer Arbeit stehen die vier Alliierten auch brav von ihren Plätzen auf und schauen in die Kamera wie die Schuljungen, wenn der Lehrer die Klasse betritt – Einblicke in eine längst vergangene Zeit.

Noch aufregender für einen West-Berliner in alliierten Diensten war die Fahrt nach Potsdam zur amerikanischen Militärmission – oder um im Jargon zu bleiben, zur MLM – Military Liason Mission, einer schicken weißen Villa mit Kronleuchter, dicken Teppichen und Stilmöbeln. Aber die Hauptarbeit entstand am TCA, Tempelhof Central Airport.

Die Duplikate der Präsentationsdias der Fotografen hat Heinrich in seinem Keller aufgehoben. Als er nach 20 Jahren aufräumte, stellte er fest, dass der Schimmel aus den Dias bizarre Kunstwerke geschaffen hatte, die Schimmelpilze verfremdeten die Fotos, überzogen sie mit schwarzem Korn. Manche Szenen sind nur noch schemenhaft zu erkennen, so wie allmählich die Erinnerung an die Alliierten aus dem Gedächtnis verschwindet. So entstand eine Kollektion natürlich verfremdeter Fotos einer verschwundenen Zeit, die Heinrich am Mittwoch im Tagesspiegel zeigt.

„Als am 9. November die Mauer fiel, war ich natürlich froh“, sagt Heinrich. „Aber mir war sofort klar, dass ich mich nach einem neuen Job umsehen musste.“ Er blieb dann doch noch vier Jahre bei den Amerikanern, bis er 1993 zum Tagesspiegel wechselte. Den Abzug der Alliierten hat er dann für den Tagesspiegel dokumentiert.

Fotos im Tagesspiegel

Diese Männer von der 7350th Air Base Group haben die Rosinenbomber restauriert.
Diese Männer von der 7350th Air Base Group haben die Rosinenbomber restauriert.

© Photolab

Kai-Uwe Heinrich hat noch viel mehr zu diesen spannenden fünf Jahren zu erzählen – wer mehr davon hören will und seine künstlerisch verfremdeten Bilder sehen möchte, sollte am 10. September um 19.30 Uhr ins Verlagshaus des Tagesspiegels, Askanischer Platz 3, Kreuzberg kommen. Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Walter Momper und US-Diplomat Peter Claussen werden mit den Redakteuren Elisabeth Binder und Andreas Austilat und Kai-Uwe Heinrich über das alliierte West-Berlin sprechen. Eintritt mit Fotoshow, Barbecue und Live-Piano 20 Euro. Anmeldungen unter Tel. 29021-560 oder www.tagesspiegel.de/veranstaltung Tsp

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