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Berlin: Fragen an den Vater

Erschüttert schaut Heidi Gunkel auf das kleine Foto an der Stellwand. Es zeigt die Leichen von Zivilisten, die von Wehrmachtssoldaten erschossen wurden.

Erschüttert schaut Heidi Gunkel auf das kleine Foto an der Stellwand. Es zeigt die Leichen von Zivilisten, die von Wehrmachtssoldaten erschossen wurden. "Ich frage mich, wie die Täter später damit leben konnten", sagt die grauhaarige Frau. Sie hat Tränen in den Augen. "Die wussten doch, dass das Verbrechen waren." Und dann erzählt die 59-Jährige, wieso sie diese Ausstellung persönlich besonders berührt. "Mein Vater war auch in Russland. Aber was er da gemacht hat, darüber hat er mit uns nie gesprochen." Jetzt, nachdem Heidi Gunkel den Mittwochvormittag in der neu eröffneten Wehrmachtsausstellung verbracht hat, hätte sie so viele Fragen an den betagten Vater, sagt sie. Ob sie sie ihm jemals stellen wird, weiß sie nicht. "Der Anstoß, über das Thema zu reden, müsste von ihm kommen."

Auch viele andere Besucher, die die neue Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" am Eröffnungstag besuchen, sind sichtlich berührt von den Dokumenten, Fotos und Texten, die das Hamburger Institut für Sozialforschung zusammengetragen hat. "Mir ist richtig übel vor Scham, dass die Deutschen zu diesen Verbrechen in der Lage waren", sagt Theo Kircher, pensionierter Lehrer aus Reinickendorf. Die wichtigste Botschaft ist für den 57-Jährigen die Erkenntnis, "dass Befehl und Gehorsam für die Wehrmachtssoldaten nicht alles waren: Es gab auch Freiräume, in denen der Einzelne entscheiden musste, ob er einen Zivilisten umbringt oder nicht." Das zeige besonders gut der Raum kurz vor dem Ende des Drei-Etagen-Rundgangs. Dort wird aus Erinnerungen von Soldaten vorgelesen und erklärt, wie sie sich in welcher Situation verhalten haben. "Diese Ausstellung empfehle ich meinen ehemaligen Kollegen für ihre Klassen", sagt Kircher - "aber nur nach guter Vorbereitung!"

Ohne pädagogische Betreuung kann die umfangreiche Ausstellung in der Tat gerade jüngere Besucher heillos überfordern. So wie die beiden Berufsschüler, die erschöpft auf einer Bank gegenüber den Schautafeln zum Thema "Deportation" sitzen. "Ich habe versucht, die Texte zu lesen - aber werde da einfach nicht schlau draus", sagt der 18-jährige Sebastian Bieniek. "Das ist alles viel zu viel. Da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll." Und sein Freund Alexander Kleine sagt mit abwinkender Handbewegung: "Wir haben den Zweiten Weltkrieg in der Schule unendlich oft durchgekaut, ohne dass viel hängen geblieben ist. Das interessiert mich einfach nicht mehr." Die beiden sind mit ihrer Klasse vom Lehrer ohne jede Vorbereitung in die Ausstellung gebracht worden: "Wir haben gerade Projekttage zum Thema Rechts- und Linksextremismus", erklärt der 21-jährige Alexander. "Und weil unser Lehrer nicht wusste, was wir sonst machen sollen, sind wir eben hierhin gekommen."

Was die jungen Männer stört, die Ausführlichkeit und betonte Sachlichkeit der Ausstellung, sehen viele andere Besucher gerade als den großen Vorteil gegenüber der umstrittenen Vorgängerschau. "Die ganze Präsentation erscheint mir sehr glaubwürdig und authentisch", sagt der 33-jährige Musiker Henning Groscurth. Er findet es gut, dass einzelne Dokumente per Tonband vorgelesen oder auf Computerbildschirmen gezeigt werden, ansonsten die Ausstellung aber auf schnelle Effekte und viele Fotos verzichtet. Auch der Architekt Ludwig Klamroth hofft, dass die neue Ausstellung die früheren Kritiker besänftigt. Die Teilnehmer der für Sonnabend vor dem Haus geplanten NPD-Demo gegen die Ausstellung dürfte allerdings auch ein Besuch nicht bekehren, befürchtet der 66-Jährige: "Wer nicht wissen will, was damals passierte, der findet immer einen Anlass, dagegen zu sein."

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