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Berlin von der Rolle. Sonntags geht’s zum „Skating“ in den Grunewald: Rollschuhfahren wird 1909 zum Volkssport – auch dank vieler neuer Asphaltstraßen in der Stadt.

© Berliner Illustrirte Zeitung

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Berlin im Rollschuhfieber

Mit dem Ausbau des asphaltierten Straßennetzes kommt das Skating in der kaiserlichen Reichshauptstadt groß in Mode. Werden die Rollschuhe zum neuen Verkehrsmittel?

Ob im Paarlauf, zum Wettrennen oder als Polonaise – das Rollschuhlaufen ist 1909 wieder in Mode. Wieder? Ganz recht, „Skating“ ist schon im 19. Jahrhundert ein beliebtes Freizeitvergnügen, aber damals zog man sich die gefederten Vierrad-Rollschuhe, die sich der New Yorker James Leonard Plimpton 1863 patentieren ließ, nur in Rollsporthallen an. Doch jetzt erobern die Fußgänger auf Rädern die Straße. „Die Berliner Illustrirte Zeitung“ begleitet im Oktober 1909 den Berliner Rollschuh-Club auf einen Ausflug in den Grunewald und sieht „Deutschland vom Rollschuhfieber ergriffen“. Mit „froher Begeisterung wendet sich ganz besonders unsere Jugend dem wiedererwachten Rollschuhsport zu. Die Reichshauptstadt mit ihren zahlreichen breiten und sauberen Asphaltstraßen, namentlich auch das prachtvolle Asphaltstraßennetz der angrenzenden westlichen Vororte Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Friedenau und Steglitz, bietet eine fast ununterbrochene, nahezu ebene Rollschuhbahn, die förmlich zur Ausübung dieses gesunden und zugleich praktischen Bewegungssports herausfordert.“

Rolle rückwärts in die Vorgeschichte: Die Entwicklung des gleitenden Schuhwerks geht bereits ins 18. Jahrhundert zurück. Aufsehen erregte 1849 der Auftritt eines Rollschuhballetts in der Pariser Aufführung der Oper „Le Prophète“ von Giacomo Meyerbeer. Und schließlich, so berichten heimische Rollschuhkundler, soll es um 1840 nahe Berlin eine Bierkneipe namens „Corsé Halle“ gegeben haben, in der Kellnerinnen die Gäste auf Rollschuhen bedienten. Eine Novität, die angeblich große Kreise zog.

In der Hasenheide ziehen sich Adel und Diplomaten die Rollschuhe an

Auf der ersten Berliner Rollschuhbahn, die 1876 in der Hasenheide eröffnet, verkehren vor allem Adel und Diplomatie. Zu den Mitgliedern des Rollsport-Clubs zählen Angehörige der Hohenzollern-Familie sowie die Botschafter von England, Frankreich und Österreich. Am Anhalter Bahnhof errichtet eine englische Aktiengesellschaft kurz darauf den „Central-Skating-Rink“. Der prachtvolle Saalbau mit Kronleuchtern und Konzertbühne an der Bernburger Straße bietet neben dem Rundlauf für Skater in der Haupthalle Platz für Konditorei und Restauration, Billiardsaal, Rauchsalons und Festsäle. Doch die Rollschuhmode erlebt eine Flaute, das Skating-Unternehmen geht Pleite, das Gebäude wird umgebaut und 1888 zum ersten Konzerthaus der Berliner Philharmoniker.

Aber was einmal in Fahrt kommt, ist nicht mehr zu bremsen. Die Massenfertigung technisch verbesserter Rollschuhe bricht dem Volkssport Bahn. Neue Wettkampfarten wie das „Rink-Polo“ entstehen. 1890 eröffnet in London die „Grand Hall Olympia“, mit 6000 Quadratmetern die größte der mehr als 70 Rollschuhhallen der Stadt. In Chicago zählt das „Coloseum“ abendlich bis zu 7000 Besucher, und 1908 wird der New Yorker Madison Square Garden zur Skaterbahn umgebaut.

Auch in Berlin entstehen zu dieser Zeit viele neue Bahnen, etwa am Kurfürstendamm, wo 1909 die „amerikanische Rollschuhbahn“ in einer fußballfeldgroßen Halle eröffnet. Und das sei nur der Anfang, meint der Reporter der „Berliner Illustrirten Zeitung“. In Zukunft werde es für Rollschuhläufer eigene Fahrbahnen auf den Straßen geben. Bis dahin möge man den Pionieren die „Ausübung ihres Sports auf verkehrsfreien Straßendämmen nicht allzu sehr verübeln“. Doch bis heute sind Rollschuhe im deutschen Verkehrsrecht nicht als Fahrzeug anerkannt, erst seit 2009 dürfen Inline-Skater die Straße benutzen – allerdings nur in Tempo-30-Zonen.

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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