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Eine bunt kostümierte Gesellschaft von Dienstbotinnen, Köchinnen und Gendarmen stellen das Komitee des Gesindeballs im Jahr 1898 in Berlin.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Party-Metropole

Von November bis März fließt mit dem Champagner Leichtigkeit ins Leben der kaiserlichen Reichshauptstadt. Unzählige Tanzfeste verwandeln Berlin in eine "Ballhölle".

Das Vergnügen kommt immer zu kurz im Leben. Außer in Berlin, der Party-Metropole. Die kalte Jahreszeit wird durchgetanzt in der kaiserlichen Reichshauptstadt. Das Comité des Gesindeballs posiert für die Zeitschrift „Berliner Leben“ im Februar 1898 in vorschriftsmäßiger Kostümierung: als Hausmädchen, Köchinnen und Dienstbotinnen. Die meisten Damen sind Schauspielerinnen oder anderweitig im Bühnengewerbe tätig, ebenso wie die als Polizisten verkleideten Herren. Sie werden beim Einlass zu dem traditionellen Künstlerball im Hotel „Kaiserhof“ am Wilhelmplatz über die Kleiderordnung wachen. Der Gesindeball zum Ende der Karnevalssaison ist nämlich ursprünglich eine Protestkundgebung gegen die Preußische Gesindeordnung, die das Schauspielervolk zum Gesinde, also zu den Dienstboten, zählt. Aber wen schert die Politik? Hauptsache, es gibt einen Grund zum Feiern.

„Kaum dass im Tiergarten der Fuß raschelnd durch das falbe Laub gleitet (…), ertönen bereits verlockend an vielen Stellen in unserem steinernen Häusermeer die ersten tanzauffordernden Walzerklänge, und sitzen alsbald die Mitglieder der Vergnügungskomitees unzähliger Vereine mit ernsten Mienen beisammen, um das Unterhaltungsprogramm für den kommenden Winter zu entwerfen“, schreibt 1894 der Feuilletonist Paul Lindenberg in seinem Aufsatz „Das tanzende Berlin“. „Unsere jungen Damen träumen nur noch von Gesellschaften und Bällen, Diners und Soupers, Soiréen und Theedansans (…), der Junggeselle unterzieht das siegreiche Dreigestirn: Frack, Chapeau claque und Lackschuhe, einer prüfenden Besichtigung“ – Ballvater und Ballmutter sorgen sich um faltenfreie Toiletten und sinnen eventuellen Verlobungen entgegen.

Die Stadt wiegt sich im Walzerschritt und hüpft zur Polka

Mit zahllosen Tanzgesellschaften von November bis März verwandelt sich Berlin in eine „Ballhölle“, und mit dem Champagner strömt frivole Leichtigkeit ins Leben: ob in den Festsälen am Zoologischen Garten, wo der Verein der Rheinländer in Berlin seine Kostümbälle zum großen „Alaaf“ veranstaltet, beim Alpenfest in der Kroll-Oper oder beim „Ball der Bösen Buben“ im Hotel „Imperial“, wo Herren im Matrosenanzug und Damen in knappen Kinderkleidchen tanzen – lustig und lässig wiegt sich die Stadt im Walzerschritt und hüpft zur Polka.

Im Schutz der Maskerade und im Taumel des Tanzfiebers lässt die amüsierwillige Gesellschaft anstrengungslos die angeblich so strengen Sitten hinter sich. Besonders freizügig soll es bei der große Sause des Corps de Ballet in der Kroll’schen Oper zugehen. Der Parole „Leben und leben lassen“ werde man hier „in denkbarster Weise gerecht“, berichtet Ballexperte Paul Lindenberg. „Wer sich in diesen Strudel stürzt, der muss Obacht geben, dass nicht die Wogen weltstädtischer Lebenslust und weltstädtischen Leichtsinns über ihm zusammenschlagen, denn an Gelegenheit und Verführung hierzu fehlt es nicht, und diese Damen und Dämchen, die hier teils in Maskenkostümen, teils in kurzen, recht kurzen Kleidchen (...) erscheinen, sie leiden keineswegs an Prüderie und Zurückhaltung, und sind gern bereit, Neulinge in die Geheimnisse des lustigen Berlin einzuweihen.“ Das hat natürlich Folgen, wie Lindenberg beschreibt: Selbst „der blasierteste Gesandtschaftsattaché, der steifeste Gardelieutenant legt hier seine kühle Reserve ab“.

Damit das Vergnügen nicht zu kurz kommt, lesen Sie in der nächsten Folge: wie sich Satiriker in Kreuzberg vergnügen, auf welchen Bällen schmucke Offiziere noch so Anschluss finden und wo das einfache Volk das Tanzbein schwingt. Alle bisher erschienenen Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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