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Berlin: Französische Auflage

Caroline Hervéist angekommen. Sie schneit in das Café Beaubourg herein, aschfahl geschminktes Gesicht, rot nachgezogene Lippen, die Haare vorn zum Pony geschnitten und hinten zum Zopf gebunden, sie hat einen schwarzen taillierten Mantel an und führt einen Dalmatiner an der Leine.

Caroline Hervé

ist angekommen. Sie schneit in das Café Beaubourg herein, aschfahl geschminktes Gesicht, rot nachgezogene Lippen, die Haare vorn zum Pony geschnitten und hinten zum Zopf gebunden, sie hat einen schwarzen taillierten Mantel an und führt einen Dalmatiner an der Leine. Eine elegante Erscheinung ist sie, meilenweit entfernt von ihrem Image als weltbekannte DJ Miss Kittin, wo sie zu manchen Sets nur ein ärmelloses Top trägt. „Ich glaube, zum ersten Mal verstehe ich ein wenig, was es heißt, eine Französin zu sein“, sagt sie.

Miss Kittin ist angekommen, zu Hause in Paris. Das ging lange gar nicht so einfach zu sagen für die 39-jährige Französin, die seit beinahe 20 Jahren Platten auflegt und Elektromusik produziert. Warum? Sie presst ein wenig Luft durch die Lippen, wie das Pariserinnen gern tun. „Der Ballast der französischen Kultur“, sagt sie, sei schwer zu ertragen gewesen. „Malerei, Literatur, Musik, dieses ganze Serge-Gainsbourg-Erbe – Franzosen glauben, sie haben die beste Kultur der Welt.“

In dieser Auflistung hat sich Caroline Hervé nie wiedergefunden. Als sie jung war, explodierte Techno. Anfang der 90er Jahre besuchte sie erste Raves, die Sprache spielte keine Rolle mehr, weil es kaum Texte gab. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, ausgedrückt durch einen pulsierenden Beat, das faszinierte Hervé. „Wir rebellierten gegen diese übermächtige Kultur, die Polizei jagte uns, wenn wir illegal feierten.“ Sie gab ihr Kunststudium in Grenoble auf, reiste von Rave zu Rave, manchmal wohnte sie auch im Auto, im Kofferraum stapelten sich die Vinylplatten, die sie mochte – und ab Mitte der 90er Jahre begann sie aufzulegen.

Marseille, Grenoble, Genf, das waren ihre bisherigen Stationen in ihrem unruhigen Leben – und Berlin. Als eine der ersten ausländischen DJs zog sie 2002 hierher, ein heller Drei-Zimmer-Altbau in Neukölln, dritte Etage, Vorderhaus, die Pakete nahm der Copyshop im Erdgeschoss an, wenn sie mal wieder in London, New York, Barcelona unterwegs war. Vier Jahre hat sie hier gewohnt, ein Album produziert, aber richtig angekommen ist sie nicht. Sie vermisste ihre Freunde, irgendwann war die Sehnsucht so groß, dass sie nach Paris zog, widerwillig. „Ich bin ja nicht wegen der Stadt umgezogen, die ist manchmal konservativer, als man denkt.“ Sie redet über die Demonstrationen gegen die Homoehe auf der Place de la Republique, auf der zehntausende Menschen gegen das Gesetz protestierten. „Ein schlechter Witz.“ Am Mittwoch kehrt sie nach Berlin zurück, um ihr neues Album „Calling From The Stars“ live vorzustellen.

In der Musik muss sich nun etwas ändern. Vorige Woche hat sie lange mit einem Freund diskutiert. Er warf ihr vor, sie könne nicht Teil der französischen Kultur sein, wenn sie nicht ihre englischen Texte aufgebe und mit französischen anfange. „Mein Wertesystem ist gerade auf den Kopf gestellt“, sagt sie. Erste Versuche, in ihrer Muttersprache zu texten, puh, und wieder dieses Luft-durch-die-Lippen- Pressen. Sie will Teil ihrer Kultur werden, Frieden damit schließen. Nach 20 Jahren Ravekultur, Auftritten in der ganzen Welt ist Miss Kittin angekommen, in Frankreich – und nicht in Berlin. Ulf Lippitz

Miss Kittin, live am 8.5. im Berghain, Am Wriezener Bahnhof, Beginn 22 Uhr

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