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Berlin: Freie Fahrt für Raser: Polizei kontrolliert immer weniger

Die Überwachung des Verkehrs in Berlin hat im vergangenen Jahr drastisch nachgelassen. Die Polizei hat ihre Tempomessungen als Folge von Personalmangel fast um ein Viertel reduziert und deshalb auch entsprechend weniger Tempo-Sünder erwischt.

Die Überwachung des Verkehrs in Berlin hat im vergangenen Jahr drastisch nachgelassen. Die Polizei hat ihre Tempomessungen als Folge von Personalmangel fast um ein Viertel reduziert und deshalb auch entsprechend weniger Tempo-Sünder erwischt. Die sinkende Verkehrsmoral und vor allem die überall zu beobachtenden, lebensgefährlichen Rotlicht-Verstöße "haben mit uns zu tun", heißt es inzwischen unverhohlen bei der Polizei. Immer weniger Verkehrssünder bleiben im Netz der Polizei hängen. "Wir können die Erwartungen der Bevölkerung nicht mehr erfüllen", sagt der Chef des Stabsbereichs Verkehr, Polizeidirektor Wolfgang Klang.

Die Zahl der Geschwindigkeitskontrollen ist von acht Millionen im Jahr 1998 auf 6,2 Millionen im letzten Jahr gesunken (siehe Grafik). Vor allem hat es rund 1,7 Millionen weniger Radarmessungen gegeben - mit heftigen Ausschlägen der statistischen Nadel: Weniger registrierte Raser, weniger angehaltene Autofahrer, weniger Verfahren und vor allem fast um die Hälfte weniger Vorschläge für Fahrverbote. Wer nicht annimmt, das die Verkehrsmoral innerhalb eines Jahres einen gewaltigen Sprung nach oben gemacht hat, kann daraus nur eines schließen: Ein noch größerer Teil der Schnellfahrer als früher bleibt offenbar ungeschoren.

"Die Entdeckungswahrscheinlichkeit ist gesunken", wie es im Polizeideutsch heißt. Was das in der Praxis bedeutet, formuliert Klang so: "Das Verkehrsverhalten wird schlechter mit der Erkenntnis, dass man nicht entdeckt wird."

Wegen anderer Aufgaben könne die Polizei die Verkehrsüberwachung nicht mehr so praktizieren, wie dies nötig sei, sagt der Polizeidirektor. "Polizisten, die im Verkehr mitschwimmen, sind kaum noch im Einsatz." Sie würden durch andere Einsätze gebunden wie die Begleitung von Demonstrationen, Aufzügen, durch kommerzielle Veranstaltungen oder Anlässe wie die Blade-Nights. Polizeidirektor Klang schätzt, dass er 20 Prozent zu wenig Personal hat.

Für die Folge-Einschätzung der Verkehrsmoral scheinen die Rotlicht-Verstöße besonders geeignet. Die Zahl der entsprechenden Unfälle unter roten Ampeln ist in den letzten Jahren, mit Ausnahme von 1997, ständig gestiegen. 1999 waren es knapp 1650 solcher Kollisionen: ein Toter, 95 Schwerverletzte, 662 Leichtverletzte.

In der Bevölkerung scheint sich - vermutlich auch unter dem Einfluss einiger Medien - zunehmend die Meinung zu verbreiten, Tempo- und Verkehrskontrollen seien eine Art Schikane durch die Polizei. Noch nie hat es so viele Beschwerden von Autofahrern gegeben wie in den letzten eineinhalb Jahren mit dem Tenor, die Polizei solle sich um Wichtiges kümmern. Und zunehmend wird von Interventionen von Abgeordneten und "einflussreichen Personen" beim Senat berichtet, die alle auf eins hinauslaufen: Die Polizei übertreibe bei den Verkehrskontrollen.

1999 hat es in Berlin 103 Verkehrstote gegeben. In diesem Jahr waren es bis zum 16. August bereits 55 - 24 von ihnen Fußgänger.

Hans Toeppen

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