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Telefonist auf Zeit. Schauspieler Max Löwenstein und seine Kollegen haben die Arbeit in einem echten Callcenter ausprobiert – und waren schockiert.

© Christian Mang

Freie Theaterszene: Praktikum im Callcenter

Für das Kreuzberger Theaterstück „Hold the line“ haben die Schauspieler selbst zum Hörer gegriffen. Von den Arbeitsbedingungen im Callcenter waren sie schockiert.

Das Telefon klingelt, eine freundliche Stimme möchte etwas verkaufen. Entweder lässt sich der Angerufene aus Mitleid in ein Gespräch verwickeln oder er legt schnellstmöglich wieder auf. Selten denkt er dabei an die Person am anderen Ende der Leitung. Diese Erfahrung machte auch der Schauspieler Max Löwenstein. Einen Tag lang arbeitete er in einem Callcenter in Berlin. Als Vorbereitung für das Theaterstück „Hold the line“, das am Freitag im TAK in Kreuzberg Premiere feierte. Die drei Schauspieler schlichen sich unter falschen Namen in ein Callcenter ein und absolvierten dort einen Bewerbungstag. Für den 32-jährigen Löwenstein war das eine Erfahrung, die ihn so schnell nicht wieder losließ. Mehrere Stunden musste er bei Fremden in der Schweiz anrufen und ihnen einen Telefontarif für ihr Handy anpreisen. Nicht nur, dass die Leute seiner Erzählung nach wenig Lust hatten, mit ihm zu sprechen. Der Blick in die „verzweifelten Gesichter, der anderen Callcenteragenten“ sei das „Furchterregendste“ an der ganzen Sache gewesen, erzählt Löwenstein. „Viele wurden mit falschen Versprechungen geködert, niemandem schien der Job Spaß zu machen.“

Darum geht es im Theaterstück „Hold the line“. Den Schock des Probearbeitens mussten die drei Schauspieler erst einmal verarbeiten, sagt Regisseurin Gundula Weimann und scherzt: „Die Proben waren für sie gleichzeitig wie eine Therapie.“ Von Weimann stammt die Idee für das Stück, das die Arbeitsbedingungen im Callcenter anprangert: Die Telefonisten mutieren immer mehr zu Arbeitssklaven, ihr Wille wird langsam gebrochen.

Weimann, blonde Locken und ganz in Schwarz gekleidet, war bis 2010 leitende Dramaturgin in der Theaterkapelle in Friedrichshain und hat dort zuletzt das Stück „Kasse 4“ über das Leben einer Supermarktkassiererin inszeniert.

Früher habe sie selbst in einem Callcenter gearbeitet, erzählt Weimann. „Wir wurden damals nur bei Erfolg bezahlt, ständig überwacht und kontrolliert.“ Doch ihre Erfahrungen stammen aus den 90er Jahren. „Das war damals noch eine heile Welt im Vergleich zu heute“, glaubt sie. Löwenstein und die beiden anderen Darsteller mussten nach einer kurzen Schulung und Vorstellungsrunde sofort anfangen zu arbeiten. Ihre Gespräche seien abgehört worden, erzählen sie, wer früher gehen wollte, sei zum Bleiben gedrängt worden. „Die Menschen sollten bis zum Vertragsabschluss bequatscht werden“, sagt Max Löwenstein.

„Viele dieser Erfahrungen haben wir in die Inszenierung miteinbezogen“, erklärt Weimann. Das Thema sei aber nicht nur eine Parodie auf die Arbeitswelt, sondern soll eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den heutigen Arbeitsbedingungen in Callcentern bewirken. Die sind Thema einer Podiumsdiskussion nach der Aufführung am heutigen Sonnabend.

Die Schauspieler kamen bei ihrem Arbeitgeber übrigens wesentlich besser an als sie wollten. Sie bekamen das Angebot, noch einen weiteren Tag zur Probe zu arbeiten. Ohne Bezahlung, versteht sich. 8., 9., 14., 15. und 16.12., jeweils um 20 Uhr, TAK, Prinzenstr. 85, Kreuzberg. Eintritt 13/8 Euro. Im Anschluss an die heutige Aufführung gibt es eine Podiumsdiskussion zu den Arbeitsbedingungen in Callcentern.

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