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Berlin: Freitod hinter Gittern: In den Haftanstalten schon neun Selbstmorde

Untersuchungsgefangene sind in Berlin offensichtlich stärker selbstmordgefährdet als Strafgefangene. In allen neun Berliner Justizvollzugsanstalten wurden bis Mitte November neun Suizidfälle gezählt, wie eine Justizsprecherin am Dienstag bestätigte.

Untersuchungsgefangene sind in Berlin offensichtlich stärker selbstmordgefährdet als Strafgefangene. In allen neun Berliner Justizvollzugsanstalten wurden bis Mitte November neun Suizidfälle gezählt, wie eine Justizsprecherin am Dienstag bestätigte. Darunter waren sieben Untersuchungsgefangene. Im vergangenen Jahr waren in den Berliner Haftanstalten nur drei Suizide gezählt worden, darunter zwei von Untersuchungshäftlingen.

Während die Selbstmordrate im gesamten Berliner Strafvollzug in den vergangenen Jahren weitestgehend konstant blieb, wird die Entwicklung in der Untersuchungshaft schon als besorgniserregend eingeschätzt. Mit Ausnahme der Jahre 1975 und 1988/89 mit sechs beziehungsweise sieben Selbsttötungen wurde in den vergangenen Jahren die Zahl von drei, höchstens vier Fällen im Jahr nie überschritten.

Den neun Suizidfällen (sieben in der Untersuchungshaftanstalt Moabit und zwei in der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg) stehen 45 versuchte Selbsttötungen gegenüber. So konnten in der größten Berliner Vollzugsanstalt in Tegel in diesem Jahr alle 21 versuchten Selbstmorde verhindert werden. Auch in den Vollzugsanstalten Plötzensee, Düppel, Hakenfelde und Heiligensee sowie in der Frauenhaftanstalt und der Jugendstrafanstalt gab es keine Selbsttötungen.

Die Leitung der Justizvollzugsanstalt Moabit hat unverzüglich, nachdem sich die hohe Steigerungsrate in diesem Jahr abzeichnete, eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie soll "dieses Phänomen" untersuchen und auf mögliche Ursachen hin analysieren, wie die Sprecherin sagte. Abschließende Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor.

Nach ersten Einschätzungen in der Senatsjustizverwaltung sind signifikante Kausalitätszusammenhänge nicht erkennbar. Insbesondere gebe es keine Verbindung zu der bereits seit Jahren andauernden Überbelegung der Untersuchungshaftanstalt. Die Entwicklung deute vielmehr auf "persönliche Ursachen" und "Kurzschlusshandlungen" hin.

"Wir sind hilflos", sagte Anstaltsleiter Wolfgang Fixson. Das zu Beginn der 90er Jahre eingeführte System zur Vermeidung von Selbsttötungen in der U-Haft funktioniere nicht mehr. Sechs der sieben Gefangenen, die sich entweder mit Gürtel, Schnürsenkeln oder Bettlaken am Fenstergitter ihrer Zelle erhängten, saßen schon mehrere Wochen oder Monate in ihrer Zelle. Von einem "Haftschock" unmittelbar nach der Verhaftung als Motiv für die Selbstmorde könne nicht ausgegangen werden.

Kritik an den Haftbedingungen weist der Abteilungsleiter Justizvollzug in der Senatsjustizbehörde, Christoph Flügge, zurück: "Nach unserer Auffassung haben wir ein gutes Frühwarnsystem, um Selbstmorde zu vermeiden." Er verwies darauf, dass mehrere Suizidfälle in Moabit in letzter Minute verhindert werden konnten.

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