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Retter aus Leidenschaft. Der Freiwillige Feuerwehrmann Robert Piotrowski aus Schwedt/Oder hat selten Zeit, auf Bildern zu posieren. Meist hat er mächtig zu tun.

© Kathrin Merfort

Freiwillige Feuerwehr: Junger Freiwilliger ist Feuer und Flamme

Robert Piotrowski ist einer von 40000, ohne die bei der Freiwilligen Feuerwehr in der Mark nichts ginge.

Freiwillige Feuerwehr, das klingt nach Bierchen trinken und Scheunenfest. Der Alltag ist herausfordernder. „Ich war mal bei einem Einsatz dabei, bei dem wir eine tote Frau aus einem Auto geholt haben – sie war im siebten Monat schwanger“, erzählt Robert Piotrowski von der Freiwilligen Feuerwehr Schwedt/Oder in Brandenburg. Seine Kameraden nennen Piotrowski nur Pio, mit 25 Jahren ist er bei der Freiwilligen Feuerwehr ein alter Hase: Seit 12 Jahren ist er dabei. Ohne Ehrenamtliche wie ihn würde beim Brandenburger Brand- und Katastrophenschutz nichts laufen.

Warum tun sich junge Leute solche extremen Situationen freiwillig an? Auf geht es zur Recherchetour nach Schwedt/Oder, 80 Kilometer nordöstlich von Berlin in die Uckermark, an der Grenze zu Polen, gut 31 000 Einwohner, rund 205 Quadratkilometer groß.

Los geht es am Bahnhof Südkreuz, der Regio-Zug ruckelt vorbei an Feldern durch den Winter. Eine Stunde und 34 Minuten später Ankunft in einer anderen Welt. Die Straßen sind unaufgeregt leer. Nur vereinzelt kommen einem Menschen entgegen, meist Alte. In einer Gegend, in der nachbarschaftliche Unterstützung vielleicht einen höheren Stellenwert hat als in mancher Großstadt, scheint die Zentrale der Freiwilligen Feuerwehr (FF) genau richtig platziert.

Später einmal Feuerwehrmann werden - Piotrowskis Kindheitstraum

Angefangen hat bei Robert Piotrowski alias Pio alles 2004. Damals in der Jugendfeuerwehr Vierraden, da war er 14, er kam über einen Schulkamerad dort hin. Der Klassiker „Ich will Feuerwehrmann werden“ trifft auch auf ihn zu. „Ich bin damals den Feuerwehrautos hinterhergerannt. Wollte wissen, was passiert.“ In seiner Wohnzimmervitrine: eine Medaille für zehn Jahre Treuedienste. Seine Familie hat mit Feuerwehr nichts am Helm, pardon, am Hut.

Im Gemeinderaum der Freiwilligen Feuerwehr Schwedt/Oder stehen viele Pokale. Piotrowski ist Zeitsoldat. Wenn man schon so viel erlebt hat wie er bei der Feuerwehr, dann kann man auch leicht abgeklärt über all die Einsätze reden, so klingt es jedenfalls für Außenstehende. Auf Situationen wie die mit der Schwangeren im Auto werde man aber nicht psychologisch vorbereitet. „Im Nachhinein können wir uns aber an Seelsorger wenden“, sagt Piotrowski.

Heute bildet er immer mittwochs den Nachwuchs bei der Jugendfeuerwehr aus. Dienstags frischt er selbst seine Kenntnisse beim Aktivendienst auf. Ab und an kommen Versammlungen, Absicherung von Veranstaltungen oder eine Technikschau dazu. Die Ausbildung ist kostenlos, die Kameraden bekommen eine Aufwandsentschädigung pro Einsatz von drei Euro. In manchen Kommunen gibt es gar kein Geld – oder sogar zehn Euro pro Einsatz. Die FF verfügt über ein Budget für Fahrzeuge und Ausbildungsmaterial. Kraftstoff, Bekleidung und Ausrüstung werden von der Stadt finanziert. Auch gibt es Betriebe, die über den Feuerwehrverband etwas sponsern. Viele sind es nicht.

Freistellungen von der Arbeit sind oft schwierig

Schwedt hat gerade mal 24 hauptberufliche Einsatzkräfte. Deshalb wird die Freiwillige Feuerwehr oft alarmiert. 243 Helfer zählt sie derzeit, 209 Männer und 34 Frauen. „Die Zahlen klingen nach viel,“ sagt Wehrführer Heiko Hinsche, „entscheidend ist aber, wer im Ernstfall einsatzbereit ist“. Und das ist nicht nur in Schwedt ein Problem. Dort liegt die Tagesalarmbereitschaft bei durchschnittlich mindestens 22 ehrenamtlichen und sechs hautptamtlichen Kräften. Freistellungen von der Arbeit sind bei den Freiwilligen oft schwierig. Sei es in den Papierwerken oder der Raffinerie; zudem hat der Meldeempfänger der Retter nicht überall Empfang. „Da muss eine größere Schadenslage vorliegen, damit Mitarbeiter ausgelöst werden“, sagt Hinsche.

In manchen Regionen stellen Behörden besonders gern Mitarbeiter ein, die angeben, sich bei der Freiwilligen engagieren zu wollen – so schützt die Gemeinde zugleich ihre Bewohner. Doch die Helfer haben auch oft mit Problemen zu kämpfen, etwa Schaulustigen, die sie an der Arbeit hindern. Thomas Mende von der FF im brandenburgischen Kloster Zinna zum Beispiel regt es „maßlos auf, wenn Schaulustige im Ernstfall gaffen, das behindert unsere Arbeit“. Mende ist wegen seines Freundeskreises dabei, „und wegen des Heimatgefühls“; zur Arbeit fährt er immer nach Berlin.

So wie viele Retter aus Schwedt außerhalb arbeiten – da wird es mit der schnellen Anfahrt schwer. Der Bundeswehrstandort des IT-Soldaten Piotrowski liegt in Prenzlau, knapp 50 Kilometer entfernt. Wie sieht es aus mit Freistellungen vom Job, weil’s morgens spontan zum Einsatz geht oder er nachts aushilft und dann länger schläft? „Mein Arbeitgeber schätzt mein Engagement und steht hinter mir“, sagt „Pio“. In Brandenburg kooperieren jetzt Innenbehörden, Feuerwehr- und Berufsverbände verstärkt, um die Ehrenamtlichen leichter freizustellen. Der Arbeitgeber – auch in Berlin – muss beim jeweiligen Träger des Brandschutzes etwa in Brandenburg einen Antrag stellen. Er gibt den Lohn an und bekommt diesen vom Träger vollständig ersetzt. Anders als sonst vielerorts in Brandenburg hat Schwedt weniger Nachwuchssorgen, denn viele junge Menschen kommen her, weil es Ausbildungsplätze gibt. Dennoch liegt das Durchschnittsalter bei rund 38 Jahren.

Nach dem Brandschutzbericht 2014 hat Brandenburgs Freiwillige Feuerwehr rund 39 800 Mitglieder. In Berlin sind die Verhältnisse umgekehrt: Bei der Berufsfeuerwehr sind es im Jahr 2014 genau 3922 Mitarbeiter, bei der Berliner Freiwilligen Feuerwehr 1357. Laut Landesfeuerwehrverband Brandenburg hat die Freiwillige Feuerwehr derzeit einen Anteil von etwa 96 Prozent. Die Berliner Freiwillige Feuerwehr ist im Rettungsdienst und bei der Brandbekämpfung im Einsatz und führt technische Hilfeleistungen durch. Sie arbeitet auch bei der Flüchtlingshilfe mit, etwa beim Herrichten von Unterkünften. Die Brandenburger FF ist neben dem klassischen Brandschutz und technischen Hilfeleistungen beim Unfall verstärkt im Naturkatastrophenschutz, wie etwa bei Überschwemmungen, im Einsatz.

"Die meisten Freiwilligen kommen über Mundpropaganda"

Um neue Mitglieder zu gewinnen, nutzt die FF Schwedt/Oder Facebook, das Internet und Zeitschriften. Außerdem macht sie Technikschauen in Kindergärten und Schulen. In Schwedt wurde das Mindesteintrittsalter von zehn auf mittlerweile sechs Jahre heruntergesetzt, um mit Sportvereinen konkurrieren zu können. Der Erfolg ist mäßig. „Nur selten treten dadurch neue Mitglieder ein. Die meisten kommen über Mundpropaganda“, sagt Piotrowski.

Manche Freiwilligen Feuerwehren setzen auch auf Events, um Jugendliche anzulocken. So hatte die FF im pfälzischen Weidenthal ein Weihnachtsbaumwerfen organisiert. Der Sieger warf eine 1,50 Meter lange Fichte in hohem Bogen über den Sportplatz – 8,55 Meter weit.

Aber auch in Schwedt haben die Feuerwehrhelfer neben all den ernsten Aufgaben viel Spaß. Ein Großteil von Piotrowskis Freundeskreis besteht mittlerweile aus Feuerwehrangehörigen. Das kann besonders hilfreich sein, wenn man Dinge erlebt, die einen persönlich sehr betreffen. So hat mal eine Kameradin von Thomas Mende aus der FF Kloster Zinna einen Einsatz an der Bahnstrecke gehabt, bei dem sie merkte, dass das Opfer, das da vom Zug getötet wurde, jemand war, den sie kannte.

Freud und Leid, das schweißt zusammen. Die Schwedter gingen auf ganz besondere Weise zusammen ins neue Jahr. Kurz nach 23 Uhr kam bei der Silvesterparty die Nachricht auf dem Pieper: „Gebäude groß. Balkonbrand 4. Etage.“ Sekunden vor Mitternacht war der Einsatz wieder beendet. Angestoßen haben alle im Gerätehaus.

Kathrin Merfort

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